Aus tiefem Schacht. Fedor von Zobeltitz

Aus tiefem Schacht - Fedor von  Zobeltitz


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ein gackerndes Huhn störte, so warf er zuweilen mit dem Wörterbuche danach; dann scholl seine Klingel durch das Haus, und August, der Diener, mußte den Sprachschatz wieder ins Zimmer holen.

      „Puh,“ sagte Hedda, als sie bei dem Alten eintrat, „Vater, dein Tabak ist furchtbar! Die Pfeife qualmt ordentlich und – ich weiß nicht, riecht denn jeder Tabak so stark?“

      „Der vom Kommerzienrat drüben wohl nicht,“ antwortete der Baron, ruhig weiterschreibend; „aber der hat’s auch dazu, sich Havannazigarren leisten zu können.... Hederle, es ist gut, daß du kommst. Ich werde aus der Verwandtschaft nicht klug. Die Leute heißen alle Axel, und bei den meisten folgt nicht mal ein zweiter Vorname hinterher. Hilf mir ein bißchen!“

      „Nachher gern – jetzt geht’s nicht! Zupf dich ein wenig zurecht, Väterchen – Schellheims sind auf der Visitentour. Ich habe ihren Wagen vom Fenster aus erkannt ...“

      Der Baron spritzte den Gänsekiel aus, dessen er sich bediente, warf ihn hin und lehnte sich im Sessel zurück.

      „Sind nicht zu Hause, mein Kind,“ sagte er ruhig, nachdem er einen neuen, tiefen Zug aus seiner Pfeife genommen hatte; „August soll’s den Herrschaften melden – damit sela.“

      „Nein – nicht sela,“ widersprach Hedda, setzte sich auf den Schreibtischrand und strich ihrem Vater über die Stirn. „Du wirst vernünftig sein, lieber Alter. Es liegt gar kein Grund vor, die kommerzienrätliche Gesellschaft vor den Kopf zu stoßen.“

      „Ich kann sie nicht leiden,“ grunzte der Freiherr und zog die Nase kraus.

      „Warum nicht? Weil Schellheim dir dein Gut abgekauft hat?“

      „Er hat geschachert wie ein Mühlendammer!“

      „Das gehört zu seinem Beruf. Er ist nun mal Kaufmann.“

      „Hemdenfritze!“

      „Ob einer Hemden verkauft oder Rohtabake oder goldene Manschettenknöpfe, ist gleichgültig; jeder ehrliche Erwerb verdient Achtung.“

      „Ach, fang mir nur nicht wieder mit Moralpredigten an, Hederle!“ rief der Alte halb ärgerlich, halb lachend. „Was du immer für grüne Weisheit im Schnabel führst! ...“ Er rückte an seinem Stuhl. „Also meinetwegen! Um deinetwillen! Kommt er mit Gattin?“

      „Weiß nicht. Aber jedenfalls! Die Dörthe erzählte, es sei Besuch auf dem Auberg. Vielleicht sind die Söhne da.“

      Ein neues Grunzen des alten Herrn.

      „Wappnen wir uns mit Geduld! Schick mir den August! Muß ich mich erst umkleiden?“

      „Ich würde es schicklich finden, wenn der Baron Hellstern seine Gäste in –“

      „Im Bratenrock empfangen wollte!“ fiel der Baron ein. „Ich lass’ schon alles über mich ergehen. Gott, diese Umstände!“

      Er stöhnte, ächzte und grunzte noch lange. Aber es half ihm nicht viel. Hedda verstand, mit dem Alten umzugehen, und August auch. Der letztere war dreißig Jahre im Hause und dem Baron unentbehrlich geworden. Er stöhnte, ächzte und grunzte genau soviel wie sein Herr und konnte auch ebenso grob werden. Aber er war dabei die beste, treueste und ehrlichste Seele, eines der aussterbenden Exemplare des dienenden Geschlechts.

      Auf seinen beiden Krückstöcken humpelte der Baron, von Hedda gestützt, in sein Schlafzimmer. Das war ein merkwürdiger Raum, ein wahrer Tanzsaal, aber fast ohne Möbel. In der Mitte stand ein schmales, eisernes Bettgestell mit einigen Decken. An den Fenstern hingen keine Gardinen; in der Nacht schloß man die Läden von draußen, die herzförmige Öffnungen hatten und die Spuren von Schrotladungen zeigten.

      August zog seinem Herrn die Flauschjoppe aus.

      „Nicht so reißen, du Esel!“ brummte Hellstern.

      „Das Ding ist zu eng,“ gab August unwirsch zurück. „Ich kann nicht davor, daß der Herr Baron immer dicker werden! Das Marienbader hat auch nichts genützt.“

      „Weiß ich allein. Halt keine Reden!“

      „Wenn der Herr Baron fragen, muß ich antworten.“

      „Ich frage gar nichts! Her mit dem Rock! Es ist wahr – ich werd’ immer dicker. Hedda muß die Knöpfe noch ein Stück weiter vorsetzen. Ich kriege das Ding nicht mal mehr zu.“

      „Lassen ihn der Herr Baron doch man offen stehen,“ meinte August. „Es sieht ja besser aus. Aber die gestrickte Weste würd’ ich nicht anbehalten –“

      „Ich tu’, was ich will. Die Weste bleibt drunter. Ich bin kein Popanz und kein Modegigerl. Drück mal von hinten ein bißchen nach, dann geht der Rock schon zu ... Hupla – na, siehst du wohl!“

      Der Alte trat vor den kleinen Spiegel, der über dem Waschtisch hing. Er gefiel sich ganz gut. Aber in Wahrheit sah er weniger hübsch als grotesk aus. Der lange, schwarzblaue Rock hatte eine eigentümliche Biedermaierfasson, umspannte den Oberkörper und den mächtigen Leib in ängstlicher Faltenlosigkeit und strebte von den Hüften an wie das Kleid einer Bäuerin nach auswärts. Dazu trug der Baron dunkle, gestreifte Beinkleider von außerordentlicher Weite und bequeme Filzstiefel.

      Hellstern lächelte, als er sein Ebenbild im Spiegel erschaute.

      „Wie ein Elefant,“ meinte er schmunzelnd; „man kann auch Dickhäuter sagen. Aber dennoch ganz stattlich. Das Halstuch, August!“

      „Erst setzen!“ antwortete dieser und schob dem Baron einen massiven eisernen Stuhl zu, auf dem sich Hellstern wuchtig niederließ. Dann schlang August seinem Herrn das sauber gefaltete schwarze Tuch um den Hals und steckte vorn eine goldene Busennadel hinein; Hedda hatte sie aus einem Ohrring der seligen Mutter anfertigen lassen.

      Indessen rollte unten die Viktoria des Kommerzienrats vor die Veranda. August beeilte sich, den Schlag öffnen zu helfen. Er trug einen verschossenen blauen Rock mit versilberten Knöpfen. Der reich galonnierte Diener des Kommerzienrats, der neben dem Kutscher gesessen hatte, war ihm bereits zuvorgekommen und schaute ihn ein klein wenig von der Seite an. Das ärgerte August. Er gab dem Livreekollegen einen kräftigen Schubbs und stellte sich neben den Schlag.

      Auf der Veranda erschien Hedda. Zwei junge Herren sprangen zuerst aus dem Wagen, Hagen und Gunther, die Söhne des Kommerzienrats, beide in Gehröcken und blanken Zylinderhüten. Dann kam die Mutter, eine zierliche, kleine Dame von sympathischem Äußern – dann der Rat selbst, untersetzt, mit gefälligem Embonpoint, das kluge Gesicht nach englischer Sitte bis auf einen kurzen, auf der halben Backe wie über einem Lineal abgeschnittenen grauen Bart glatt rasiert.

      Die Begrüßung seitens Schellheims war lebhaft und herzlich, seitens seiner Frau liebenswürdig reserviert. Die Söhne hielten sich zurück, die Zylinder im Arm, den Oberkörper leicht nach vorn geneigt. Hedda gab jedem die Hand und führte den Besuch sodann in das Wohnzimmer.

      Hellstern war noch nicht anwesend, aber man hörte im Korridor bereits das gleichförmige Geräusch, das das Aufstoßen seiner Stöcke auf dem Fußboden hervorrief.

      Als er eintrat, ging ihm der Kommerzienrat mit strahlendem Gesicht und rascher, pendelnder Armbewegung entgegen.

      „Mein sehr verehrter Herr Baron – ich freue mich herzlich – ich freu’ mich von ganzem Herzen ...“

      „Lieber Herr Kommerzienrat!“ Hellstern drückte Schellheim so kräftig die Rechte, daß dieser am liebsten mit einem energischen Donnerwetter geantwortet hätte, küßte sodann der tief herniederrauschenden Rätin die Hand und sagte den jungen Herren „Guten Tag“.

      Man setzte sich, und rasch war die Unterhaltung im Fluß. Schellheim war ein weltgewandter Mann, bei dem nur zuweilen, in seltenen Ausnahmefällen, die Protzigkeit des Parvenus, der sich aus kleinen Anfängen emporgearbeitet, hervorbrach. Aber die große Lebhaftigkeit, mit der er, von ausdrucksvollem Gebärdenspiel unterstützt, sprach und agierte, ließ dies nicht sonderlich auffallen.

      Seine Frau war ziemlich


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