Aus tiefem Schacht. Fedor von Zobeltitz
mit dem Schulzen aus dem Hause.
„Willst du auch in den Krug, Kleine?“ fragte er.
„Versteht sich,“ entgegnete sie, „so gut wie du. Bist du mal wieder in Oberlemmingen?“
„Heut früh angekommen, von wegen der Quelle. Da muß ich doch dabei sein ...“ Er gab Dörthe die Rechte und faßte sie dann schäkernd unter das Kinn. Sie gab ihm einen Klaps auf die Hand und lief davon.
Den Albert konnte sie nicht leiden. Es ärgerte sie schon, daß er sie immer „Kleine“ nannte. Er bildete sich viel darauf ein, daß er ganz städtisch geworden war, und schaute die Bauern über die Achseln an. Seit drei Jahren lebte er gänzlich in Frankfurt und kam nur dann und wann zu Besuch nach der Heimat. Er war Maurerpolier, nannte sich aber Bauunternehmer, und man erzählte von ihm, daß er schon einmal unter der Anklage der Begünstigung betrügerischen Bankerotts in Untersuchungshaft genommen und nur aus Mangel an Beweis freigesprochen worden sei. Er war übrigens ein sehr hübscher Mann: groß, schlank und blondbärtig, und wenn er einen mit seinen hellen blauen Augen anschaute, hätte man darauf schwören können, daß er der beste und treuherzigste Bursche unter der Sonne sei.
Dörthe ging nicht durch den Haupteingang in den Krug, sondern hinten herum, durch die Küche. Hier brannte schon Licht, und die alte Möllern hantierte geschäftig am Herd, denn der Förster Damke aus dem nahen Vorwerk hatte sich seiner Gewohnheit gemäß Grog bestellt. Die Möllern war eine große und starke Frau mit vollem grauen Haar und trotz ihrer Siebzig noch ungemein rüstig. Das Herdfeuer überstrahlte mit roter Glut ihre harten, ausgearbeiteten Züge.
„’n Abend, Mutter Möllern,“ sagte die Dörthe beim Eintritt in die Küche. „Ist der Fritz nicht hier?“
Die Alte zog eine Schulter hoch.
„Im Keller,“ antwortete sie, „er zappt ab; ’s is ja heute wie eine Volksversammlung da drinne’!“
Sie war immer mürrisch und unfreundlich, insonderheit Dörthe gegenüber, der sie es nicht vergeben konnte, daß sich ihr Fritz in sie verliebt hatte. Denn die alten Möllers waren stolz, und obwohl Fritz die Krugwirtschaft bereits übernommen hatte, meinten sie, es sei nicht nötig, daß er sich nach einer Frau umschaue, solange sie selbst noch mit Hand anlegen könnten. Die Dörthe paßte ihnen vollends nicht; ein Mädel ohne Geld war nicht nach ihrem Geschmack. Fritz konnte Besseres haben.
Dörthe schwankte, ob sie in das Gastzimmer gehen sollte, als sie den dicken, blonden Wirrkopf Fritzens aus der Kellerluke auftauchen sah. Eine Falltür führte von der Küche aus direkt in den Keller, und wenn sie offen stand, wie jetzt, roch es immer nach Hefe und schalem Bier.
Fritz trug unter jedem Arm einen mächtigen Henkelkorb mit Bierflaschen. Er war ein riesiger Kerl und hatte auch riesige Kräfte. Die Bauern fürchteten seine Fäuste. Den kleinen Lemmert hatte er einfach einmal aus dem Fenster geworfen; wer in der Betrunkenheit Krakeel bei ihm anfangen wollte, mit dem fackelte er nicht lange. Aber auch auf seinem dicken und gesunden Gesicht lag der den Möllers eigne Zug von Treuherzigkeit und gutmütiger Gesinnung.
„Ach, Dörthe, du bist’s,“ sagte er, stellte einen Korb hin, wischte mit der Handfläche seiner Rechten rasch über seine blaue Schürze und begrüßte sodann seine Braut. „Möchtst wohl auch wissen, wie’s wird?“
„I nu ja,“ erwiderte das Mädchen lächelnd. „Es wird ja so viel davon gesprochen. Der Albert ist auch schon hier.“
„Weil er der einzige is, der was davon versteht,“ bemerkte die Alte. „Er hat auch schon ’ne Bank hinter sich, sagt er ...“
Dörthe dachte darüber nach, warum der Albert „’ne Bank hinter sich“ habe, aber Fritz ließ ihr zum Grübeln nicht lange Zeit.
„Trag immer ’rein,“ sagte er und schob ihr einen der Körbe unter den Arm; „heut könnte man zwanzig Hände haben!“
Und er folgte ihr mit dem zweiten Korbe.
So voll war das Krugzimmer allerdings selten. Aus der Mitte der weißgekalkten Decke hing eine alte Petroleumlampe herab, die den großen Raum nur notdürftig erleuchtete, so daß in allen Ecken und Winkeln schwarze und dämmergraue Schatten lagen. Nur auf dem Schenktische stand noch eine zweite Lampe. Hier machte sich der alte Möller zu schaffen, ein Siebziger, der aussah, als könne er das Hundertste noch erleben. Rastlos liefen die scharfblickenden Augen unter den buschigen weißen Brauen umher, und immer war er zur Hand, wenn er verlangt wurde. Er fühlte gewissermaßen, wo ein Glas leer war, und er hatte genau im Kopfe, wieviel ein jeder getrunken hatte. Er brauchte nichts anzuschreiben, seine Rechnung stimmte doch.
Alle Tische waren besetzt. Die paar Großbauern, die reichsten im Dorfe, hielten zusammen. Da war zuerst der dicke Braumüller, dessen Gehöft der Krugwirtschaft gegenüber an der Chaussee lag, dann der einäugige Langheinrich, der einzige in Oberlemmingen, der weder schreiben noch lesen konnte; ferner der kleine Raupach, ein ungemein bewegliches, leicht aufbrausendes Männchen, und der Bauer Tengler, der seiner käsigen Gesichtsfarbe wegen gewöhnlich „Schlippermilch“ genannt wurde. Noch einer saß am Tische der Großbauern: der dritte Sohn des alten Möller, der Bertold. Der war Kaufmann geworden und betrieb ein Kurzwarengeschäft in der benachbarten Kreisstadt Zielenberg. Er war nicht von der Möllerschen Art, kein Riese wie die übrigen, sondern ein wenig verwachsen und trug auch eine Brille, hinter der ein Paar dunkle Augen listig und lebhaft funkelten.
An den sonstigen Tischen hatten die kleineren Leute Platz genommen: der Krämer Thielemann, die Kossäten Bachert, Maracke und Klauert und eine Anzahl Taglöhner, Häusler und Knechte. Nebenan im Extrazimmerchen saß der Förster Damke allein in seiner Sofaecke, trank Grog und las dazu die Inserate im „Zielenberger Kreisblatt“.
Es ging, trotzdem viel getrunken wurde, nicht allzu lebhaft zu. Die meisten unterhielten sich mit nur halblauter Stimme. Erst als die Tür aufging und Wittke, der Lehnschulze, mit Albert Möller ins Zimmer trat, wurde es lauter. Bertold rief seinen Bruder sofort an den Tisch heran, wo Albert jedem der Bauern die Hand reichte.
„Warst du beim Kantor?“ fragte Bertold, an seiner Brille rückend, eine ihm eigentümliche Bewegung.
„Ja,“ entgegnete der andre nickend. „Der Professor hat geantwortet. Es hat seine Richtigkeit. Die Quelle ist großartig, sage ich dir, Bertold ...“
Er brach mit einem Seitenblick auf die Bauern mitten im Satze ab. Es schien, als wolle er seine Zukunftshoffnungen nicht so vor allen Leuten preisgeben.
„Wie ist’s denn eigentlich ans Licht gekommen mit der Quelle?“ fragte Langheinrich.
„Ganz einfach,“ und Albert erzählte zum zwanzigstenmal die Geschichte der Entdeckung. Der Lehrer aus Frankfurt, der sich vorjährig mit Frau und Kindern während der großen Ferien im Kruge eingemietet hatte, um hier eine billige Sommerfrische zu genießen, war häufig in dem Buchenwäldchen auf der Grauen Lehne spazieren gegangen. Und da hatte er denn eines Tages mitten im Geröll und ganz verborgen unter Brombeerranken und Wacholdergestrüpp ein Wässerchen entdeckt, das mit auffallend starkem Geräusch zutage trat und zugleich Tausende von kleinen zierlichen Perlen und Bläschen bildete, – „so wie beim Selterswasser, Langheinrich, verstehst du?“ erläuterte Albert das Phänomen. Jedenfalls erschien dem Lehrer die kleine Quelle interessant genug, um den ihm befreundeten Professor Statius darauf aufmerksam zu machen. Der Professor analysierte das Wasser denn auch und sandte seinen Bericht dem Lehrer ein, der ihn wiederum an Herrn Feilner, den Kantor von Oberlemmingen, schickte.
„Da is er schunst!“ rief Tengler, der gewöhnlich platt sprach, und deutete nach der Tür. Feilner trat ein, ein langer Mensch mit einem um die Wangen gebundenen Taschentuch. Man kannte ihn gar nicht ohne Zahnschmerzen.
Die vier Möllers gingen ihm entgegen und begrüßten ihn höflicher, als es sonst ihre Art war; der Alte brachte sogar ein Glas Bier herbei und fragte, ob der Herr Kantor vielleicht etwas zu essen wünsche. Aber Feilner dankte; er habe nicht viel Zeit und wolle sich nur rasch seines Auftrags entledigen.
Dann nahm er am Mitteltische unter der Hängelampe Platz und zog