Aus tiefem Schacht. Fedor von Zobeltitz

Aus tiefem Schacht - Fedor von  Zobeltitz


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drei Söhne schauten erstaunt auf. Was hieß denn das nun wieder? Wollte der Alte, der seit fünf Jahren bequem und ruhig in seinem Ausgedinge lebte, auch noch an den Einnahmen partizipieren?

      „Warum denn in vier?“ fragte Albert endlich zaghaft.

      „Weil ich auch meinen Teil haben will,“ erwiderte der Alte fest. „Ich bin sechsundsiebzig, aber will’s Gott, so leb’ ich noch zwanzig Jahr’. Und bringt uns die Quelle Glück, so bau’ ich mir ein Extrahäuschen und zieh’ mit Muttern hinein. Denn wenn der Fritze wirklich heiraten tut ...“

      „Es ist noch nicht so weit,“ fiel Albert ein, und Bertold setzte, an seiner Brille rückend, hinzu: „Das mit der Dörthe wird er sich auch noch überlegen.“

      Fritz erwiderte nichts; doch der Alte sagte, die Pfeife zwischen den Zähnen behaltend, in trotzigem Tone: „Ganz gleich. Es bleibt dabei. In vier Teile.“

      Darauf war nichts zu erwidern. Die Brüder kannten den Alten. Machten sie Schwierigkeiten, so konnten sie auf endlose Prozesse gefaßt sein. Und verlor der Alte auch wirklich, der Ruf des Unternehmens stand in Gefahr.

      Albert setzte sich wieder.

      „Also abgemacht: in vier Teile,“ wiederholte er. „Ich werde morgen mit Rechtsanwalt Felitz sprechen. Und nun zur Sache selbst. Es muß Reklame gemacht werden. Professor Statius will in der ‚Medizinischen Wochenschrift‘ über seine Analyse berichten. Den Artikel lass’ ich an alle großen Zeitungen schicken. Klappern gehört zum Handwerk. Dann das nötige Geld, um alles instand zu setzen ...“

      „Ja, das Geld,“ warf Bertold nickend ein.

      „Wir brauchen etwa 300000 Mark ...“

      „Ihr seid wohl verrückt!“ fuhr der Alte auf.

      „Das ist noch nicht einmal hoch gerechnet,“ entgegnete Albert lächelnd. „Laß man, Vater, darin hab’ ich meine Erfahrung! Das Geld wird beschafft werden. Ich habe die Frankfurter Produktenbank hinter mir, will auch mal zu Schellheim gehen. Es muß ein Konsortium gebildet werden – mit guten Namen –, ein paar Finanzleute, einige Ärzte und ein Adliger an der Spitze. Ich will morgen auf den Baronshof. Hellstern wird leicht zu kriegen sein. Und dann muß ein Sanatorium begründet werden ...“

      „Ein –?“ fragte der Alte.

      Albert winkte mit der Hand. „Du wirst schon verstehen lernen, Vater. Warte man ab. Ich entwickle nur so meine Ideen. Der ‚Krug‘ muß ausgebaut werden – zu einem Hotel. Dann brauchen wir Logierhäuser, neue Wege, Pflasterung, eine Brauerei, vielleicht auch Gas. Aus der Buchhalde muß der Kurpark werden. Ein großes und vornehmes Kurhaus bauen wir späterhin. Rings um die Quelle wird eine Art Tempelbau errichtet, mit Säulen, das muß elegant aussehen. Bertold kann hier einen Basar errichten; dann müssen wir einen Fleischer heranziehen, Bäcker, Konditor und andre Professionisten. Das wird sich alles entwickeln ...“

      Er steckte die Zigarre wieder in den Mund und schaute einen Augenblick sinnend den im Halbdunkel des Zimmers zerrinnenden Rauchwölkchen nach. Er war ein geborener Spekulant. Seine kühne Phantasie und seine wagmutige Frechheit ergänzten, was ihm an Bildung fehlte. Er war ein schlechter Arbeiter gewesen, als er nach Frankfurt gekommen, aber er besaß ein gewisses Organisationstalent, und er hatte auch Glück. Seine Häuser vermieteten sich schnell. Er baute unsolid, stattete jedoch die Wohnungen mit oberflächlicher Eleganz aus, mit Stuck an den Decken, Kassettierungen, hübschen Öfen und Tapeten. Es war ihm sogar gelungen, sich am Bau der neuen Kaserne für die Albrecht-Dragoner beteiligen zu dürfen, und er hatte ein gutes Stück Geld dabei verdient. Aber all das waren nur vorbereitende Kleinigkeiten für ihn. Er wollte viel höher hinaus. Er plante unausgesetzt, er baute in Gedanken – im Traume selbst – Riesenpaläste und halbe Städte. Oberlemmingen stand in der Zukunft schon fix und fertig in seiner Phantasie. Kein Dorf mehr, sondern ein moderner Kurort. Die kleinen Häuschen und Lehmbaracken mit ihren gelbgrauen Strohperücken waren verschwunden – eine ganze Reihe von Villen erhob sich an ihrer Stelle: niedliche Chalets im Schweizerstil, dazwischen ein paar holländische Bauernhäuser, ein norwegisches Blockhaus, eines nach russischem Muster, mit gemalten Balken. Albert sah das alles schon vor sich. Er sah auch den Quellentempel inmitten blühender Anlagen, im Grün des Kurparks, und das Möllersche Hotel an der Chaussee, die in einer halben Fahrtstunde nach Zielenberg führte, wo sich drei Bahnstränge kreuzten. Die Lage war günstig. In fünf Jahren, taxierte Albert, mußten die Möllers sich Oberlemmingen erobert haben.

      Bertold hatte schweigend zugehört. Er war, wie Albert, längst der Bauernsphäre entwachsen, und auch er war ein heller Kopf. Geldverdienen war seine Losung. Seit er sich mit der ältesten Tochter des Getreidehändlers Ring in Zielenberg verheiratet, die ihn zweimal hintereinander mit Zwillingen beschenkt hatte, war sein Erwerbsfieber noch gewachsen. Man mußte doch für die Seinigen sorgen! Er lieh auch Geld auf Pfänder und machte dann und wann kleine Wuchergeschäfte mit den Inspektoren der Umgegend. Er begriff schon, was Albert wollte, und glaubte an dessen Stern. Aber eine heimliche Angst peinigte ihn dennoch: die, daß Albert ihn betrügen könne.

      Auch Fritz und der Alte sagten nichts. Doch man sah es ihnen an, daß der Zukunftsgalopp Alberts nicht nach ihrem Sinne war. Sie steckten bei aller natürlichen Gerissenheit doch noch zu tief im Bäurischen, um sich mit den Spekulationsideen Alberts befreunden zu können. Vor Schuldenmachen hatten sie eine grimmige Angst; man gab das Geld fort und hatte auch noch die Zinsen zu bezahlen. Und sie fürchteten, daß die ungeheuern Summen, die Albert aufnehmen wollte, sie alle ersticken und erdrücken würden.

      Ein Lärm in der Schenkstube, die schimpfende Stimme der alten Möllern und das laute Weinen Dörthes störten die Konferenz. Fritz erhob sich, um nachzusehen, was es gebe. Dörthe hatte eine Flasche mit Himbeerlikör vom Schenktisch gestoßen; die Flasche war zerbrochen, und der rote Saft floß träge über die schwarzen, mit Sand bestreuten Dielen. Und da hatte die Möllern der Dörthe in ihrer zügellosen Heftigkeit eine derbe Ohrfeige gegeben und schimpfte in unflätiger Weise auf sie los.

      Dörthe stand an der Wand und hielt den Zipfel ihres Kleides vor das Gesicht. Sie schluchzte so, daß ihre ganze Gestalt zitterte – nicht aus Schmerz, sondern aus Scham, vor allen Leuten gezüchtigt worden zu sein. Jeder schaute zu ihr hinüber. Braumüller, Raupach und Tengler, die „Schafskopf“ spielten, hielten im Spiel inne, und der alte Maracke schritt gutmütig auf sie zu und sagte:

      „Nanu, flenn man nich, Dörthe – es is doch nich so schlimm! Bis du heiratst, is die Backe wedder gutt! ...“

      Aber auch Fritz schimpfte. So was Ungeschicktes wie die Dörthe sei noch nicht dagewesen. Als ob der Himbeerlikör kein Geld koste. Und das wolle einmal eine tüchtige Hausfrau werden! Nee – da werde er es sich doch noch lieber bedenken ...

      Dörthe schlich, ohne zu antworten, hinaus. Sie weinte noch immer, während sie langsam die paar Steinstufen hinabstieg, die zu der Haustür führten, und dann durch die Dorfstraße schritt. Sie weinte ganz leise vor sich hin. Daß die Möllern grob und roh war, wußte sie ja – das war ihr nichts Neues. Die wollte überhaupt nichts von der Heirat wissen. Aber das Benehmen Fritzens tat ihr weh; ihr Herz sprang und zuckte. Sie liebte den großen Burschen mit seinem wirren Blondkopf und den blauen Augen doch so sehr.

      Der Abend war wundervoll. Die Sterne flimmerten hell am Himmel; die Milchstraße leuchtete wie Opal. Und durch das ganze Dorf wehte der frische Duft der Wiesen, die sich dreißig Morgen weit längs der Barbe hinzogen.

      Plötzlich, gegenüber dem Pastorhause, durch dessen Fenster helles Licht schimmerte, blieb Dörthe stehen. Ihr fiel auf einmal ein, was Tante Pauline von ihrem letzten Traum erzählt hatte. Ein Gewitter war heraufgezogen, und dann hatte es eingeschlagen. Das bedeutete Unfrieden und Ärger. Und so war’s auch gekommen.

      Beim Lehnschulzen schlug der Hofhund an. Ein zweiter antwortete, der große Köter Marackes mit seinem heiseren Baß. Aus der Ferne, vom Dorfende her, kläffte die helle Stimme des Nachtwächterhundes dazwischen. Ein vierter und fünfter fiel ein. Alle Hunde im Dorfe begannen zu bellen.

      


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