Aus tiefem Schacht. Fedor von Zobeltitz

Aus tiefem Schacht - Fedor von  Zobeltitz


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Schulter. „Ich hab’s nicht böse gemeint – de gustibus und so weiter. Mir würde das Herumwühlen in alten Scharteken den Appetit verderben. Da lob’ ich mir noch die Musik. Gnädigste Baronesse sind gewiß auch Wagnerschwärmerin?“

      Das war sie wirklich, und nun erfolgte eine kurze Zwiesprache zwischen ihr und der Rätin über den vergötterten Meister und seine Musik. Da wurde Frau Schellheim warm. Sie konnte sich gar nicht beruhigen, daß Hedda ihren Liebling nur aus den Klavierpartituren kannte und noch keins seiner Bühnenwerke gesehen hatte. Ihr drittes Wort war Bayreuth und Frau Cosima. In der Villa Wahnfried kannte sie jeden Raum.

      Der Baron beobachtete scharf, während er ungezwungen plauderte. Sein Urteil über die Familie Schellheim stand fest. Der Rat ein intelligenter Emporkömmling, wie man seinen Typus in allen Großstädten hundertfach findet; die Frau unterdrückt, nicht uneben; aber von sklavischer Ergebenheit; der grimme Hagen ein modernes Kaufmannsgigerl, das nach Abschluß der Geschäftszeit den Lebemann und Kulissenjäger spielt – und Gunther der aus der Art geschlagene Idealist. Gunther gefiel dem Baron noch am besten, obschon auch er für grüblerische Gelehrtentüftelei wenig übrig hatte.

      Man sprach von guter Nachbarschaft und dergleichen. Bei dieser Gelegenheit erfuhr Hellstern, daß der Kommerzienrat beabsichtigte, sich gänzlich auf der „Auburg“ – so hatte er sein Schloß getauft – festzusetzen. Hagen sollte die Fabrik allein weiterführen.

      „Ich möchte mich gern einmal etwas intimer mit der Landwirtschaft befassen,“ sagte Schellheim, schon zum Aufbruch gerüstet. „Es macht mir Spaß – möchte mal versuchen, ob dem Boden nicht doch ganz gute Erträgnisse abzuringen sind.... Also wegen der Quelle, – stehen Sie mit dem Möller auf gutem Fuß, Herr Baron, wenn ich fragen darf?“

      „Auf gar keinem,“ erwiderte Hellstern ziemlich kurz. „Aber, falls Sie mit ihm in Verbindung treten sollten – attention! Es ist ein brutaler Schlaukopf.“

      Schellheim lachte.

      „Mich führt niemand so leicht hinters Licht, bester Herr Baron,“ sagte er. Dann empfahl man sich. Auf der Veranda blieb der Kommerzienrat noch einen Augenblick stehen und pries die Lage des Baronshofes. Auch das alte Herrenhaus gefalle ihm sehr. Er habe für diese alten Landhäuser viel mehr übrig als für die modernen Luxusbauten. Er sei überhaupt nicht für den Luxus, wenn er sich nicht mit solider Gediegenheit vereine ...

      August stand wieder am Wagenschlag. Er sah sehr schäbig aus neben den frisch livrierten Dienern Schellheims und dem lackierten Glanz der Viktoria. Aber er machte ein hochmütiges Gesicht; die Leute vom Auberg imponierten ihm durchaus nicht.

      Der Wagen rollte davon. Der Kommerzienrat winkte noch wiederholt mit seinem abgezogenen Handschuh aus dem Fenster.

      Hellstern sah dem unter seinem silbergeschmückten Geschirr sich sehr stattlich ausnehmenden Fuchsgespann lange nach.

      „Solche Karrossiers hab’ ich mir mein Lebtag nicht gegönnt,“ sagte er zu Hedda. „Hübsche Gäule und gut eingefahren ... Es ist merkwürdig, wie es im Leben auf und nieder geht. Jetzt sind die Krämer die Sieger und wir vom Adel die Besiegten. Das war ehemals anders.“

      „Freilich,“ entgegnete Hedda mit leichtem Seufzer, „’s ist leider immer so in der Weltgeschichte. Hammer und Amboß wechseln. Aber allzu schlimm sind die Schellheims noch nicht.“

      „Na, es geht,“ erwiderte der Baron etwas mürrisch.

       Inhaltsverzeichnis

      Am Westausgange des Dorfes wohnte der Vater Dörthes, der Stellmacher Klempt. Man mußte einen kleinen Garten durchschreiten, ehe man zu dem mit Schindeln gedeckten Häuschen des Alten kam. Das heißt, es war eigentlich kein richtiger Garten, denn es blühten nur wenige Blumen darin – ein paar Georginen und Pechnelken, die dicht am Staketzaun standen –, alles übrige war Wiese und Kartoffelland. Dicht am Hause hatte Klempt sich eine kleine Baumschule angelegt. Das war seine besondere Freude. Er zog allerdings keine Seltenheiten, sondern nur einige Reihen echter Kastanien, Edelakazien und Pfirsiche und ein paar hochstämmige Rosen, seine Sorgenkinder, die er im Winter durch Moosumhüllung und eine Panzerung von stachligem Wacholderbuschwerk vor den Angriffen hungriger Hasen schützte.

      Klempt war ein stiller und ruhiger Mensch, der sich durch mancherlei Ungemach des Lebens zu einer gewissen philosophischen Resignation durchgerungen hatte. In der Tat, er war ein Bauernphilosoph von eigentümlicher Prägung; dadurch, daß er sich von den andern zurückhielt und auch den abendlichen Zusammenkünften in der Krugwirtschaft fernblieb, daß er ein ziemlich einsames Leben führte und fast beständig auf sich selbst angewiesen war, hatte er sich in eine sonderliche Gedankenwelt eingesponnen, die er mit Emsigkeit pflegte, und in der er mit ganzem Sein aufging. Er hatte seine Frau und vier blühende Kinder hinsterben sehen. Die Dörthe war seine Letzte, aber er hatte es nicht gelitten, daß sie ihm die Wirtschaft führte. Sie sollte „die Welt kennen lernen“, wie er sich ausdrückte, und das fing damit an, daß sie auf dem Baronshofe in Dienst trat. Da Klempt indessen in seinem Haushalt der weiblichen Hand nicht völlig entbehren konnte, so nahm er seine einzige, unverheiratete Schwester Pauline zu sich. Das war ein langes, hageres Weibsbild, fast an die Sechzig, aber noch schwarzhaarig und mit glänzenden Augen in dem die Spuren einstiger großer Schönheit tragenden Gesicht. Die Pauline paßte zu ihrem Bruder; sie führte ein ähnliches Traumleben wie er, denn sie war völlig taub und pflegte sich nur durch ein eigenartiges Gebärdenspiel mit ihm zu verständigen. Sie war eine brave Person, etwas mystisch veranlagt, ewig in Punktierbüchern und Traumdeutungen kramend, männerscheu und von nervöser Empfindlichkeit, aber auch fleißig und sorgsam im Haushalt.

      Das war die Rechte für den Stellmacher. Auch er liebte es nicht, viel Worte zu machen. Dafür las er gern, besonders an den Winterabenden, und zwar am liebsten Geschichtswerke oder Geographiebücher, doch nie Romane, für die er nichts übrig hatte. Baron Hellstern, der Pastor und der Kantor liehen ihm, was sie auf ihren Repositorien hatten; bei der Arbeit verdaute der alte Klempt sodann seine Lektüre. Das war ein Genuß für ihn. Saß er draußen im Hofe auf seiner Hobelbank oder schlug die Speichen eines Rades ein, daß es weithin dröhnte durch das stille Dorf, so arbeitete nicht nur seine fleißige Hand, sondern auch seine Phantasie. Da war er mit Stanley in Afrika, unter den schwarzen Heiden und Menschenfressern, oder mit irgend einem Missionar an den Ufern des Ganges, oder oben am Nordpol, oder er schüttelte den grauen Kopf über die Greuel des Dreißigjährigen Krieges und berauschte sich an dem Freiheitsdurst der Griechen. In seinem groben Bauernhirn blieben naturgemäß nur die außerordentlichen Ereignisse haften, aber die Lust am Reflektieren, auf die ihn sein einsames Leben hinwies, hatte doch allgemach seine Anschauungsweise geläutert; er verglich gern, kritisierte auch und zog naive Schlüsse aus der Vergangenheit auf die Gegenwart.

      Jetzt saß er auf der hölzernen Bank rechts von der Tür seines Häuschens, hatte die Hände gefaltet im Schoß und schaute stumm auf das Spatzenheer, das sich vor ihm im heißen Sande des Hofes zankte. Man sah ihm die kaum überstandene Krankheit an. Er war recht hager geworden, und noch stärker und zottiger als vorher erschien der weiße Zimmermannsbart, der seine Wangen umrahmte. Aus dem braunen Gesicht blickten zwei hellblaue, treuherzige Augen; die von zahlreichen kleinen Falten durchzogenen Lippen waren fest aufeinandergepreßt; der linke Mundwinkel, in dem gewöhnlich die Pfeife hing, senkte sich ein wenig. Das Rauchen hatte ihm der Arzt strengstens verboten, und unter diesem Verbot litt der Alte am meisten. Er konnte ohne Pfeife nicht sein.

      Den Himmel überstrahlte bereits das Abendrot. Die weißen Lämmerwölkchen am Firmament waren rosig durchleuchtet, selbst der breite Schatten des alten Birnbaumes, der mitten im Hofe stand, hatte eine violette Umsäumung. Vom Anger herüber klang ein leises, melodisches Läuten; der Schäfer des Krugwirts trieb seine kleine Herde heim.

      Pauline trat in die Haustür, blieb einen Augenblick stehen und schaute nach dem Himmel, um zu sehen, ob während der Nacht ein Gewitter zu gewärtigen sei, und sagte sodann mit der etwas monoton klingenden Stimme, die allen Tauben eigen ist:

      „Komm


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