Aus tiefem Schacht. Fedor von Zobeltitz

Aus tiefem Schacht - Fedor von  Zobeltitz


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zu besuchen, trug ihr Feiertagskleid aus geblümtem Kattun und ein buntes Tüchlein um den Hals.

      „Holla, Vater,“ rief sie schon von weitem, „bist du noch draußen? Und hat nicht der Doktor gesagt, du sollst vor Sonnenuntergang wieder in der Stube sein?“

      „’s ist ja so schöne,“ antwortete Klempt lächelnd, und als er den Sonntagsstaat Dörthes sah, fügte er fragend hinzu: „Ist denn heute Kirmes, daß du dich so fein gemacht hast?“

      Dörthe gab dem Vater und der Tante die Hand.

      „Ich will mal zu Fritzen gehn,“ entgegnete sie. „Heut ist ’was los im Kruge. Das Springelchen an der Grauen Lehne soll ein Heilquell sein, hat ein Professor aus Frankfurt an den Kantor geschrieben. Da kommen sie alle zusammen.“

      „Hab’s auch schon gehört,“ meinte Klempt; „ein Wunderwasser, das Kranke gesund machen soll. ’s käm’ mir zunutze.“ Er schüttelte den Kopf. „’s wird bloß wieder so ein Gerede sein,“ fuhr er fort; „die Leute reden viel ...“

      Pauline tupfte ihrem Bruder auf die Schulter und zeigte nach der Tür.

      „Ja, ich komme,“ sagte er nickend. „Hast du’s so eilig, Dörthe? Wirst schon noch frühe genug im Kruge sein; bleib noch ein Huschchen!“

      „Aber nicht lange,“ antwortete Dörthe. Doch sie trat mit den beiden in das Stübchen, das vom Glanze des Sonnenrots völlig durchstrahlt zu sein schien.

      Pauline bereitete das Abendbrot, während sich Dörthe, die Hände auf die Hüften gestemmt, vor ihren Vater stellte.

      „Wie fühlst du dich denn?“ fragte sie.

      Er winkte mit der Hand.

      „So gesund wie früher, Dörthe, verlaß dich drauf! ’s ist ’ne Narretei vom Doktor, daß er mir noch immer das Rauchen verbieten tut. Das ist das einzigste, was mir noch fehlt.“

      „Solange du noch hustest, darfst du’s nicht,“ erklärte Dörthe. „Vater, ich riech’s, ich rieche gleich, wenn du geraucht hast. Du mußt doch parieren. Der Doktor kostet Geld, und wenn du nicht tust, was er befiehlt, ist das schöne Geld reinweg zum Fenster hinausgeworfen.“

      Sie sagte das sehr ernst. Klempt nickte grämlich.

      „Na, ja doch,“ sagte er. „Es dauert alles so lange. Und dabei hab’ ich mehr zu tun, als mir lieb ist!“

      „So nimm dir doch noch ’nen Gesellen, Vater! Ich hab’ dir’s schon ein paarmal gesagt!“

      „Ach was, daß er bloß ’rumlungert! Was tut denn so ’n Junge! Bis jetzt bin ich alleine fertig geworden und werd’s auch noch länger werden! Kotzschock, ich bin doch erst sechzig! ... Es war wohl Besuch auf dem Baronshof?“

      „Ja, die von drüben. Die Söhne auch ...“ Dörthe schnitt eine Grimasse und lachte schelmisch. „Paß einmal auf, unser Fräulein heiratet den ältesten! Da soll’s hinaus!“

      „Da käm’ wieder mal Geld ins Haus! Die drüben messen’s nach Scheffeln. Aber ob der Baron will?“

      „Warum denn nicht?“

      „Na, er ist doch so stolz!“

      „Ist er nicht,“ erklärte Dörthe kopfschüttelnd. „Und dann macht das Fräulein doch, was sie will. Aber ich will nichts gesagt haben. Die Hanne meint auch, das würde was werden.“

      „Was sagt denn August?“

      „Den hab’ ich gefragt. Da ist er mir aber grob gekommen. Der ist grob wie Bohnenstroh, Vater. Zum Baron geradeso wie zu uns, und dem scheint’s noch zu gefallen.“

      „Hast du ihm meine Rechnung gegeben?“

      „Nee, Vater, das eilt ja nicht so. Sie ist ziemlich hoch, da wart’ ich lieber bis zum Ersten und geb’ sie dem Fräulein. Am Ersten kriegt der Alte seine Pension und Zinsen und so was. Da wart’ ich lieber.“

      „Wart ruhig,“ stimmte der Stellmacher zu. „Die gehn mir nicht durch. Sind sie denn immer noch gut zu dir?“

      „Ja, sehr! Das Fräulein besonders – na, die ist ja immer gut! Den Alten kriegt man kaum zu Gesicht. Er hat’s wieder so schlimm in den Füßen, sagt August. Aber nu geh’ ich, Vater! Ich muß doch hören, was es im Kruge gibt.“

      „Verzähl’s mir morgen! Adjö, Dörthe! ... Du, Dörthe, und bedenk’s dir mit Möllers Fritze ...“

      Sie gab ihm einen herzhaften Kuß auf den Mund, so daß er den Satz nicht beenden konnte, und sprang aus dem Zimmer, der Tante beinahe in die Arme, die ihr im Hausflur mit einer Schüssel voll weißen Käses und der Leinölflasche entgegenkam.

      „Herrjeses,“ sagte Pauline, „so sieh dich doch vor! Hast du letzte Nacht was geträumt?“

      Dörthe nickte.

      Die Tante wurde wißbegierig.

      „Von was denn?“

      Dörthe tippte auf die Flasche.

      „Von Leinöl?“ fragte die Tante verwundert.

      Dörthe nickte wieder und tippte auf die Käseschüssel.

      Die Augen Paulinens wurden immer größer.

      „I – auch von Quark?“

      Dörthe machte mit der Hand eine wirbelnde Bewegung in der Luft.

      „Ach so,“ sagte die Tante, „zusammengerührt – Leinöl und Quark ...“

      Nun wies Dörthe auf die Lampe, die auf der Futterkiste in der Ecke stand.

      „Bei Licht?“ fragte die Tante.

      Dörthe tippte an das Bassin.

      „Was?“ rief Pauline. „Mit Petroleum? Leinöl und Quark und Petroleum? Wo soll ich denn das im Traumbuche finden! I – du willst mich wohl bloß zum Narren haben?! Dörthe, hör mal, Dörthe, du machst dich immer lustig über mich, aber ich will dir was sagen: ich habe vor ein paar Tagen von einem Gewitter geträumt, und es hätte eingeschlagen. Das gibt Unfrieden im Hause. Sieh dich vor mit dem Fritze. Ich rede sonst nicht davon ...“

      Das hatte die Dörthe nun so oft gehört, daß sie ärgerlich wurde.

      „Laß mich in Frieden, Tante!“ rief sie zurück, gar nicht daran denkend, daß Pauline sie nicht verstehen könne, und eilte hinaus, den Gartenweg hinauf, auf den Dorfplatz.

      Erst hier mäßigte sie ihren Schritt. Sie war ganz rot im Gesicht, und auf ihrer Stirn, von der das braune Haar glatt gescheitelt zurückgestrichen war, lag eine schwere Falte.

      Sie ärgerte sich. Zu dumm, diese ewigen Mahnungen und Warnungen! Sie war doch klug genug, auf sich selbst Obacht zu geben! Aber der Vater hatte von jeher im Streit mit den Möllers gelegen, und von der Tante erzählte man sich, daß sie einstmals der Schatz des alten Möller gewesen sei. Der aber hatte sie sitzen lassen. Daher ihr grimmiger Haß gegen alles, was im Kruge wohnte ...

      Der Abend sank über das Dorf herab. Auf dem Anger spielte noch eine Schar Kinder. Sie hatten sich an den Händen gefaßt, drehten sich im Kreise und sangen dazu mit ihren dünnen Stimmen:

      „Ich steh’ auf einem hohen Söller,

       Ich steh’ in einem tiefen Keller,

       Heisa dusematee!

       Fängst du mich,

       Lieb’ ich dich,

       Aber nee, du kriegst mich nich –

       Heisa dusematee!“

      Von der Chaussee aus rollten ein paar Ackerwagen in das Dorf, und ein Viehjunge trieb seine Herde zum Stall. Vereinzelte Bauern hatten schon mit der Ernte begonnen, aber sie machten heut frühzeitig Feierabend, denn es hatte sich herumgesprochen, daß der Kantor am Abend im Kruge sein wolle,


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