Aus tiefem Schacht. Fedor von Zobeltitz

Aus tiefem Schacht - Fedor von  Zobeltitz


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sie geheiratet, als er bereits ein gemachter Mann war und seine Verhältnisse es ihm gestatteten, in eine „gute Familie zu kommen“. Er war immer liebenswürdig zu ihr, aber nie gütig. Ihre Bescheidenheit mißfiel ihm zuweilen; er hätte sich eine glänzendere Repräsentantin für sein Hauswesen gewünscht. Ihrer feinen musikalischen Bildung und ihrer Verehrung für Wagner zuliebe war er auf den schnurrigen Einfall gekommen, seinen Söhnen die Namen Hagen und Gunther geben zu lassen.

      „Aber der grimme Hagen macht durchaus keinen blutdürstigen Eindruck,“ bemerkte Herr von Hellstern lächelnd, als das Gespräch sich dem Wagnerianismus zuwandte; „im Gegenteil ...“

      Gunther, der jüngere der Brüder, errötete leicht, obschon nicht von ihm die Rede war. Er war schlank und schmächtig und ähnelte der Mutter. Ein Paar sehr schöne und kluge, sammetbraune Augen belebten das etwas blasse Gesicht.

      Der „grimme Hagen“ schlug mehr dem Vater nach. Er war ebenso lebhaft wie dieser in Sprache und Bewegungen und zog den Mund ein wenig schief, wenn er lächelte. Er war auch der ganze Stolz seines Erzeugers, der Leiter der Fabrik und Träger der Firma, ein tüchtiger Kaufmann trotz seiner Lebemannsallüren. Gunther war aus der Rasse gefallen. Er hatte keinerlei merkantile Neigungen und galt für einen Gelehrten. Er war Literarhistoriker.

      Das interessierte Hedda. Sie fragte, wo er studiere, und befand sich bald in angeregter Unterhaltung mit ihm. Gunther erzählte, daß er es bereits bis zum Dozenten an der Berliner Universität gebracht habe, und daß seine Spezialität die höfische Dichtung des Mittelalters sei. Insofern mache er auch seinem „ihm wider Willen“ gegebenen Vornamen Ehre, als er sich mit besonderem Eifer auf die Erforschung des Nibelungenliedes geworfen habe. Er führte noch einige Lyriker und Didaktiker aus der Blütezeit des Minnesangs an, Namen, die Hedda ziemlich fremd an das Ohr klangen; nur von Walter von der Vogelweide, von Tannhäuser und Ulrich von Lichtenstein hatte sie schon gehört.

      Aber es gefiel ihr alles, was der junge Gelehrte sagte. Er hatte so eine nette Art, sich auszudrücken, und das weiche, sympathische Organ seiner Mutter. Er sprach bescheiden und ruhig und schien sichtlich erfreut zu sein über das Interesse, das Hedda ihm und seinem Studium entgegenbrachte. Unwillkürlich hatten die beiden während ihrer Unterhaltung sich ein wenig von den übrigen zurückgezogen. Sie standen in einer Fensternische, während die andern sich um den Sofatisch gruppierten.

      Der Kommerzienrat führte im Augenblick das Wort.

      „Ja, denken Sie sich, mein verehrter Herr Baron,“ sagte er, den ausgestreckten Zeigefinger seiner Rechten hoch in der Luft, „die Quelle soll in der Tat Mineralgehalt haben. Hören Sie mal, das könnte ’ne große Sache werden! Was meinen Sie, wenn wir aus Oberlemmingen ein Bad machten?!“

      „Bleiben Sie mir vom Leibe!“ rief der Baron zurück. „Ein Bad – na, das fehlte noch! Bin froh, daß wir hier so in der Stille und Ruhe sitzen! Übrigens glaub’ ich das noch nicht recht – das mit der Quelle. Wo soll sie sein – an der Grauen Lehne?“

      Schellheim nickte eifrig.

      „Ja – an der Grauen Lehne, im Möllerschen Gehölz,“ antwortete er. „Man hat sie gar nicht beachtet – was versteht der Bauer vom Gurkensalat! Aber da hat sich ein Lehrer aus Frankfurt während der großen Ferien bei Möller im Gasthof eingemietet, und dem ist die Gaseentwicklung aufgefallen, mit der die Quelle aus dem Boden sprudelt, – wissen Sie, ich habe mir das Dings angesehen, es moussiert förmlich – wie eine Pommery ... Und da hat er denn einen befreundeten Chemiker darauf aufmerksam gemacht, der hat das Wasser genauer untersucht. Was soll ich Ihnen sagen, mein bester Herr Baron, – der Mann hat Kohlensäure und Eisen konstatiert und Möller angeraten, die Quelle schleunigst fassen zu lassen.“

      Der Baron schüttelte den Kopf und strich sich dann über den Leib.

      „Das Marienbader hat mich nicht schlanker gemacht,“ meinte er; „vielleicht ist unser heimisches Wässerchen wirkungsvoller.“

      Schellheim lachte.

      „Nun denken Sie mal an! Wenn wir nicht mehr in die Ferne zu schweifen brauchten, sondern gleich immer an Ort und Stelle unser alljährliches Gesundungsbad nehmen könnten! Alle Wetter, das wäre doch wirklich famos! Ich hätte große Lust, dem alten Möller das Quellenterrain abzukaufen. Allzu unverschämt wird er ja hoffentlich nicht sein.“

      „Eh – na – warten Sie’s ab, Herr Kommerzienrat! Wie ich unsre Bauern kenne, lassen sie sich nicht so leicht die Butter vom Brote nehmen. Und namentlich der alte Möller, – der hat’s faustdick hinter den Ohren ... Offen gestanden, ich wünschte, die ganze Geschichte beruhte auf einem Irrtum. Mit unserm stillen Frieden ist’s aus, wenn wir erst Badegäste hierher bekommen. Ich gucke unsre paar Sommerfrischler schon immer unwirsch von der Seite an.“

      „Das ist egoistisch, lieber Baron –“

      „Ah was, jeder ist sich selbst der Nächste! Ich bin glücklich in meiner Einsamkeit. Hab’ neulich einmal irgend einen modernen Dichter gelesen, der nennt die Einsamkeit ein ‚vornehm’ Land‘. Und, weiß Gott, der Poet hat recht! Ich möchte mir nicht gern mein letztes Eckchen ‚vornehm’ Land‘ rauben lassen.“

      Der Kommerzienrat verzog den Mund.

      „Alle Achtung vor Ihrem Dichtersmann, Herr Baron – aber die Einsamkeit widerspricht dem Zeitgeist. Wer für die Menschheit lebt, muß mitten im Menschentreiben stehn.“

      „Oho – haha – Kommerzienrat, fragen Sie mal den Jüngsten Ihrer Nibelungen, ob er im Trubel und Gewühl schaffen und arbeiten kann! Und lebt doch am Ende auch für die Menschen seiner Zeit.“

      Die Rätin nickte, und der grimme Hagen warf ein, mit schiefen Mundwinkeln gleich seinem Herrn Vater, sich an der Krawatte zupfend: „Ach nein, Herr Baron – den Gunther muß man als Sonderling beurteilen. Der ist am glücklichsten, wenn sich kein Mensch um ihn bekümmert, und selbst seine Forschungen hält er ängstlich geheim.“

      „’s ist so,“ fiel Schellheim ein, während die beiden in der Fensternische sich nicht in ihrer Unterhaltung stören ließen, sondern nur zuweilen mit leichtem Lächeln zu den andern herüberschauten; „ich bin kein Banause, lieber Baron, und schätze Wissenschaft und Kunst – ah, nun ja – ganz gewiß! Aber ich frage dennoch: was gewinnt die Menschheit, wenn irgend ein Gelehrter nach unendlichen Mühen herausgekriegt hat, daß Heinrich von Ofterdingen möglicherweise ein paar Strophen des Nibelungenliedes gedichtet habe? – Ich bitte Sie, die ganzen gelehrten Wissenschaften, die nicht praktischen Zwecken dienen, sind doch eigentlich nur Füllsel im Dasein, pikante Zutaten zu der Pastete, aber keine Kost, die den Hunger der Lebenden stillt! Den Hunger der Lebenden,“ wiederholte er nochmals, als gefalle ihm der Ausdruck besonders, und dann fuhr er raschen Wortes fort, da er sah, daß seine Frau unruhig wurde und verschiedenfach nach dem Fenster blickte: „Ich hätte ja am liebsten gehabt, Gunther hätte gleichfalls die kaufmännische Karriere ergriffen. Er wollte nicht – schön – ich bin kein Rabenvater. Aber nun ausgesucht Literarhistoriker! Warum nicht Jurist? Warum nicht Mediziner? Meinethalben bloß Theoretiker – Anthropologe, Bazillenmensch – die haben doch feste Ziele im Auge, ich bitte Sie, und ihre Untersuchungen nützen der Gesamtheit.... Nein – er wollte partout ein Bücherwurm werden –“

      „Und fühlt sich recht wohl dabei,“ warf Gunther ein. Er war aus der Nische getreten. Sein blasses Gesicht hatte sich leicht gerötet. Er lächelte, aber es zuckte doch auch ein wenig bitter um seine Mundwinkel. „Papa ist nun mal ein Fanatiker der sogenannten praktischen Berufe, Herr von Hellstern,“ wandte er sich wie entschuldigend an den Baron; „ich begreife es auch. Wer, wie er, sich nur in rastloser produktiver Tätigkeit wohl fühlt, der kann einer stillen Gelehrtenarbeit schwerlich Geschmack abgewinnen. Ich höre übrigens, daß Sie mit einer Geschichte Ihres Geschlechts beschäftigt sind, Herr Baron, und sich in umfangreiches Quellenmaterial zu vertiefen haben. Wenn ich Ihnen irgendwie dienlich sein kann –“

      „Merci, Herr Doktor – sehr liebenswürdig,“ entgegnete Hellstern; „das Lateinische macht mir ja manchmal Kopfzerbrechen; und wenn mir etwas besonders Verzwicktes unter die Finger kommen sollte, will ich mich gern an Sie wenden. Bleiben Sie noch einige Tage hier?“


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