Dr. Norden Staffel 2 – Arztroman. Patricia Vandenberg

Dr. Norden Staffel 2 – Arztroman - Patricia Vandenberg


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hast du auch Verkaufserfahrung.« Tatjana kehrte aus dem kleinen Hinterzimmer in den Verkaufsraum zurück und grinste schief. »Frau Bärwald ist in zehn Minuten wieder da. Wie ich dich kenne, hast du die ganze Bäckerei bis dahin an einen Millionär verkauft!« Sie drückte Fee einen Kuss auf die Wange, lächelte den Kunden, der eben die Bäckerei betreten hatte, strahlend an und lief auch schon aus dem Geschäft, um sich auf dem schnellsten Weg in die Klinik zu begeben. Fee dagegen nahm noch schnell das Telefonat an, das auf ihrem Mobiltelefon eingegangen war. Es war ihr Mann Daniel, der ihr atemlos verkündete, dass in den kommenden Tagen ein Sechzehnjähriger bei ihnen wohnen würde.

      »Kannst du bitte Lenni Bescheid sagen, dass sie alles vorbereitet? Ich kann sie im Augenblick nicht erreichen.«

      »Natürlich, mein Schatz. Aber zuerst verkaufe ich eine Bäckerei.« Fee lächelte ihren Kunden an, der sofort einen Schreck bekam und am liebsten die Flucht ergriffen hätte. Allein sein Hunger hinderte ihn daran.

      *

      Ohne anzuklopfen, stürmte Tatjana ein halbe Stunde später in Dannys Krankenzimmer. Und blieb wie angewurzelt stehen. Danny war nicht allein. Wieder einmal war Olivia bei ihm. Sie saß auf der Bettkante, und ihre Wangen glühten förmlich, als ihr Kopf herumfuhr.

      Einem ersten Impuls folgend wollte sich Tatjana sofort umdrehen und fliehen. Doch Dannys Stimme hielt sie zurück.

      »Tatjana! Endlich! Komm her, ich will dir jemanden vorstellen.«

      Einen Augenblick haderte Tatjana mit sich. Dann schluckte sie die dumme Eifersucht hinunter, lächelte freundlich und ging auf die beiden zu.

      »Du bist Olivia, nicht wahr?«, fragte sie und streckte der vermeintlichen Konkurrentin die Hand hin.

      »Und du Tatjana«, wusste die sofort, mit wem sie es zu tun hatte. »Danny hat mir die ganze Zeit von dir vorgeschwärmt. Ich war gerade dabei, Komplexe zu kriegen«, kicherte Olivia vergnügt. »Dabei bist du ja ein richtiger Mensch. Oder hast du die Engelsflügel unterm T-Shirt versteckt?«

      Tatjana verdrehte die Augen.

      »Ich hab dir doch schon x-mal gesagt, dass du den Leuten keine Märchen über mich erzählen sollst«, tadelte sie Danny sanft. »Die Teufelshörner habe ich nur abgefeilt.« Doch die offensichtliche Freude und Liebe, die aus ihren Augen blitzte, verriet sie.

      »Das würde ich nie tun«, versprach Danny hoch und heilig. Der Schrecken, den Tatjana ihm mit ihrem Angebot eingejagt hatte, saß tief, sodass er sich keinen Scherz mit ihr erlauben wollte. Sie sollte ihm glauben, dass er sie wollte. Sie und nur sie allein.

      Olivia war sensibel genug, um zu wissen, dass die beiden allein sein wollten.

      »Gut, dass du da bist«, sagte sie munter zu Tatjana. »Ich muss nämlich jetzt los. Für den Unterricht nächste Woche pauken.« Sie schickte einen Stoßseufzer in den Himmel. »Mein Vater ist echt gnadenlos. Am liebsten würde er mir den Jahresstoff in eine einzige Woche packen. Kein Maß und kein Ziel, dieser Mann.« Sie schüttelte den Kopf, doch es war nicht zu übersehen, wie stolz und glücklich sie war.

      »Du wirst ihn schon um den kleinen Finger wickeln«, versprach Danny, dankte Olivia für den Besuch und sah ihr fast ungeduldig nach. Kaum hatte sich die Tür hinter ihr geschlossen, als er auch schon die Arme nach Tatjana ausstreckte.

      Sie zögerte nicht und kam seiner stummen Aufforderung nach. Dabei fiel ihr Blick auf die frisch verbundene Hand.

      »Nanu, du bist ja dein Frankenstein-Gestell los«, bemerkte sie erleichtert.

      »Ja, und stell dir vor: Die Hand wird wieder ganz gesund werden. Ein paar Wochen, dann kann ich wieder praktizieren. Der Familiengründung steht also nichts mehr im Weg.« Er zwinkerte ihr vergnügt zu und legte die Arme um ihre schmale Hüfte, um sie an sich zu ziehen.

      »Darüber muss ich erst mal gründlich nachdenken«, kicherte Tatjana übermütig, als sie sich über ihn beugte und sein geliebtes Gesicht mit Blicken streichelte. Endlich war die Fremdheit der letzten Tage verschwunden und der alten Vertrautheit gewichen. Alles war wieder, wie es sein musste. »Dieser Denk-Prozess wird vermutlich mehrere Jahre in Anspruch nehmen«, warnte sie ihn vorsichtshalber schon mal vor.

      »Solange du nicht überlegen musst, ob du mir genügst, bin ich mit allem einverstanden«, raunte Danny ihr ins Ohr.

      »Ich liebe dich«, flüsterte Tatjana statt einer Antwort.

      »Und ich dich erst«, gab er unendlich erleichtert zurück.

Ein schwieriger Gast

      »Annemarie? Bist du das?« Ein ungläubiges Staunen im Gesicht, stand Hanno Thalbach am Tresen der Praxis Dr. Norden und betrachtete eine der beiden Assistentinnen. Ein ungläubiges Staunen stand ihm im Gesicht.

      Wendy, die den Patienten mit gewohnter Höflichkeit, aber ebenso wie alle anderen, begrüßt hatte, sah zuerst den Mann und dann den Fragebogen an, den er für sie ausgefüllt hatte. Erst als sie seinen Namen noch einmal und diesmal aufmerksamer gelesen hatte, ging ihr ein Licht auf.

      »Hanno! Ist das denn die Möglichkeit!« Ein Strahlen glitt über ihr Gesicht, und ihre Augen leuchteten vor Freude auf. »Um ein Haar hätte ich dich nicht wiedererkannt.«

      »Kein Wunder.« Der Herr mit dem markanten Gesichtszügen, dem Grübchen im Kinn und den silbergrauen Haaren zeigte sich großzügig. »Immerhin haben wir uns bestimmt dreißig Jahre lang nicht gesehen. Ich verzeihe dir also großmütig.« Er zwinkerte ihr trotz seiner Schmerzen gut gelaunt zu.

      Wendys Kollegin Janine, die im kleinen Labor neben dem Tresen Behandlungsbesteck sterilisierte, warf einen verstohlenen Blick durch die Tür, um zu sehen, wer ihrer Freundin und Kollegin dieses ungewöhnliche Lachen in die Stimme zauberte.

      »Immer noch so großherzig wie damals«, spielte Wendy das Spiel ihres alten Bekannten amüsiert mit. Tapfer ignorierte sie dabei den strengen Geruch, der von seiner durchaus gepflegten Erscheinung ausging. »Aber sag mal, was führt dich denn nach München und ausgerechnet in unsere Praxis?« Sie blickte noch einmal auf den Fragebogen und sah ihre Annahme bestätigt. »Du wohnst ja immer noch in Heidelberg. Wenn ich nicht irre …«, sie zählte kurz nach, »… seit zweiunddreißig Jahren.«

      »Das weißt du noch?« Hanno lächelte geschmeichelt und entblößte eine Reihe blendend weißer Zähne.

      Wendy errötete schlagartig und senkte den Blick.

      »Wie könnte ich das je vergessen?« Sie suchte nach passenden Worten, doch in dieser Umgebung, an ihrem Arbeitsplatz, mit dem Wartezimmer voller Menschen, wollte sie nicht mehr Privates preisgeben als unbedingt nötig. Deshalb besann sie sich auf das Nächstliegende. »Also, raus mit der Sprache«, forderte sie ihn auf. »Was fehlt dir?«

      Hanno antwortete nicht sofort. Sein wohlwollender Blick ruhte auf Wendy, ein feines Lächeln spielte in seinen Mundwinkeln.

      »Ich bin Immobilienmakler und habe mich auf alte Bauernhöfe spezialisiert«, setzte er dann zu einer Erklärung an. »Einer meiner Kunden hat mich beauftragt, einen Hof im Einzugsgebiet von München zu suchen.«

      Das erklärte zumindest ansatzweise den strengen Geruch, der durch den Empfangsbereich der Praxis zog.

      »Und bist du fündig geworden?«, fragte Wendy und drehte sich kurz zu Janine um, die mit ­einem anzüglichen Grinsen hinter ihr ans Fenster trat und es öffnete.

      Hanno bemerkte es nicht. Er hatte nur Augen für seine frühere Freundin.

      »Allerdings. Leider war niemand zu Hause. Als ich mich ein wenig auf dem Gelände umsehen wollte, ist es passiert. Ich bin auf einem Kuhfladen ausgerutscht und mit dem Knie auf einem Felsbrocken gelandet.« Hanno schnitt eine Grimasse und zog die Hose ein wenig hoch. »Das nur zur Erklärung, falls du dich über mein aufregendes Parfüm gewundert hast.«

      Janines ersticktes Kichern verriet, dass sie mitgehört hatte.

      Trotz aller Sorge um Hannos Gesundheit konnte sich auch Wendy ein erleichtertes Lachen nicht verkneifen.


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