DUNKLE ZEITEN. Dane Hatchell

DUNKLE ZEITEN - Dane Hatchell


Скачать книгу
geschleudert hatte. In dem Moment, als er die Tür des engen Empfangsbereichs öffnete, rief ihm die Rezeptionistin nach: »Auf dem Zimmer stehen ein Eiskübel und Einwegbecher, einen Eiswürfelbereiter gibt es gleich hier um die Ecke, den Getränkeautomaten auch. Der Aussteller hat ihn erst heute nachgefüllt.«

      »Gut zu wissen. Falls Sie morgen früh nicht mehr hier sein sollten: War nett, Sie kennenzulernen.« Hoffentlich hatte er die alte Frau nicht zu sehr beleidigt. Er stellte sich vor, dass sie auch trotz ihres Aussehens ein netter Mensch war. Den Wert einer Person von ihrem Erscheinungsbild abhängig zu machen war grundlegend falsch. Er wusste, das stimmte zwar bis zu einem gewissen Punkt, obwohl ihn seine Erfahrung als Polizist natürlich gelehrt hatte, jemanden anhand seines Äußeren einzuschätzen sei sehr wohl möglich.

      Er konnte immer noch hören, wie sich die betagte Lady die Lunge aus dem Leib hustete, als er die Bürotür geschlossen hatte und schon auf halbem Weg zu seinem Zimmer war.

      ***

      Er musste eine Weile fummeln und rütteln, bis der Zimmerschlüssel endlich ins Schloss passte. Das Loch musste dringend mal geölt werden, wohingegen sich der Knauf locker anfühlte und hin und her rappelte, als er ihn umdrehte.

      Der Moment der Wahrheit, dachte er beklommen und knipste das Licht an. Ta-da!

      Eine Lampe auf einem kleinen Tisch neben dem Bett ging an, wobei sich zeigte, dass eine der drei Glühbirnen bereits den Geist aufgegeben hatte. Es gab überhaupt keine Deckenbeleuchtung, nicht einmal am Ventilator, was aber auch nicht allzu ungewöhnlich wirkte, da die meisten Motels auf dieser Qualitätsstufe, die Lichter auf ein Minimum beschränkten, um ihre Schlampigkeit besser verbergen zu können.

      Die Wände waren in einem hellen Gelbbraun gestrichen, den Boden hatte man mit dunkelbraunem Teppich bedeckt, und Rico malte sich schon aus, dass er Jahre alte Schätze enthielt, die zu bergen ihm äußerst fernlag. Das Doppelbett war ordentlich gemacht und mit einer schokoladenbraunen Tagesdecke überzogen. Die Matratze hing ganz offensichtlich in der Mitte durch, als habe ein Pferd darauf geschlafen oder eine Leistungsschau des ansässigen horizontalen Gewerbes genau hier stattgefunden. Ich werde dieses Zimmer einfach Fifty Shades Of Brown nennen, dachte Rico. Sogar in den Bildern an den Wänden überwog diese Farbe.

      Es roch noch schlimmer, als es aussah, was ihn unwillkürlich an die Turnhalle seiner alten Highschool erinnerte, bloß dass es hier noch strenger war. Man erkannte eindeutig, dass Miss Tammy nicht gelogen hatte, dass der Raum gesäubert worden sei. Der Knackpunkt bestand aber leider darin, dass der bedrückende Gestank alter Schweißsocken nun im Clinch mit dem überwältigenden Geruch von Bleichmitteln lag. Es kam ihm so vor, als versuche jemand die Ausdünstungen von indischer Wäscherflechte und Fußpilz mit allem zu bekämpfen, was das Reinigungsgewerbe von San Antonio hergab. In seinen Nasenlöchern kribbelte es, während er sich im Zimmer hektisch nach einem Fenster zum Öffnen umschaute. Pech für ihn: Es gab nur eins hinter dicken Vorhängen, das aus einem soliden Stück Glas bestand.

      Rico ließ sein Gepäck auf den Boden fallen und legte seinen Helm vorsichtig auf eine Kommode – das einzige richtige Möbelstück im Raum – gleich neben dem 20-Zoll-Fernsehgerät.

      Es war warm genug, um die Klimaanlage unter dem Fenster einzuschalten. Er stellte sie auf Gebläsebetrieb, um ein bisschen Frischluft zuzuführen, und fand in dem kleinen Bad ebenfalls einen Deckenventilator, also stand dem Lüften nichts mehr im Weg. Es war zwar nicht viel, was er machen konnte, aber immerhin etwas.

      Nachdem er sich auf das Bett gepflanzt hatte, suchte er das Motel auf seiner Karte und überlegte, wohin er als Nächstes weiterfahren würde. Wie sollte er sich nur entscheiden? Hatte er überhaupt eine Wahl? Erwuchsen bedenkliche Folgen im Leben immer einzig aus freiwilligen Beschlüssen, oder hatten Gott oder das Universum den Lauf der Dinge von vornherein vorherbestimmt? Was, wenn er einfach eine Flasche auf die Karte legte, sie rotieren ließ und dann jene Richtung einschlug, die ihm der Hals vorgab? So verlockend es sich auch anhörte, fand Rico es zu verantwortungslos. Setzte er seinen Weg nach Westen fort, konnte er sein Glück irgendwo in Neumexiko suchen – oder er nahm eine einfache Route, indem er der Bundesstraße durch Louisiana folgte und Mississippi oder Alabama ansteuerte. Er hatte unendlich viele Möglichkeiten, die Frage lautete bloß wo? Das gefiel Rico, er mochte es, nicht hier oder dort sein zu müssen. Während seiner Dienstzeit bei der Polizei war er jahrelang an einen äußerst überschaubaren Bereich auf dem Planeten gefesselt gewesen, und abseits der Arbeit an eine Frau, der er es immerzu hatte recht machen wollen. Jetzt brauchte er seit langer Zeit einzig und allein sich selbst zufriedenzustellen. Sich heute Abend auf eine Wegrichtung festzulegen belastete ihn momentan zu stark. Er beschloss daher, sich ein wenig vor der Bürde der Verantwortung zu drücken. Das Ganze konnte auch noch bis zum Morgen warten.

      Allerdings galt es zunächst, sich den Schmutz abzuwaschen, den der Tag mit sich gebracht hatte, und sich eine Mütze voll Schlaf zu gönnen. Ehe er das allerdings tun konnte, musste er erst einmal den trockenen Geschmack von Sportsocken und Desinfektionsmittel in seinem Mund loswerden.

      Es stank zum Glück schon nicht mehr so schlimm in seinem Zimmer. Dies schien die perfekte Gelegenheit zu sein, um dem Eiswürfelbereiter und dem Getränkeautomaten einen Besuch abzustatten. Schade, dass er keine standesgemäße Zigarre zum Schmauchen bei sich hatte, um den Beginn seines neuen Abenteuers richtig zu feiern.

      Sofort als er hinausging, atmete er tief die frische Abendluft ein. Weder herrschte auf der Straße vor dem Motel Verkehr noch Betrieb auf dem Parkplatz. Sieht ganz so aus, als seien alle bereits in die Falle gekrochen, schlussfolgerte Rico. Seine Schritte hallten auf dem Gehsteig wider, als er um die Ecke ging, wo die Automaten vor sich hinbrummten.

      Der mit den Getränken war das modernste Gerät, das er seit seinem Abstecher in diese hinterwäldlerische Gegend gesehen hatte. Inmitten der üblichen Auswahl von Cola, Cola Light und Nicht-Cola verhieß eine hell leuchtende Taste sogar Entspannung in Gestalt von 0,33l Dosen Big Red. Er bot dem Automaten einen Dollarschein an, der sofort eingezogen und akzeptiert wurde. Die Dose polterte laut in den Auswurf. Rico bückte sich nach ihr und den fünfundzwanzig Cent Wechselgeld.

      »Hallo«, sagte plötzlich eine Frau.

      Rico war derart in Gedanken versunken gewesen, dass ihn die Begrüßung der Frau unglaublich erschreckte. Er erstarrte und fuhr mit dem Kopf in die Richtung herum, aus der die Stimme erklungen war.

      Kaum dass er sie sah, wollte er einfach nur wieder in dem übel riechenden Zimmer sein und für sich allein bleiben. Denn auf den Straßen von Killeen war er solchen wie ihr nahezu täglich begegnet. Im Grunde trugen sie alle das Gleiche … diese hier hatte ihr fast fleischloses Knochengerüst in einen knappen Rock und ein enges Shirt gesteckt. Ihr ungepflegtes blondes Haar sah aus, als sei es zuletzt vor einer Woche gekämmt worden. Außerdem stellte sie ein paar falsche Brüste zur Schau, vermutlich die Nachfrage steigernde Geschenke eines Mackers, der letzten Endes zu ihrem Arbeitgeber geworden war. Sie versteckte sich teilweise hinter einer großen baumelnden Handtasche. Ihr ganzer rechter Arm war mit Einstichlöchern übersät. Bei dieser Frau handelte es sich definitiv um eine drogenabhängige Nutte, die diese Tatsache nicht im Geringsten verhehlte.

      Rico hatte sich oft genug mit denen herumgeschlagen, die vom Leben gebeutelt worden waren, und konnte deshalb einschätzen, dass sie zwischen zweiundzwanzig und fünfundzwanzig war – was ungeübte Augen aberwitzig finden würden, denn sie sah keinen Tag jünger als fünfundvierzig aus. Der elende Tagesbetrieb der Prostitution hatte ihrer Haut den Glanz der Jugend geraubt und gebräuntes, faltiges Leder hinterlassen. Aufgrund ihrer augenscheinlichen Drogensucht war sie um weitere Kraftreserven ärmer und körperlich vollkommen ausgezehrt. Ihre Augen, zurückgesunken mit dunklen Halbmonden darunter, stachen wegen ihrer Blässe umso unansehnlicher hervor. Auf ihrem rechten Knie breitete sich ein Ausschlag aus, bestimmt infolge einer Angewohnheit, sich im zugedröhnten Zustand genau dort zu kratzen. Blieb also nur noch die Frage, womit sie sich zudröhnte: Crack, Meth oder Heroin?

      »Sind Sie ein Bulle?«

      Na, da redete aber jemand nicht lange um den heißen Brei herum, dachte er, als er seine Hand ausstreckte und das Getränk aus dem Schlitz zog. Danach suchte er den Blick seines Gegenübers. Als er erkannte,


Скачать книгу