DUNKLE ZEITEN. Dane Hatchell
die Preise denn annehmbar?«
»Also, das weiß ich nicht, Mister. Ist ja nicht so, dass ich selbst dort schlafen würde.« Daraufhin bekam Kevin einen heftigen Hustenanfall.
Er brauchte ein paar Minuten, um sich wieder zu beruhigen, dann machte er die Scheine klein und gab ihm den Rest zurück, ohne noch mal abzuzählen. »Vergessen Sie Ihre Limo nicht. Sie können Säule eins benutzen.«
Rico nickte wieder. Nachdem er eine Dose Sprite und sein Sodbrennen am Stiel mitgenommen hatte, ging er hinaus.
»Was macht denn der gute alte Kevin? Er schaltet das falsche Ventil für mich frei«, maulte er leise. Er musste das Motorrad also zur benachbarten Zapfsäule zurückschieben.
In der Ferne gurrte ein Nachtvogel, während er Benzin in seine durstige Maschine pumpte. Der Vollmond stand niedrig am Horizont, wo der Highway verschwand. Rico fragte sich, wohin er ihn wohl führen würde. Bestimmt weit weg … an einen Ort mit besseren Aussichten als jenen, die das zahnlose, Taschenrechner kaputtmachende Genie Kevin hatte.
Und außerdem weit weg von dem Husten.
***
Vor dem Western Winds Motel hing keine blinkende Reklame, das erschöpfte Reisende dazu einlud, für die Nacht dort unterzukommen. Stattdessen verließ man sich hier auf ein klappriges Lackschild, das von bunten Flutscheinwerfern angestrahlt wurde, um Gäste anzulocken. Kein Schwimmbecken für die Kinder, auf einem solchen Niveau rangierte der Betrieb einfach nicht.
An der Bürotür vorn klebte in großen, gelben Buchstaben der Hinweis »Zimmer frei«. Als Rico öffnete, wehten ihm kalter Zigarettenrauch und der Geruch von Formaldehyd der Pressspanplatten entgegen. Das Innere sah wie aus der Zeit gefallen … nach den Fünfzigerjahren aus. Der Teppich war abgetreten, und falls er schon zusammen mit der ursprünglichen Einrichtung hier gelegen hatte, wäre es auch nicht verwunderlich gewesen. Das dürfte wohl einen Eintrag ins Guinnessbuch der Rekorde für das mieseste Motel in ganz Texas wert sein, dachte Rico. Wäre er mit einem Zelt gereist, hätte er garantiert lieber darin geschlafen als hier. Bloß wären ihm dann weder eine heiße Dusche noch ein warmes Bett beschieden gewesen. Gott, hoffentlich waren die Betten wenigstens weich und sauber …
Was Kevin in der Tankstelle als Büro bezeichnet hatte, war in Wirklichkeit ein Raum mit einer Grundfläche von lediglich vier mal sechs Fuß. Dieser erinnerte Rico an das Badezimmer in seinem Elternhaus, als er ein kleiner Junge gewesen war, nur ohne die Toilette und das Waschbecken. Die Frau hinter dem Rezeptionstisch bemüßigte sich nicht einmal, ihren Kopf zu heben, als er eintrat. Es musste sich offenbar um die ominöse Miss Tammy handeln, die Kevin erwähnt hatte. Sie war anscheinend zu sehr in ihren Papierkram vertieft, um zu bemerken, dass er hereingekommen war.
»Äh, entschuldigen Sie bitte, Ma'am.« Rico bemühte extra seine sanfte und höfliche Stimme. »Miss Tammy?«
»Die bin ich, wollen Sie ein Zimmer?« Sie machte keinerlei Anstalten, ihre Schreiberei zu unterbrechen.
»Ja, Ma'am. Ich würde nur heute Nacht bleiben. Wie viel kostet ein Zimmer denn?«
Nun hob sie ihren Kopf und warf einen Blick in seine Richtung. Gleich unter ihrem viel zu langen, grau melierten Haar stach an der linken Wange ein fieser, schwarzer Leberfleck hervor. »Fünfundzwanzig Dollar im Voraus. Falls Sie mit Karte zahlen wollen, wird es teurer.«
Fünfundzwanzig Dollar war spottbillig, selbst für so ein Drecksloch. Er hoffte, sie habe ihn nicht missverstanden und ging in der Annahme, er wolle pro Stunde Aufenthalt zahlen; dieser Ort hätte sich klaglos auch als Lustgrotte für Nutten angeboten. »Was verlangen Sie denn für Ihr bestes Zimmer? Eins mit einem netten sauberen Bett – je größer, desto besser?«
»Fünfundzwanzig Dollar, habe ich doch gerade gesagt. Alle Zimmer kosten das Gleiche. Bleiben Sie jetzt hier oder nicht?«
Rico zögerte.
»Wir haben auch Kabelfernsehen … aber ohne Pornosender.«
»Und das Bett …«
»… ist sauber. Du meine Güte, Mister. Putzmittel und Wasser sind nicht so teuer. Die Bude ist vielleicht alt, aber wir halten sie in Ordnung.«
»Wenn das so ist …« Rico zückte schnell seine Brieftasche und suchte einen Zwanziger sowie einen Fünfer heraus. »… bleibe ich gern.«
»Das freut mich, zu hören.« Miss Tammy legte ihren Stift aus der Hand und öffnete eine Schublade. Sie begann, darin herumzustöbern. »Also, ich weiß genau, dass ich die Schlüssel hier hineingelegt habe, letzten Monat erst, als wir die Zimmer geputzt haben.«
»Oh, Sie haben seit letztem Monat nicht mehr geputzt?«
»Das ist nicht so, wie Sie jetzt denken. Wir reinigen alle Zimmer einmal im Monat gründlich, und das, wo Sie unterkommen werden, hat seit dem letzten Reinemachen halt niemand mehr gemietet.«
Rico schaute sie entnervt an. Worauf habe ich mich hier nur eingelassen?, fragte er sich. Weil sie gerade fieberhaft die Zimmerschlüssel suchte, war Miss Tammy zu sehr abgelenkt, um zu erkennen, wie er mit sich haderte. Er schlug ein wenig Zeit tot, indem er sich genauer umschaute. Wegen der großen Bilder an den Wänden wirkte der kleine Raum noch enger, als er sowieso schon war. Ein Anschlag weckte jedoch sein Interesse, eine Karte des Staates Texas in einem lasierten Holzrahmen. Eine rote Reißzwecke mit dem Hinweis »Sie befinden sich hier«, geschrieben mit wasserfestem Stift, verwies auf den Standort des Motels.
Gut, wenigstens das weiß ich jetzt, dachte Rico, während er darauf wartete, dass Miss Tammy die Schlüssel suchte, die er benötigte. Das Western Winds Motel lag südlich von Huntsville und kurz vor Brooksville. Die Stadt, die Mr. Hunts' Namen trug, war eine blühende Metropole im Vergleich zu jener von Mr. Brooks.
Kleine Gegenstände aus Metall klirrten in der Schublade, während die alte Frau immer noch weitersuchte.
Rico betrachtete die Karte etwas genauer, wobei er darüber nachdachte, wohin es ihn tags darauf zu diesem Zeitpunkt wohl verschlagen würde. Das Bild eines Bootes tat sich vor seinem geistigen Auge auf, doch bevor es konkret Gestalt annehmen konnte, ließ Tammy es mit ihrer leicht gereizt klingenden Stimme wie eine Seifenblase zerplatzen.
»Hab sie!«
Als sie zu ihm aufschaute, kam Rico auf den Gedanken, was jene müden, alten Augen im Laufe der Zeit wohl schon alles gesehen haben mochten. Sie funkelten auf eine Art und Weise, dass er den Eindruck gewann, dass sie über uralte Weisheit verfügten … so als könne sie das Leben als Geschichte wahrnehmen und wisse, wie diese ende, sozusagen wie eine Schamanin.
Die Vorstellung von ihrer Geistesgröße im Universum zerstob sich allerdings jäh, als sie lächelte.
Rico verzog sein Gesicht, obwohl er sich nach Kräften darum bemühte, dies eben nicht zu tun. Er zweifelte daran, dass man in diesem Land je auf den Trichter gekommen war, Trinkwasser mit Fluorid anzureichern.
Dieses Mal bemerkte sie sein Missfallen ebenfalls, denn ihre Lippen schlossen sich rasch wieder vor ihrem unappetitlich gelben und schiefen Gebiss und den geschwollenen Zahnfleischrändern. Die wesentlichen Nettigkeiten waren ausgetauscht worden und jetzt ging es wieder um den vorliegenden Sachverhalt: Sie brauchte dringend das Geld und er brauchte nun mal ein Zimmer. Sie nickten sich gegenseitig zu, als würden sie begreifen, dass sie im Alltag überhaupt nichts miteinander gemein hatten, und die einzige Verbindung, die sie eingehen würden, dieses Geschäft war. Rico schenkte ihr ein versöhnliches Lächeln, als sie die Schlüssel übergab. Nach ein paar Sekunden betretener Stille gewährte ihm diese simple Geste einen Aufschub. Miss Tammy erwiderte sein Lächeln, war dabei aber so besonnen, ihren Mund geschlossen zu halten.
»Zimmer 116, richtig?« Rico hielt die Schlüssel hoch.
»Steht schließlich so auf dem Anhänger. Es ist das vorletzte Zimmer vorn, wenn Sie fast bis zum Ende durchgehen.«
»Danke, Miss.«
»Angenehme …« Tammy hustete. »… Nachtruhe.«
Rico