Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen, Gedichte, Epos & Essays (Über 140 Titel in einem Buch). Carl Spitteler
du tätest danach. Paragraph zwei: Das Herz einer verheirateten Frau will von unten herauf erobert werden, durch den Ehebruch. Den mag ich aber nicht; du auch nicht. Also, was folgt daraus? Antworte.»
«Quiek», lautete die Antwort.
«Dritter Paragraph: Wenn du ein weibliches Wesen hättest heiraten können und hast es unterlassen, einerlei aus welchem Grunde, und stamme er aus dem siebenten Himmel, so verachtet sie dich zeitlebens. – Viertens: In dem Herzen einer zufriedenen Gattin und glücklichen Mutter kannst du so naturunmöglich Liebe reizen wie in einem satten Magen Hunger. Sag quiek.»
«Quiek.»
«Fünftens: Wenn eine Dame dich nicht ausstehen kann ...»
«Quiek.»
«Wart doch mit deinem albernen ‹Quiek›, bis ich den Satz zu Ende gesprochen habe.»
Da war ihm das Kaninchen aus der Hand geschlüpft und purzelte angstschreiend davon. «Ach du!» rief er ihm nach. «Aber nimm dich wohl in acht, denn wenn du mir nur noch ein einziges Schmächterlein schnupperst...!»
«Dem hab' ich's gezeigt», lachte er vergnügt, «das Kaninchen wird künftig nicht mucksen.»
Um jedoch vollständig sicher zu sein, tat er ein übriges und unternahm einen Rundgang durch die Arche Noah seiner Seele, vom obersten Stock bis in die Kellergewölbe des Unbewußten, nach allen Seiten Ermahnungen und Weisheit austeilend. Das edle Getier faßte er beim Selbstbewußtsein, indem er ihm von künftigem Ruhm und Triumphen erzählte, im Gegensatz zu der kläglichen Rolle, die sie als unglücklicher Liebhaber einer Frau Direktor Wyß spielen würden. Das Kleingetier dagegen köderte er mit Süßigkeiten, sie an frühere Liebesgenüsse erinnernd und ihnen noch weit köstlichere in Aussicht stellend, wenn sie sich nur noch ein kleines Weilchen wohl verhielten; endlich zum guten Schluß ließ er den Löwen die Treppe hinunterbrüllen.
«Seid ihr nun alle überzeugt?»
«Wir sind überzeugt.»
«Gut, so betragt euch auch danach und gebt gegenseitig aufeinander acht.»
Durch diese Musterung gewann er Ruhe. Allein es war die Ruhe der gewaltsamen Spannung, wo über dem mühsam errungenen Gleichgewicht die Angst flattert. Wie ein Riese, der mit gekrampftem Rücken ein Gewölbe stützt, aber die Pein der Anstrengung ist so groß, daß er zweifelt, ob er nicht wünschen sollte, es möchte lieber gleich über ihm zusammenbrechen, damit die Not ein Ende nehme.
Darauf, nach den ersten vierundzwanzig Stunden, infolge des Wechsels von Tag und Nacht, von Müdigkeit und Erholung, gewöhnte er sich ein wenig daran; der Spannungsschmerz verdummte, die Not wurde erträglicher, das betäubte Bewußtsein der Gefahr unempfindlicher; nur noch ein gründliches Unbehagen meldete von drohendem Unheil, etwa so, wie wenn sich einer fragt: «Bekomm' ich den Typhus, oder ist es nur so ein Gefühl?»
Die nächsten drei Tage brachten denn auch nichts Besorgliches. Im Gegenteil, er hatte mit dem Statthalter, der ihn unterwegs abfing und ins Bierhaus schleppte, ganz sachlich und gelassen, als ginge es ihn nichts an, über den Unterschied der antiken Liebe von der neuzeitlichen, empfindsamen abhandeln können und über die Ursachen dieses Unterschiedes. Nein, wer das kann, ist nicht liebeskrank. Und lächelnd erinnerte er sich, wie dem Statthalter im Eifer des Gesprächs der Satz entschlüpft war: «Tatsache ist, das kann ich Ihnen zugeben, daß mit dem Besitz, also zum Beispiel mit der Ehe, die eigentliche, echte Liebe in poetischem Sinn ein Ende nimmt.» Ei! ei! Statthalter! – schon mehr ein kostverächterischer sofasatter Pascha! Freilich hatte der, sich besinnend, ängstlich den unbedachten Spruch zurückzuholen versucht. «Das heißt, wohlverstanden», verbesserte er sich, «nur die unechte Liebe; die echte, wahre Liebe im poetischen Sinn dagegen, die bleibt in der Ehe bestehen; im Gegenteil, sie fängt mit der Ehe erst eigentlich an.» Wie ihm das übrigens jetzt merkwürdig gleichgültig war, wie, was oder wen der Statthalter liebte oder nicht liebte! Entschieden, der Verstand hatte ihn ganz ohne Grund und Ursache geschreckt. Nur schade, daß er bei diesem Anlaß dem Statthalter hatte versprechen müssen, am Freitagabend zum Nachtessen zu kommen. Allein, wie man so in der Bedrängnis Einladungen annimmt: zu drei Vierteln genötigt und zum letzten Viertel gezwungen.
In der Nacht vom Donnerstag zum Freitag aber, ohne daß etwas Besonderes vorgefallen wäre – er hatte tagsüber gearbeitet und war dann nach dem Abendessen ein wenig ausgegangen –, verriet ihn ein Traum.
Ihm träumte, Pseuda hüpfe in seinem Schlafzimmer herum, das eine Bein im Strumpf, das andere barfuß. «Wo ist denn mein Strumpf?» rief sie ärgerlich, «so hilf mir doch suchen, Faulpelz! Ah bah! weg mit! Der Johann soll den Jakob holen.» Setzte sich auf den Fußboden, zog den Strumpf aus und warf ihn in die Höhe. Da flügelten beide Strümpfe wirblings unter der Decke wie eine Windmühle. Dann war es eine Zeitlang verworren. Plötzlich stand sie neben seinem Bett, in einem kurzen Kinderhemdchen. «Platz da! Dilldapp!» befahl sie, stieß ihn gegen die Wand und lag neben ihm. Verwundert, mit großen Augen fragte er: «Ja, bist du denn nicht mit dem Statthalter verheiratet?» – «Ich? mit dem Statthalter? wie kommst du auf diesen wunderlichen Einfall? Das wäre mir eine saubere Geschichte! da müßte ich mich ja zu ihm ins Bett legen! äh! uäh!» Da tat er aus tiefstem Herzen einen Seufzer, wie ein auf dem Wege zum Schafott Begnadigter. «So wäre es möglich? du wärest wirklich, wahrhaftig meine Frau und nicht dem Statthalter seine? O Gott, ich wage es noch immer nicht recht zu glauben. Wenn es am Ende bloß ein Traum wäre?» – «Was hast du nur heute?» schalt sie unwillig. «Wenn es bloß ein Traum wäre, so schliefe doch nicht unser Kind dort in der Wiege, sondern dem Statthalter seins. Das ist doch klar!» – «O Pseuda, Pseuda, wenn du wüßtest, wie unsäglich, wie namenlos unglücklich ich war, als mir träumte, du wärest dem Statthalter seine Frau!» – «Wie kann man aber auch so einfältig träumen!» schmälte sie, «und noch so unanständig dazu! pfui, schäme dich!» Und stieß ihn mit dem Bein und patschte ihm mit der Hand auf den Mund.
Wie er dann aufwachte und, mit dem Finger die Tapete betastend, erfuhr, daß alles gerade umgekehrt war: er einsam im Bette liegend und Pseuda drüben beim Statthalter, wurde er inne, wie es um ihn stand; denn dieser Traum, das spürte er an seiner Traurigkeit, war ihm nicht von ungefähr gekommen; den hatte seiner Seele Sehnsucht gedichtet. Nicht mehr wegzutäuschen: er war liebeskrank, und zwar durch und durch, bis in die innersten Fasern. Und wen mußte er lieben! – o Schimpf der Demütigung! eine Frau, die er von oben herab zu behandeln pflegte, eine ihm gleichgültige Fremde, namens Ix, eine Frau, die ihn haßte. Er, der Bräutigam der hehren Imago. Jetzt konnte er an sich selber keine Freude mehr haben; am liebsten hätte er überhaupt nicht mehr leben mögen. Trübsinnig drehte er den Kopf gegen die Wand und versuchte, Gefühl und Bewußtsein zu verlernen. Und sooft ein Gedanke ihn berührte, drückte ihn die Schmach von neuem nieder, als ob eine mit Bausteinen geladene Wolke auf ihm lastete. Schließlich mußte er halt doch leben; und da ihm seines Körpers Ungeduld Gesundheit meldete, blieb ihm nichts übrig, als ihn aus dem Bett zu heben und auf die Beine zu stellen. Meinetwegen; es tut denselben Dienst, sich aufrecht zu schämen als liegend.
Da saß er nun den langen Tag, mut- und willenlos, mit stumpfem Geist seiner Erniedrigung nachstarrend. Plötzlich, gegen Abend, überfiel ihn eine garstige Erinnerung: Freitag ist heute; und er, der dem Statthalter versprochen hatte, Freitagabend zum Nachtessen zu kommen! Jetzt, in diesem Zustande, dorthin! zu ihr! Verhaßter Gedanke. Allein sein Versprechen stupfte ihn unablässig mit der Schnauze wie der Metzgerhund das Kalb; es half nichts, und so zwang er sich denn zu Direktors.
War das ein trostloser, von allen guten Geistern verlassener Abend! Er war gar nicht erwartet worden, das merkte er gleich bei seinem Eintritt, er störte bloß.
Er wieder, in seiner Grabesstimmung, wäre lieber überall anders gewesen als gerade hier. Das spürten ihrerseits die andern, was ebenfalls nicht zur Erheiterung beitrug. Zu allem mußte er ihnen obendrein noch das Musikspiel verleiden; eigentlich ganz gegen seinen Willen, denn er war heute nichts weniger als angriffslustig; allein jetzt in seiner Schwermut irgend etwas Aufdringliches, was irgend jemand belieben würde, über sich ergehen zu lassen, nein, dazu fehlte ihm die Kraft.
Wie er dann freilich Pseuda trostlos vor sich hin starren sah, ihrem zerstörten Musikabend nachsinnend, so