Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen, Gedichte, Epos & Essays (Über 140 Titel in einem Buch). Carl Spitteler

Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen, Gedichte, Epos & Essays (Über 140 Titel in einem Buch) - Carl  Spitteler


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hatte sich jedoch ihrem Sonderbund ein Dritter zugesellt: ihr Büblein, der kleine Kurt. War es, weil sich Viktor hin und wieder gnädig mit ihm einließ, der Mutter zuliebe? oder war es im Gegenteil, weil er das überflüssige Wesen anfänglich gar nicht beachtet hatte? Sei es, was es wolle, das kleine Geschöpflein hängte sein Herzchen an Viktor, ihm wie einem Vater entgegenwankend, aber einem Vater ohne Erziehungstücken, der einem niemals etwas verbietet, der nie böse wird, der immer freundlich dreinschaut. Wenn dann die zwei miteinander spielten, Viktor und der kleine Kurt, hielt sich die Mutter geflissentlich abseits, über den Stickrahmen gebeugt, viertelstundenlang stillschweigend, wie absichtlich sich in Vergessenheit hüllend, schaute von Zeit zu Zeit mit einem tiefen Atemzuge auf, und sooft sie aufschaute, glänzte ihr Auge von innerem seelischem Lichte. Es schwebte wie Andacht über der Gegenwart, wie Segen über den drei Menschen.

      Unversehens, ohne den mindesten Anlaß, empfing sie ihn eines Morgens feindselig, ja geradezu brutal. «Wann reisen Sie wieder ab?» lautete ihr barscher Gruß.

      «Warum? Würde Ihnen etwa meine Abreise erwünscht sein?»

      «Ja.»

      «Sie tun mir weh.»

      «Sie mir auch.»

      «Ich? – Ihnen?»

      «Ja. Indem Sie mir Sachen sagten, die ich nicht hören darf und die Sie nicht sagen sollen.»

      «Die ich auch nicht sagen wollte, aber sagen mußte.»

      «Man muß nie, was man nicht soll.»

      «Die Natur kennt das Zeitwort sollen nicht; das stammt aus der Sozialgrammatik der Menschen. Übrigens, wenn Sie wirklich wünschen, daß ich abreise, so geschieht es; ein Wort von Ihnen genügt. Also, bitte, wie lautet Ihr Befehl? Wollen Sie, daß ich abreise? Morgen? Oder heute noch?»

      Sie sah ihn eine Weile finster an; dann wurde sie unruhig, stellte sich ans Fenster und kehrte ihm den Rücken. Er, wie von einem Magnet angezogen, trat von hinten neben sie und berührte sachte einen Finger ihrer nachlässig herabhängenden Hand, die sie bei der Berührung nicht wegzog. Hiermit waren beide Körper verbunden, und es lief wie eine Strömung hinüber und herüber, davor sie bebte und zuckte. Gab es keine seelische Magie, so gibt es doch sicher eine leibliche.

      Ein Gedanke stürmte gegen ihn, begleitet von Fanfaren und Glockenspiel: «Jetzt», hetzte der Gedanke. «Jetzt! Sonst bist du lächerlich; lächerlich auf ewig.»

      «Wohlan, seien wir lächerlich», erwiderte er fest und gab ihre Hand frei.

      Da platzte in seinem Innern ein schallendes Hohngelächter: «Tugendheld! Tugendheld!»

      Verächtlich über die Achsel blickend, gab er zurück: «Ehebruch-Pedanten!»

      Ein gefährlicher Boden! Und ziellose Pfade! Wohin die junge Seligkeit wohl taumeln mag? Wird sie, kann sie überhaupt währen? Müßige Fragen; seine Aufgabe war es jedenfalls nicht, der Seligkeit ein Bein zu stellen.

      Ein jähes Ende

       Inhaltsverzeichnis

      Am Morgen des Lichtmeßtages, wo die Menschen die ersten Knospen zu grüßen pflegen, die noch nicht da sind, begab er sich wie gewöhnlich zu ihr. «Mein Mann ist im Studierzimmer; wollen Sie, bis ich mit dem Aufräumen fertig hin, einstweilen ihm Gesellschaft leisten?»

      Er stutzte. Was für eine neue Sprache! Schickt mich zu ihrem Mann! Hat sie etwa gebeichtet? Eine Auseinandersetzung? Meinetwegen; laß hören; ich bin immer so eingerichtet, daß ich jederzeit jedem Menschen ins Auge sehen darf.

      Der Eintritt in das rauchdurchqualmte Stübchen beruhigte sein Blut; so raucht kein Richter. «Aha, willkommen, Sie sind's», scholl es ihm treuherzig entgegen. «Sehen Sie, da schickt mir der Buchhändler soeben wieder so einen Weiberfresser von Philosophen. Sie machen ja doch wahrscheinlich auch nicht mit? Oder was ist denn nun eigentlich Ihre Meinung von den Frauen?»

      Eine schwierige Frage! und ein verfängliches Thema! Immerhin, besser an dem Fittich der Theorie gefaßt zu werden als persönlich, denn der ist ziemlich unempfindlich. Die Gerichtsverhandlung über die Frauen nahm denn auch einen friedfertigen, würdigen Verlauf, mit ordentlichen Gedankenschritten, gemessenen Urteilen und willigen Zugeständnissen von beiden Seiten. Wie jedoch Viktor im Eifer seines Frauenlobes den Satz fallenließ: «Ohne die Frau möchte ich überhaupt nicht leben», bemerkte der Statthalter trocken: «Aber jeder mit seiner eigenen Frau, nicht wahr?»

      Was war das? Ein Merks?

      Einige Redereihen später, als die Grenzen des weiblichen Horizontes abgesteckt wurden und Viktor eben darauf hinwies, welch ein beschämendes Urteil in der Tatsache verborgen liege, daß alle Welt, auch die weibliche, es für selbstverständlich erachte, die Rolle einer jungen Frau in einem Theaterstück könne einzig eine Liebesrolle sein, öffnete Frau Direktor behutsam die Tür. «Verzeihen Sie, meine Herren, wenn ich Sie in Ihrer gelehrten Unterhaltung störe», hauchte sie zaghaft; «erschrecken Sie übrigens nicht, ich verschwinde im Augenblick.» Mit diesen Worten trippelte sie zum Bücherschrank, kauerte in anmutiger Haltung zu Boden, kramte, ab und zu die ungefügen Locken zurückwerfend, unter den Folianten, und schnellte dann plötzlich, ein Büchlein in der Hand, mit federndem Schwung wieder empor. «So; jetzt sind Sie erlöst», tröstete sie, während sie in ängstlichen Sprüngen auf spitzen Zehen zur Tür hinausflüchtete.

      «Jedenfalls ihre einzige Rolle», schmunzelte der Statthalter, «spielen sie gut; im Leben wie auf der Bühne.»

      Gleich darauf ertönte ein weicher Klavieranschlag, und ihre Stimme verklärte das Haus. Davor überquoll dem Viktor das Herz. «O mein Gott», stöhnte er, «ist das schön! ist das rein! ist das edel!» Und unversehens stürzten ihm die Tränen über die Wangen, so daß er hastig aufsprang und sich am Bücherschrank zu schaffen machte.

      «Das kann ich nun gerade nicht finden», versetzte der Statthalter, «daß das rein und schön sei, wie sie das singt; man sollte sich eben überhaupt nie an ein Stück wagen, das man nicht kann und das einem zu hoch liegt.»

      Darauf wollte er das Gespräch zurücklenken. Allein Viktor war von dem unsichtbaren Gesange dermaßen gebannt, daß er nichts andres sonst wahrnahm. «Wenn sie doch nur endlich aufhörte! sie singt einem ja das Herz aus dem Leibe.»

      Endlich hörte sie auf, und es gelang ihm, sich in geziemender Fassung zu verabschieden.

      «Kommen Sie morgen abend zum Tee», begehrte ihre dringliche Bitte, während sie ihre Hand in der seinigen ruhen ließ, «ganz unter uns; niemand als Sie und mein Mann; meine Wenigkeit ungerechnet, die Sie schon mit in Kauf nehmen müssen.» Und bedeutungsvoll flüsternd fügte sie hinzu: «Es gibt nämlich Schlagsahne.» Das war mit einem Ton gesagt, als ob die Schlagsahne den Hauptanziehungsgrund vorstellen sollte. «Also morgen abend!» wiederholte sie, mit dem Finger drohend, «ich zähle darauf»

      Jetzt was? hat er etwas gemerkt, der Statthalter, oder hat er nichts gemerkt? Aus diesem behäbigen Pascha wurde er nicht klug. Übrigens nur um so besser, wenn er etwas gemerkt hat (zuviel ist nicht nötig), so war er die leidige Geheimtuerei los und zugleich einer geschmacklosen Beichte enthoben. Nun kommt's recht; genauso hatte er sich's von jeher ausgedacht gehabt: eine einmütige Ehe zu dreien, wo er seinem getreuen Statthalter Imagos Leib und jener ihm zum Dank dafür Imagos Herz und Seele überließ; so tat keiner dem andern Abbruch. Die Vormittage ihm, dem Statthalter die übrige Zeit; der durfte sich wahrlich nicht beklagen, er wäre bei der Teilung zu kurz gekommen. Also morgen abend soll der Dreibund geschlossen werden. «Bei einem Teller voll Schlagsahne», spöttelte ein Gedanke. «Nun, warum nicht ebensogut Schlagsahne wie Wein? Oder hat man etwa zu einem ehrlichen Vertrage Gift nötig?» Und mit innigem Glück verglich er diese Schlagsahne mit jener andern, über welcher er ihr einst zuerst wiederbegegnet war, damals, vor Monaten, bei Frau Regierungsrat Keller. Eine hübsche Strecke Weg zurückgelegt, Viktor, findest du nicht? Von der verächtlichen Gleichgültigkeit am Anfang bis zur heutigen Herzinnigkeit! Und noch stehen wir ja erst am Anfang. O Wonne


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