Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen, Gedichte, Epos & Essays (Über 140 Titel in einem Buch). Carl Spitteler

Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen, Gedichte, Epos & Essays (Über 140 Titel in einem Buch) - Carl  Spitteler


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verkündete er kühn und bestimmt: »Schönes Wetter.«

      »Falsch!« verbesserte Hansli, »ich höre, wie es regnet.«

      »Das ist der Brunnen«, urteilte Gerold.

      Hansli sprang aus dem Bett und öffnete die Läden. Ein Schwall goldenen Lichtes stürzte durchs Fenster, und gegenüber auf den Ziegeln der Scheune lag ein steifer, rechteckiger Sonnenschein, das Dach halbierend.

      Aber etwas noch viel Schöneres lag auf ihren Nachttischlein: Schokolade. Woher die kam, hätten sie leicht erraten, wenn sie gewollt hätten; allein sie wollten nicht raten, aus Besorgnis, der Stolz möchte ihnen sonst verbieten, das Geschenk anzunehmen. Deshalb begnügten sie sich lieber mit der Tatsache und aßens anonym. Derweilen blieben sie liegen, in den Sonnenschein auf dem Scheunendache starrend; der Sonnenschein starrte ihnen ebenfalls entgegen, darüber ermüdeten ihre Augen und schützten sich mit den Lidern.

      Bis die fröhliche Tonleiter der Kaffeelöffel auf den Untertassen tänzelte, da sprangen sie hops aus den Betten.

      Man hatte den drei Kameraden ein besonderes schmuckes Tischlein im Herrenzimmer gerüstet. Auf diesem prangte in einem geblümten Napfe blonder, sandkörniger, in Zöpfen geflochtener Honig; daneben, in feuchte Weinrebenblätter gehüllt, ein künstlich gestempelter Butterbarren, einen Bären schildernd, der auf einem schrägen Blumenstengel lechzend berganschritt. Während sie sittig um den Tisch herumsaßen, als hätten sie miteinander einen Ferienaufsatz zu ergrübeln, erlitt Hansli einen Rückfall ins Examinatorische. Ob man Brot mit einem d oder einem t schreibe, prüfte er das Mädchen. Sie besann sich ein Weilchen und antwortete dann, solange das Brot frisch und weich sei, schreibe man es mit einem d, wenn es aber alt und hart werde, mit einem t.

      »Das ist eine ebenso unehrerbietige wie ungenügende Antwort«, rügte Hansli, »Gesima, du erhältst ein ›schwach‹ in der Orthographie.«

      Während dessen guckte ihr Gerold schelmisch in die Augen, da er sich erinnerte, daß sie ihm im Traume eine Woge Wasser ins Gesicht gespritzt hatte.

      Als das so fortdauerte, klopfte sie ihm mit dem Löffel auf die Finger. »Trink!« mahnte sie. Da trank er geschwind die Tasse aus.

      Aber jetzt fiel ihm wieder ein, wie er sie gestern abend beim Schopf gepackt hatte, und aus Wehmut darüber schaute er ihr abermals in die Augen, um zu erfahren, ob sie es ihm wohl nachtrage. »Iß!« rief sie, und stahl ihm sein Butterbrot.

      Die Türen standen offen zum Empfang der Morgenluft, welche von weitem herkam und würzige Grüße aus fremden Gauen mitbrachte. Drüben in der Bauernstube zog ein Trüpplein Knechte und Mägde ein; ihre heißen Körper und frohen Gesichter zeugten von rüstiger Früharbeit, nüchternen Mutes auf freiem Felde vollbracht. Wie sie so einer um den andern mit roten Backen, glänzenden Stirnen und schweißglitzernden Armen bedächtig in die kühle, schattige Stube traten, war es anzusehen, als ob jeder von ihnen sechs Quadratfuß Sonnenschein und ein paar Eimer Luftessenz um sich hätte.

      Zuhinterst, um einen halben Kopf größer als die übrigen, rückte Therese an, aufrecht und zufrieden, in den langen, blaßblonden Zöpfen blaue Bänder, in den Augen Siegesleuchten, in den Scheitelhaaren ein paar Flocken Heu: man spürte es ihr an, daß sie die Lerchen hatte jubeln hören. Sie kam zu den Kindern ins Gastzimmer. Zunächst wünschte sie ihnen einen guten Tag und erkundigte sich, ob sie wohl geruht und gefrühstückt hätten, und ob ihnen nichts mangle. Dann entschuldigte sie die Abwesenheit ihres Vaters; er habe nach Sentisbrugg fahren müssen, schon in der Frühe, vor sechs Uhr; er lasse sie aber herzlich grüßen und ihnen eine glückliche Reise wünschen. Hierauf sah sie ins Leere und ließ endlich einen langen eigentümlichen Blick auf den Buben ruhen.

      »Es hat eine Änderung in Sentisbrugg gegeben«, sagte sie in gedämpftem, fast ehrerbietigem Tone zu ihnen, als ob sie zu Erwachsenen redete, »habt ihrs erfahren?«

      Und auch Gesima schaute die Knaben scheu an.

      »Was für eine Änderung?« fragten diese.

      Therese blickte auf den Boden. »Nun, ihr werdets noch immer früh genug vernehmen; genießt nur unbefangen eure letzten Ferientage und seid fröhlich, es ist euer heiliges Recht. – Wohin mit dem Gerold, Hansli?«

      »Nur ein wenig auf Entdeckungen ums Haus herum«, antwortete Hansli, »Gesima, du bleibst hier; dich können wir nicht brauchen.«

      »Ihr dürft euch aber nicht mehr zu weit entfernen«, mahnte Therese, »denn in einer starken halben Stunde kommt die Post. Und da habt ihr es dann nicht wieder mit einem langmütigen Privatwagen zu tun, der euretwegen einen halben Tag auf dem Fleck wartet, sondern mit einem obrigkeitlichen Fahrplan, der auf niemand Rücksicht nimmt; da geht es strikte nach der Uhr.«

      Das mit der Entdeckungsreise ums Haus war nur ein Vierteil der Wahrheit: ein Komplott gegen Gesima heckte Hansli. Kaum hinter den Pappeln bei der Scheune angelangt, hielt er still und zog Gerold ins Vertrauen, indem er sich eng an ihn anschmiegte, um ihn besser zu überzeugen. »Wir wollen suchen«, flüsterte er, »daß wir beide auf den Bock oder auf das Postdach zu sitzen kommen, und Gesima ins Innere des Wagens, dann sind wir sie bis Bischofshardt los.«

      Gerold gab keine Antwort, sondern brummte nur.

      »Das Allerschönste wäre«, fuhr Hansli fort, »wenn sie den Postwagen verfehlte; freilich müßte man hiefür ein Mittel finden, sie aus dem Haus herauszulocken. Wenn wir ihr zum Beispiel angäben, im Garten wären Himbeeren? Was meinst du?«

      Wiederum begnügte sich Gerold mit Brummen. – »Aber ist denn das wirklich schon die Post, dort in der Klus? es ist doch noch viel zu früh.«

      Hansli spannte den Blick; er sah weiter und schärfer als sein Bruder. »Bewahre, es ist ja bloß ein einziges Pferd, und gar kein Wagen dahinter.« Plötzlich tat er einen Luftsprung: »Ein Dragoner!« schrie er.

      Ärgerlich verwies ihm Gerold die unbesonnene Meldung. Er war durch die Erfahrung gewitzigt; ihm war durch tausend schmerzliche Enttäuschungen der Glaube an leibhaftige Soldaten, geschweige denn an Dragoner, in der gemeinen Alltagswirklichkeit längst abhanden gekommen. Eher noch an den Osterhas glauben als an Dragoner. Ach Gott, wie viele hundert Male hatte er vor Zeiten beim Gepolter jedes Rumpelkarrens gemeint, eine Trommel zu hören, beim Aufschein eines bunten Frauenhutes einen Tambourmajor zu sehen. Und hernach die grausame Enttäuschung! Lieber ein für allemal die Hoffnung aufgeben. – Und doch! Diesmal sieht es wirklich von fern einem Dragoner gleich, es glitzert etwas auf dem Kopf des Reiters, wie ein wahrhaftiger Helm, und etwas an seiner Seite wie eine Säbelscheide. Wenn der Hansli recht hätte! O Bangigkeit, o Hoffnung! Jetzt fragt sichs bloß, hat er Epauletten, hat er einen roten Streifen an den Hosen, einen roten Halskragen? Ja, ja, ja, kein Zweifel mehr, ein leibhaftiger Dragoner. Aber wohin der wundersame Schmetterling schwenken wird, wenn er vollends aus der Klus hervorkommt? seitabwärts in den Gau? oder herwärts nach der Friedlismühle? Atemlos verfolgten ihre Blicke jede Bewegung des Pferdes. Jetzt ist er an der Kreuzung, nun wird sichs entscheiden. »Er kommt.« »Nein, er biegt ab.« »O weh, verloren! er reitet nach dem Gau.«

      »Nach!« schrie Hansli.

      »Nach!« bestätigte Gerold stöhnend.

      Und wie hungrige Wölfe setzten sie sich in Galopp, unbekümmert um die abmahnenden Rufe, die hinter ihnen dreinliefen, um sie zurückzuholen. Der Dragoner trabte scheinbar ganz langsam; trotzdem vergrößerte sich stetig der Zwischenraum, statt sich zu verringern, und schon begann ihnen der Atem auszugehen. Allein es gibt hiezulande Wirtshäuser am Wege; nicht unmöglich, daß er irgendwo absteigt und einkehrt. Dann ist aber auch der Galopp nicht nötig, der Trab tuts auch; also gingen sie in Trab über; und der förderte sie beinahe ebenso flink; abgesehen davon, daß er den Atem weniger in Anspruch nahm. Immer kleiner wurde der fliehende Reiter; nur noch wie ein rotes Schäfchen leuchtete er von Zeit zu Zeit zwischen den Bäumen auf. Aber täusch ich mich? mir scheint, das Schäfchen bleibt gleich groß und behält beständig ein nämliches Häuschen neben sich. »Er sitzt nicht mehr auf dem Pferde«, meldete der scharfsichtige Hansli. Folglich war er abgestiegen, und das Häuschen mußte eine Schenke sein. Also fielen sie mit neugestärktem Mute wieder in Galopp.

      Er


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