Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen, Gedichte, Epos & Essays (Über 140 Titel in einem Buch). Carl Spitteler

Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen, Gedichte, Epos & Essays (Über 140 Titel in einem Buch) - Carl  Spitteler


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›General‹«, rief sie, »sondern ›Generar‹.«

      Dann variierte sie: »›Aber wirklich zum Altal‹ – Ach was Manschetten!« lachte sie, wischte mit den Stolperstöcken über das Pflaster, als ob sie die Spuren des Unsinns aus dem Gedächtnis tilgen wollte, und nahm endlich, mutwillig trällernd, ihren gigantischen Rundgang wieder auf.

      Ob diesem Lustspiel sahen die Brüder einander ins Gesicht und brachen gleichzeitig wie auf Verabredung in ein schallendes Hohngelächter aus; dann betraten sie das Höfchen.

      Sobald Gesima die Kadetten erblickte, hüpfte sie flugs mit geschlossenen Fittichen vom Stapel, wie der Sperling vom Sims, und während hinter ihr die Stelzen langsam die Waffen streckten, stand sie schon dicht vor den Knaben, in bescheidener Haltung, vertrauensvoll mit ausholendem Arm die Hand darbietend, die Fläche nach unten.

      Sie nahmen jedoch den Gruß nicht an, sondern stemmten die Fäuste auf die Hüften und umgingen prüfend den seltsamen Käfer, worauf sie ihrem Ergötzen abermals mit Hohngelächter Luft machten.

      »Böse Buben!« schalt Gesima, vor dem schimpflichen Empfang flüchtend.

      In diesem Augenblick tönte ein schriller Pfiff durch das Haus, ein das Ohr verletzender, das Herz beleidigender Befehlspfiff, wie man ihn einem ungehorsamen Hunde nachpfeift. »Schnell, schnell, ihr Buben!« mahnten erschrockene Stimmen aus dem Hause, »der Götti Statthalter hat gepfiffen.«

      Der Götti Statthalter saß schreibend in seiner Amtsstube, in schöner, aufrechter Haltung, die Zigarre im Mund, mit zufriedener Miene. »Setzt euch«, lud er ein, auf zwei Stühle links und rechts an seiner Seite deutend. »Aber ihr dürft euch nicht bewegen, solang ich schreibe, denn das stört mich.« Und fuhr fort zu schreiben. Nach einer Weile bemerkte er milde: »Ein anderes Mal, wenn ich wieder pfeife, bitte ich mir aus, daß ihr im Sturmschritt gesprungen kommt und nicht erst alle möglichen anderen Beschäftigungen vornehmt. Sie laufen euch ja nicht davon.«

      »Wir wußten halt nicht, daß das Pfeifen uns gelte«, entschuldigte sich Gerold.

      »Ich mache euch auch keinen Vorwurf«, erwiderte der Götti sanft, »ich sage bloß, ein anderes Mal müßt ihr schneller kommen. – Und hier ist für jeden von euch ein Fünffrankentaler. – Schon gut, schon gut, es braucht keinen umständlichen Dank. – Aber so bleibt doch sitzen! Ihr dürft zusehen, wie ich schreibe, nur müßt ihr euch ruhiger verhalten als bisher.«

      Die Statthalterin näherte sich auf den Fußspitzen dem Schreibenden. »Hast dus befohlen, der Wagen solle fortfahren?«

      »Der Wagen ist fortgefahren und ist nicht fortgefahren.«

      »Wenigstens ist er nicht mehr da.«

      »Liebste, beste Frau, wenn du nur nicht immer künstlich Schwierigkeiten schaffen wolltest, wo keine sind; überlaß das ruhig mir; ich habe alles besorgt.«

      »Aber ich muß doch wissen, ob die Buben hier bleiben oder nicht, damit ich die Betten rüsten kann.«

      »Laß mich nur erst schnell den Brief fertig schreiben, dann will ich dir alles erklären.«

      Jetzt polterte Monika herein, rücksichtslos, mit Trampeltritten. »Der Karl, der Reitknecht von Balsigers, ist da«, meldete sie rufend, »er solle die Gesima heimholen.«

      »Er soll, was ich ihm sagen werde. Zunächst soll er einmal hereinkommen. – Und was tut denn die Gesima allein im Hause? warum ist sie nicht bei den Buben? Ruft sie doch. Und holt mir die Pantoffeln, Monika. – Mazzmann, bist du da?«

      »Hier, Herr Statthalter.«

      »Würdest du so gut sein und diesen Brief im Vorbeigehen auf die Post tragen?«

      »Mit Vergnügen, Herr Statthalter.«

      »Wo ist der Landjäger Weber?«

      »Nebenan im Wachtzimmer.«

      »Schick ihn her. – Aha, da bist du ja, Gesima. Nun, wie stehts mit Leib und Leben? Freust du dich, mit den Buben zu reisen, oder fürchtest du dich etwa vor ihnen?«

      Gesima schnellte einen prüfenden Blick nach Gerold, einen zweiten nach Hansli, dann lächelte sie: »O nein, ich fürchte mich nicht vor ihnen.«

      »Du bist ein vernünftiges Mädchen, gescheiter als manche Erwachsene; gelt, du begreifst, nicht wahr, daß gesunde Naturbuben nie böse sind; böse sind nur die Duckmäuser – Ihr, Karl, was begehrt Ihr?«

      »Herr Direktor Balsiger hat mir aufgetragen, das kleine Fräulein heimzuholen, nachdem Ihr den Wagen fortgeschickt hättet.«

      »Das hat Euch der Herr Balsiger unmöglich aufgetragen; Ihr müßt ihn falsch verstanden haben. Denn erstens war der Wagen überhaupt nicht fortgefahren, und zweitens ist zwischen mir und dem Herrn Balsiger etwas anderes abgemacht worden. Geht nur heim – die Gesima bleibt hier, – und sagt dem Herrn Balsiger, ich lasse ihm sagen, es bleibe bei dem, was abgemacht worden ist.«

      Der Reitknecht zögerte. »Ich möchte mir erlauben, höflich zu bemerken ...«

      »Hier ist gar nichts weiter zu bemerken, es ist alles deutlich und klar. Adieu. – Ihr, Weber, Ihr seid ein zuverlässiger Bursch. Ihr begleitet die drei Kinder bis zur Friedlismühle, wo der Wagen des Landammanns auf sie wartet. Ihr könnt ja den Weg durchs Höfchen über die Wiesen nehmen, er ist kühler und weniger staubig und nur ein ganz geringer, unbedeutender Umweg. – Aber jetzt, Kinder, auf die Reise! hüpp, huppla, hopp! es ist die höchste Zeit! worauf wartet ihr eigentlich? Und bitte keine unnützen Zeremonien und Abschiedssentimentalitäten, die kann ich nicht leiden. Huppla, vorwärts, marsch!« Und schob die Kinder in den Hausgang.

      Die Statthalterin trat ihm zaghaft in den Weg. »Aber bist du denn auch vollkommen sicher«, wagte sie, »daß der Wagen wirklich in der Friedlismühle wartet? hast dus dem Kutscher auch deutlich genug gesagt?« Ehe er antworten konnte, brach sie plötzlich in krampfhaftes Weinen aus, daß sie sich an ihn halten mußte. Mitleidig lehnte er sie an seine Brust und redete gütig auf sie ein, mit sanfter, tröstender Stimme: »Es sind die Nerven; du spürst die Hitze und das Gewitter in der Luft. – Weißt du was: leg du dich ein halbes Stündchen ruhig aufs Bett, das wird dir gut tun.« – Dann rief er mit Donnerstimme: »Monika, ist der Max, der Schleicher, noch immer nicht heim?«

      In der Friedlismühle

       Inhaltsverzeichnis

      Sie wanderten, eines hinter dem andern, auf dem schmalen Wiesenpfade durch ein samtnes Bödeli wie eine lustige Blumenschnur auf einem schwarzgrünen Teppich; zuvorderst Gesima, dann Hansli, hernach Gerold, zuhinterst der Landjäger Weber, immer der Hintermann größer als der Vordermann, wie die Orgelpfeifen. Gesima versuchte mit Frägeln ein Gespräch anzubahnen: wie lange sie Ferien gehabt hätten und ob es schön gewesen sei in Sentisbrugg und ähnliches, erzielte jedoch keine Antwort. Darauf kehrte sie sich um und bot ihnen Schokolade an; das war nun verführerisch, doch die Kadetten blieben stark und schüttelten die Köpfe.

      Dieses Betragen mißfiel dem Landjäger Weber. Sie sollten doch nicht so stumm und bockig einherstiefeln, mahnte er, sondern galant sein und ihrer anmutigen Gefährtin etwas Artiges sagen.

      »Wir sind nicht galant«, riefen sie patzig.

      Drüben auf der Landstraße, aus einem großen, einzelstehenden Hause, worauf mit gewaltmäßigen Buchstaben geschrieben stand ›Amadeus Stämpfli, Leuenwirt‹, quiekte eine blutleere Tanzmusik: eine Klarinette, eine Trompete und eine Brummgeige. Gesichter zeigten sich an den Fenstern. »He, Weber, wohin?« »Mach Feierabend!« »Komm tanzen, die Eva ist da.«

      Jetzt defilierte der Landjäger übers Gras nach vorn und hielt den Kindern eine Ansprache. Sie hätten jetzt nur noch zehn Minuten bis zur Friedlismühle, verkündete er ihnen, und könnten selbst mit dem besten Willen den Weg nicht verfehlen. Wenn sie aus der Klus auf die Landstraße kämen, brauchten sie bloß rechts zu kehren und der Landstraße zu folgen, so würden sie mit der


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