Die bekanntesten Werke von Tschechow. Anton Pawlowitsch Tschechow

Die bekanntesten Werke von Tschechow - Anton Pawlowitsch Tschechow


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andere in Wolodjas Zimmer befand. Sie richtete an ihrem Haar, doch ohne jeden Erfolg – so lang und dicht war es! – und blickte zerstreut Wolodja an. In ihrer weiten Bluse, verschlafen, mit aufgelöstem Haar, erschien sie Wolodja im trüben Lichte, das ins Zimmer von dem schon weißen, aber noch nicht von der Sonne beleuchteten Himmel fiel, bezaubernd und herrlich ... Entzückt, am ganzen Leibe zitternd, mit unsagbarer Wonne daran denkend, wie er diesen herrlichen Körper in der Laube umarmt hatte, reichte er ihr die Tropfen und sagte:

      »Wie sind Sie doch ...«

      »Was?«

      Sie trat ins Zimmer.

      »Was?« fragte sie, lächelnd.

      Er schwieg und sah sie an und ergriff wie damals in der Laube ihre Hand ... Sie aber betrachtete ihn lächelnd und wartete, was wohl noch kommen würde.

      »Ich liebe Sie ...« flüsterte er.

      Sie hörte zu lächeln auf, dachte eine Weile nach und sagte:

      »Warten Sie, ich glaube, jemand kommt her ... Ach, diese Gymnasiasten!« sagte sie halblaut, zur Türe gehend und in den Korridor hinausblickend. »Nein, es ist niemand ...«

      Und sie kehrte zurück ....

      Wolodja war es, als ob das Zimmer, Njuta, das Morgengrauen und er selbst, als ob alles im Gefühl eines brennenden, ungewöhnlichen, noch nicht dagewesenen Glückes zusammenflösse, für das man sein Leben opfern und ewige Qualen erdulden könnte; aber nach einer halben Minute war schon alles vorbei. Wolodja sah nur das volle, unschöne, vor Ekel verzerrte Gesicht und fühlte auch selbst Ekel vor dem, was eben geschehen war.

      »Ich muß aber gehen,« sagte Njuta, indem sie Wolodja angewidert musterte. »So häßlich, so jämmerlich ... Pfui, garstiges Entenküken!«

      So abstoßend kamen jetzt Wolodja ihre langen Haare, ihre weite Bluse, ihre Schritte und ihre Stimme vor! ...

      – Garstiges Entenküken ... – sagte er sich, als sie schon fort war. – Ich bin in der Tat garstig ... Alles ist häßlich. –

      Draußen ging die Sonne auf, und die Vögel zwitscherten laut. Man hörte den Gärtner durch den Garten gehen und den Sand unter seinem Karren knirschen ... Und etwas später erklang das Gebrüll der Kühe und das Spiel der Hirtenflöte. Das Sonnenlicht und alle diese Töne erzählten, daß es irgendwo in der Welt ein reines, schönes, poetisches Leben gibt. Wo ist es aber? Weder Mama, noch die andern Menschen, die ihn umgaben, hatten ihm etwas davon erzählt.

      Als der Diener ihn zum Frühzuge weckte, stellte er sich schlafend.

      – Zum Teufel damit! – dachte er sich.

      Er stand erst nach zehn auf. Als er sich vor dem Spiegel kämmte und sein unschönes, nach der schlaflosen Nacht blasses Gesicht betrachtete, sagte er sich:

      – Ganz richtig ... Ein garstiges Entenküken. –

      Als die Mama ihn sah, entsetzte sie sich, daß er nicht im Examen war, Wolodja aber erklärte:

      »Ich habe verschlafen, Mama ... Machen Sie sich aber keine Sorge, ich werde ein ärztliches Attest beibringen.«

      Frau Schumichina und Njuta erwachten erst nach zwölf. Wolodja hörte, wie Frau Schumichina ihre Fenster mit Geklirr aufschlug, wie Njuta auf ihre rauhe Stimme mit schallendem Gelächter antwortete. Er sah, wie die Türe aufging und der lange Zug der Nichten und schmarotzenden Tischgäste (unter den letzteren befand sich auch seine Mama) zum Frühstück ging; er sah auch das frischgewaschene, lachende Gesicht Njutas und daneben die schwarzen Brauen und den Vollbart des Architekten, der eben angekommen war.

       Njuta hatte ein kleinrussisches Kostüm an, das ihr gar nicht stand und sie plump erscheinen ließ; der Architekt machte dumme und abgeschmackte Witze; in dem Klops, den man zum Frühstück reichte, war, wie es Wolodja schien, viel zu viel Zwiebel. Es schien ihm auch, daß Njuta absichtlich laut lachte und immer zu ihm hinübersah, um ihm zu zeigen, daß die Erinnerung an die Nacht ihr nicht die geringsten Schmerzen mache und daß sie die Anwesenheit des häßlichen Entenkükens am Frühstückstische gar nicht bemerkte.

      Gegen vier Uhr fuhr Wolodja mit der Mama zur Station. Die unsauberen Erinnerungen, die schlaflose Nacht, die bevorstehende Relegation, die Gewissensbisse – alles erregte in ihm einen schweren, düsteren Haß. Er betrachtete das magere Profil der Mama, ihr kleines Näschen, den Regenmantel, den ihr Njuta geschenkt hatte, und brummte:

      »Warum pudern Sie sich? Das paßt sich doch nicht in Ihrem Alter! Sie schminken sich, bezahlen Ihre Kartenschulden nicht und rauchen fremde Zigaretten ... das ist ekelhaft! Ich liebe Sie nicht ... ich liebe Sie nicht!«

      Er beschimpfte sie, sie aber bewegte erschrocken die Aeuglein, schlug die Händchen zusammen und flüsterte entsetzt:

      »Was hast du, liebes Kind? Mein Gott, der Kutscher hört es ja! Schweig, der Kutscher hört es! Er hört jedes Wort!«

      »Ich liebe Sie nicht... ich liebe Sie nicht!« fuhr er keuchend fort. »Sie haben keine Moral im Leibe, Sie sind herzlos ... Unterstehen Sie sich nicht, diesen Regenmantel zu tragen! Hören Sie? Sonst reiße ich ihn in Fetzen ...«

      »Mein Kind, beruhige dich!« jammerte die Mama. »Der Kutscher hört es!«

      »Und wo ist das Vermögen meines Vaters? Wo ist Ihr Geld? Sie haben alles durchgebracht! Ich schäme mich nicht meiner Armut, aber ich schäme mich, daß ich so eine Mutter habe! Wenn meine Freunde nach Ihnen fragen, muß ich jedesmal erröten.«

      Mit dem Zuge hatten sie bis zur Stadt nur zwei Stationen zu fahren. Während der ganzen Fahrt stand Wolodja auf der Plattform und zitterte. Er wollte nicht in den Wagen gehen, da dort seine Mutter saß, die er haßte. Er haßte auch sich selbst, die Schaffner, den Rauch der Lokomotive und die Kälte, der er sein Zittern zuschrieb ... Und je schwerer es ihm ums Herz war, um so stärker fühlte er, daß es irgendwo in dieser Welt Menschen gibt, die ein reines, edles, warmes und schönes Leben voller Liebe, Zärtlichkeit, Freude und Freiheit leben ... Er fühlte es und grämte sich so sehr, daß einer der Fahrgäste ihn aufmerksam ansah und fragte:

      »Sie haben wohl Zahnweh?«

      In der Stadt lebten Mama und Wolodja bei Marja Petrowna, einer adligen Dame, die eine große Wohnung hatte und Zimmer vermietete. Die Mama hatte zwei Zimmer: in dem einen, dem mit den Fenstern, wo ihr Bett stand und an der Wand zwei Bilder in Goldrahmen hingen, hauste sie selbst, und im anschließenden kleinen und fensterlosen wohnte Wolodja. Hier stand das Sofa, auf dem er schlief, und andere Möbel gab es hier nicht: das ganze Zimmer war voller Kinderkörbe, Hutschachteln und allerlei Gerümpel, das die Mama aus irgendeinem Grunde aufhob. Seine Aufgaben pflegte Wolodja im Zimmer der Mutter, oder im »Gesellschaftszimmer« zu machen; so hieß ein großes Zimmer, in dem sich alle Mieter zum Mittagessen und in den Abendstunden versammelten.

      Nach Hause zurückgekehrt, legte er sich aufs Sofa und deckte sich mit dem Mantel zu, um sein Zittern zu bewältigen. Die Hutschachteln, Körbe und das Gerumpel erinnerten ihn daran, daß er kein eigenes Zimmer, keine Zuflucht hatte, wo er sich vor der Mama, vor ihren Gästen und vor den Stimmen, die jetzt aus dem Gesellschaftszimmer drangen, verstecken könnte, und der Ranzen und die Bücher, die in den Ecken herumlagen, – an das Examen, das er versäumt hatte ... Ohne jeden ersichtlichen Grund kam ihm plötzlich Mentone in den Sinn, wo er einmal als siebenjähriger Junge mit seinem verstorbenen Vater gewesen war; auch an Biarritz und die zwei kleinen Engländerinnen, mit denen er im Sande herumlief, mußte er denken ... Er wollte sich die Farbe des Himmels und des Ozeans, die Größe der Wellen und seine damalige Stimmung in Erinnerung rufen, aber das gelang ihm nicht; die beiden kleinen Engländerinnen huschten wie lebendig durch seine Erinnerung, alles andere aber vermischte sich und verschwand ....

      – Nein, hier ist es zu kalt, – sagte sich Wolodja. Er stand auf, zog den Mantel an und ging ins Gesellschaftszimmer.

      Im Gesellschaftszimmer trank man Tee. Am Samowar saßen dreie: seine Mutter, die alte Musiklehrerin mit dem Zwicker in Schildpattfassung, und Augustin Michailowitsch, ein älterer dicker Franzose, der an einer Parfümeriefabrik angestellt war.

      »Ich


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