Die bekanntesten Werke von Tschechow. Anton Pawlowitsch Tschechow

Die bekanntesten Werke von Tschechow - Anton Pawlowitsch Tschechow


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ohne sich umzublicken, in die Tiefe des Gartens, möglichst weit vom Hause weg.

      – Ach, wenn ich doch bald von hier fort könnte! – dachte er, sich an den Kopf fassend. – Mein Gott, so schnell als möglich! –

      Der Zug, mit dem Wolodja und seine Mama abreisen sollten, ging um acht Uhr vierzig abends. Es blieben also noch an die drei Stunden; aber wie gerne wäre er schon jetzt, ohne auf Mama zu warten, zur Bahnstation gegangen ....

      Gegen halb acht ging er auf das Haus zu. Seine ganze Figur drückte Entschlossenheit aus: komme, was kommen mag! Er hatte sich entschlossen, mutig aufzutreten, gerade vor sich zu blicken und laut zu sprechen, was ihn auch erwarten sollte.

      Er ging durch die Veranda und den großen Saal und blieb im Gastzimmer stehen, um sich zu verschnaufen. Hier konnte er hören, daß man im anstoßenden Eßzimmer beim Tee saß. Frau Schumichina, seine Mama und Njuta unterhielten sich über etwas und lachten.

      Wolodja horchte.

      »Ich versichere Sie!« sagte Njuta: »Ich traute meinen Augen nicht! Als er mir seine Liebe gestand und mich sogar, denken Sie sich nur, um die Taille nahm, konnte ich ihn kaum wiedererkennen. Wissen Sie, er hat schon so eine gewisse Manier! Als er mir sagte, daß er in mich verliebt sei, blickte er so wild wie ein Tscherkesse.«

      »Ist's möglich!« stöhnte die Mama auf und brach in Lachen aus. »Ist's möglich! Wie erinnert er mich doch an seinen Vater!«

      Wolodja lief zurück und stürzte ins Freie.

      – Wie können sie darüber laut sprechen! – dachte er sich voller Gram, die Hände zusammenschlagend und entsetzt auf den Himmel blickend. – Sie sprechen davon ganz ruhig und laut ... Und Mama lacht ... meine Mama! Mein Gott, warum hast du mir eine solche Mutter gegeben? Warum? –

      Aber er mußte doch unbedingt zu den Damen. Er ging dreimal durch die Allee, beruhigte sich ein wenig und trat wieder ins Haus.

      »Warum kommen Sie so unpünktlich zum Tee?« fragte Frau Schumichina streng.

      »Entschuldigen Sie ... ich muß schon fahren,« stammelte er, ohne die Augen zu heben, »Mama, es ist schon acht!«

       »Fahre allein, liebes Kind,« sagte die Mama ganz matt. »Ich bleibe bei der Lilli über Nacht. Leb wohl, mein Freund ... Komm her, ich will dich bekreuzigen ...«

      Sie bekreuzigte ihn und sagte französisch, sich an Njuta wendend:

      »Er sieht doch ein wenig Lermontow ähnlich ... Nicht wahr?«

      Wolodja nahm Abschied, ohne jemand anzublicken, und ging aus dem Eßzimmer. Nach zehn Minuten war er schon auf dem Wege zur Station und freute sich darüber. Jetzt spürte er weder Angst noch Scham und atmete leicht und frei.

      Eine halbe Werst vor der Station setzte er sich auf einen Stein am Straßenrande und begann auf die Sonne zu blicken, die schon mehr als zur Hälfte hinter dem Bahndamm untergegangen war. Auf der Station brannten schon Lichter, ein trübes grünes Flämmchen leuchtete auf, aber vom Zuge war noch nichts zu sehen. Wolodja war es angenehm, unbeweglich dazusitzen und zu beobachten, wie der Abend anbrach. Das Halbdunkel in der Laube, die Schritte, der Geruch des Lakens, das Lachen und die Taille – alles stand auf einmal mit erstaunlicher Deutlichkeit vor ihm und erschien ihm nicht mehr so schrecklich und bedeutsam wie früher ....

      – Unsinn ... Sie zog die Hand nicht fort und lachte, als ich sie um die Taille hielt, – dachte er sich: – also war es ihr angenehm. Wenn es ihr unangenehm wäre, so wäre sie böse geworden ... –

      Jetzt ärgerte sich Wolodja darüber, daß er vorhin, in der Laube, nicht kühn genug gewesen war. Es tat ihm leid, daß er jetzt abreisen mußte, und er war überzeugt, daß, wenn sich ihm wieder die Gelegenheit böte, er viel kühner und einfacher handeln würde.

       Die Gelegenheit kann sich aber sehr leicht bieten. Bei den Schumichins pflegt man nach dem Abendessen noch lange herumzuspazieren. Wenn Wolodja mit Njuta durch den dunklen Garten geht, so ist auch schon die Gelegenheit da!

      – Ich kehre um, – dachte er sich, – und fahre morgen mit dem Frühzug ... Ich werde ihnen sagen, daß ich den Zug versäumt habe. –

      Und er kehrt um ... Frau Schumichina, seine Mutter, Njuta und eine der Nichten saßen auf der Veranda und spielen Whist. Wolodja log ihnen vor, daß er den Zug versäumt hätte; sie äußerten die Befürchtung, daß er morgen das Examen verpassen könnte, und rieten ihm, recht früh aufzustehen. Solange sie Karten spielten, saß er abseits, betrachtete Njuta mit gierigen Augen und wartete ... Er hatte schon einen Plan fertig: er wird im Dunkeln auf Njuta zugehen, sie bei der Hand fassen und dann umarmen ... er braucht dabei nichts zu sagen, denn alles wird ihnen beiden auch ohne Worte klar sein.

      Nach dem Abendessen gingen die Damen gar nicht in den Garten, sondern setzten das Kartenspiel fort. Sie spielten bis ein Uhr nachts und gingen dann schlafen.

      – Wie dumm! – ärgerte sich Wolodja, als er zu Bette ging. – Macht aber nichts, ich warte bis morgen ... Morgen wieder in der Laube. Macht nichts ... –

      Er bemühte sich, nicht einzuschlafen, saß im Bett, hielt die Knie mit beiden Händen umschlungen und dachte. Der Gedanke an das Examen war ihm widerlich. Er hatte sich schon damit abgefunden, daß man ihn relegieren würde und daß dies gar nicht so entsetzlich sei. Morgen wird er ganz frei sein, morgen kann er Zivil tragen, öffentlich rauchen, öfters herkommen und Njuta nach Herzenslust den Hof machen; er wird kein Gymnasiast mehr sein, sondern ein »junger Mann«. Das Uebrige aber, was man Karriere und Zukunft nennt, ist ja klar: Wolodja kann Einjähriger werden, oder Telegraphenbeamter, oder Apothekerlehrling und es mit der Zeit zum Provisor bringen ... gibt es denn wenig Berufe? So verging eine Stunde, noch eine Stunde, und er saß immer im Bett und dachte ....

      Gegen drei Uhr, als schon der Morgen dämmerte, knarrte leise die Türe, und die Mama kam ins Zimmer.

      »Schläfst du nicht?« fragte sie gähnend. »Schlaf, schlaf, ich bin nur für einen Augenblick hergekommen ... Ich will die Tropfen holen ...«

      »Was brauchen Sie sie?«

      »Die arme Lilli hat wieder ihre Kolik. Schlaf, mein Kind, du mußt ja morgen ins Examen ...«

      Sie holte aus dem Schränkchen ein Fläschchen, trat damit ans Fenster, las das Etikett und ging hinaus.

      »Marja Leontjewna, es sind nicht die richtigen Tropfen!« hörte Wolodja nach einer Weile. »Das sind Maiglöckchentropfen, und Lilli bittet um Morphin. Schläft Ihr Sohn schon? Bitten Sie ihn, daß er die richtigen heraussucht ...«

      Es war Njutas Stimme. Wolodja überlief es kalt. Er zog schnell die Hose an, warf sich den Mantel über und ging zur Tür.

      »Verstehen Sie? Morphin!« erklärte Njuta leise. »Es muß lateinisch auf dem Fläschchen stehen. Wecken Sie Wolodja, er wird es schon finden ...«

      Die Mama öffnete die Türe, und Wolodja erblickte Njuta. Sie hatte die gleiche Bluse an, in der sie gestern aus dem Bade kam. Ihr Haar war offen und fiel auf die Schultern herab, das Gesicht war verschlafen und schien im Dämmerlichte seltsam dunkel.

      »Wolodja schläft ja nicht ...« sagte sie. »Wolodja, suchen Sie doch bitte das Morphin heraus! Es ist eine Plage mit dieser Lilli ... Immer hat sie etwas.«

      Die Mama sagte etwas, gähnte und ging.

      »Suchen Sie doch,« sagte Njuta. »Was stehen Sie so da?«

      Wolodja ging zum Schränkchen, hockte sich hin und begann unter den Fläschchen und Schächtelchen herumzukramen. Seine Hände zitterten, und in der Brust und im Magen, hatte er ein Gefühl, als ob durch alle seine Eingeweide kalte Wellen liefen. Der Geruch von Aether, Karbolsäure und allerlei Kräutern, nach denen er mit seinen zitternden Händen griff und die er dabei verschüttete, benahm ihm den Atem.

      – Ich glaube, die Mama ist weg – dachte er sich. – Das ist gut ... gut ... –

      »Wird's bald?« fragte Njuta gedehnt.

      »Sofort ... Hier ist, glaub ich, das Morphin ...« sagte Wolodja,


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