Karin Bucha Paket 1 – Liebesroman. Karin Bucha
die Pakete vorläufig in ihr Wohnzimmer zu tragen.
Sie selbst hilft Viola aus dem Wagen und führt sie ins Haus. Viola betritt es zum erstenmal. Sie ist tief beeindruckt von dem Glanz, der Vornehmheit, die den Räumen, durch die Brigitt sie führt, anhaftet. Für alles begeistert sie sich, und Brigitt denkt dabei:
Sie ist nicht wie ein Mädchen aus dem Dorf. Sie ist eine Besondere.
*
Es ist um die Mittagszeit, als ein Fremder die Dorfstraße entlangwandert. Er ist eine außergewöhnliche Erscheinung. Von schlanker, drahtiger Gestalt. Das von der Sonne dunkelgebräunte Gesicht steht in seiner Jugendlichkeit in krassem Gegensatz zu dem schneeweißen Haar.
Er geht wie ein Mann seines Weges, der sehr viel Zeit hat – oder der viel nachdenkt.
Tatsächlich. Jack Harry hat zuerst einen Bogen um das Dorf geschlagen, hat sich die Felder und Weiden angesehen und lange vor dem verschlossenen Tor des abseits liegenden kleinen Schlößchens gestanden, das der Familie Kempen gehört. Dann hat er kehrtgemacht, und nun geht er über die Dorfstraße, die fast menschenleer ist, wie ausgestorben wirkt.
Glühend wirft die Sonne ihre Strahlen auf die Erde. Es herrscht eine Hitze wie seit Jahren nicht, eine Hitze, vor der sich Menschen und Tiere in schützende Kühle geflüchtet haben.
Jack Harry scheint die Hitze nicht viel auszumachen. Er steuert direkt auf das Haus des Bürgermeisters zu und läutet. Gegenüber dem neuen, modernen Hause liegt das Bürgermeisteramt. Aber das ist
zu dieser Stunde leer. Man hält Mittagsruhe.
Jack Harry wartet geduldig, bis er schlurfende Schritte hört und die Tür sich vor ihm öffnet. Ein weißer Kopf steckt sich zu einem Spalt heraus.
»Wer ist denn so wahnsinnig, um dieseZeit hier zu schellen?« brummelt die Alte und mißt den Fremden mit Mißtrauen.
»Mein Name ist Jack Harry«, erwidert der Fremde ernst und sein helles Auge mißt die Alte scharf. »In einer wichtigen Angelegenheit möchte ich den Herrn Bürgermeister sprechen.«
»In dieser brütenden Hitze ist Schlaf das Wichtigste«, gibt die Wirtschafterin ärgerlich zurück. Irgend etwas an der Haltung des hochgewachsenen Mannes veranlaßt sie jedoch zu sagen: »Warten Sie einen Augenblick. Mal sehen, ob der Herr Bürgermeister zu sprechen ist.«
»Bitte«, erwidert Harry kurz und lehntsich abwartend gegen die Hauswand. Lange Zeit vergeht, bis endlich die Alte wiederkommt und ihn einläßt. Im Flur öffnet sie die erste Tür linker Hand.
»Nehmen Sie Platz. Der Bürgermeister kommt«, sagt sie kurz und nicht gerade freundlich. Harry stört es nicht. Er tritt ein; den Platz, den sie anweist, verschmäht er. Unruhig geht er in dem kühlen, weiten Raum, der durchaus den Anforderungen der Neuzeit entspricht, auf und ab.
An der Wand hängt ein Bild, das ihn zu interessieren scheint. Ein Buntdruck, ein billiger Buntdruck. Er muß wohl das Dorf vorstellen, wie es vor etwa zwanzig Jahren ausgesehen haben muß.
Seine Miene verdüstert sich. Lange betrachtet er sich das Bild und merkt somit kaum, daß allerhand Zeit vergangen ist, als Schürer endlich im Zimmer auftaucht.
»Sie wollen mich sprechen?«
»Allerdings!« Jack Harry dreht sich dabei gelassen um. Seine Züge sind undurchsichtig. Mit einer gemessenen Verbeugung stellt er sich vor.
Schürer nimmt hinter seinem Schreibtisch Platz und bietet dem Fremden den Sessel vor ihm an. »Sie sind Ausländer?«
»Deutschamerikaner!«
In ruhiger, gewählter Ausdrucksweise, mit einem fremden Akzent gemischt, trägt er dem Bürgermeister sein Anliegen vor, daß er auf der Suche nach Land auch zufällig in die Gegend gekommen sei. Das Dorf habe ihn durch seine ideale Lage bezaubert und er gedenke sich hier anzusiedeln. Dazu benötige er ein Stück Land, da er Pferdezucht betreibe.
Hier unterbricht Schürer ihn. »Pferdezucht? Wissen Sie auch, daß sich hier, nicht in unmittelbarer Nähe, aber doch zum Dorf gehörig, das weltberühmte Kempen’sche Gestüt befindet? Sie hätten die Konkurrenz direkt vor der Nase.«
»Tut mir leid. Der Ruf des weltberühmten Kempen’schen Gestüts ist noch nicht bis nach Amerika gedrungen.« Dabei zeigt sich der Anflug eines kleinen Lächelns um den ausdrucksvollen Mund des Mannes.
»Kann sein«, erwidert Schürer zurückhaltend. Er ist enttäuscht, beinahe empfindet er die sachliche Feststellung des Fremden als eine persönliche Beleidigung.
Aufmerksam mustert er sein Gegenüber. Ein Herrenmensch – urteilt er – ein Mann, der weiß, was er will, ein Mann, den das Leben tüchtig gebeutelt hat. Das jugendlich wirkende Gesicht mit dem schlohweißen Haar ist die Schlußfolgerung.
Er senkt den Blick und schiebt ein Aktenbündel von einer Seite auf die andere. »Ich glaube, Mister Harry«, sagt er im bedauernden Ton, »Land kann ich Ihnen nicht verkaufen.«
»Schade!« Enttäuschung, die erste Regung in dem verschlossenen Gesicht, zeigt sich. »Der Ort hat es mir angetan, er hat mich verzaubert, und der Fluß in der Nähe wäre für meine Zwecke äußerst günstig –«
»Fluß? Moment mal.« Schürer wühlt in der mittleren Schreibtischlade herum. Endlich hat er gefunden, was er suchte. »Hier ist ein Stück Land, es wird vom Fluß begrenzt und schiebt sich wie ein Keil in den Kempen’schen Besitz hinein. Früher war es Bodenbach’sches Land. Der Alte hat es, nachdem die Kempens fast seinen gesamten Besitz erworben hatten, der Gemeinde überlassen.«
Interessiert neigt Harry den schmalen Kopf nach vorn.
»Und was soll es kosten? Viel Barmittel stehen mir nicht zur Verfügung. Ich habe Zuchtpferde mit herübergebracht«, erklärt er nun wieder ganz sachlich und kaufmännisch.
Die knappe unmißverständliche Art Jack Harrys gefällt dem Bürgermeister. Ja, jetzt macht es ihm sogar Spaß, dem Fremden zu helfen.
»Sie können es billig haben. Ich kann allein über die Vergebung beschließen, ohne Einberufung des Gemeinderates.«
»Ich nehme es!«
»Unbesehen?« forscht Schürer.
»Ich habe es bereits gesehen. Sagte ich nicht, daß ich mir vor dem Besuch bei Ihnen die Gegend genau angesehen habe?«
»Ja, stimmt, ja. Also, dann könnten wir uns schnell einigen.«
Schürer nannte den Preis und Harry war sofort einverstanden.
»Wenn Sie so freundlich wären, die Verträge vorzubereiten«, sagt Harry zum Abschied. »In drei Tagen komme ich wieder. Ich muß mich um meine Pferde kümmern.«
»Abgemacht.« Schürer reicht dem Fremden die Hand und setzt freundlich, wie es seine Art ist, hinzu: »Auf gute Nachbarschaft.« Dann lacht er dröhnend wie über einen Witz auf. »Nachbarschaft ist gut, Mister Harry, wir leben einige Kilometer voneinander getrennt, wenn Sie sich erst auf Ihrem Land eingerichtet haben.«
»Trotzdem«, lächelt der Fremde verbindlich, »auf gute Nachbarschaft.«
Höflich geleitet der Bürgermeister seinen Gast zur Tür. Dort wendet Harry sich noch einmal um. In seinen hellen Augen blitzt es wie spöttische Überlegenheit.
»Übrigens können Sie sich in Hamburg beim amerikanischen Konsulat über meine Person genauestens informieren, sofern Sie meine Papiere nicht genügend überzeugten, es mit keinem Vagabunden zu tun zu haben.«
»Falls mir Zweifel kommen, werde ich es auch tun«, entgegnet Schürer mit seiner entwaffnenden Offenheit.
Lange sieht er hinter der hohen Gestalt her. Irgend etwas kommt ihm an dem Manne bekannt vor. Etwas erinnert ihn an einen anderen Mann, den er einst gekannt und teilweise sogar bewundert hat.
Natürlich ist das Blödsinn, sagt er sich, als er ins Haus zurückkehrt.
Jack Harry schlendert indessen die breite Dorfstraße entlang dem Bahnhofsgebäude