Karin Bucha Paket 1 – Liebesroman. Karin Bucha
kreisen unaufhörlich durch seinen Kopf.
Franziska von Bodenbach. Der Name Viola!
Herrgott! Hier liegt des Rätsels Lösung. Auf einen Wink hin verläßt er mit Hertha das Krankenzimmer.
Draußen lehnt er wie betäubt an der gekalkten Wand. Sein Gesicht ist Hertha abgewandt. Sie soll nicht sehen, wie es darin zuckt und arbeitet.
Jakob Hermann! hört er Tante Feodoras Aufschrei! Er wird bei seinem nächsten Besuch Mister Harry mitnehmen, ohne ihn über das aufzuklären, was er soeben hier erlebt hat. Er ahnt Zusammenhänge, ohne der Wahrheit genau auf die Spur zu kommen.
»Ich weiß wirklich nicht, was das alles bedeutet«, hört er Herta neben sich leise sprechen. »Sie müssen sich früher sehr gut gekannt haben, diese sympathische Oberin und Tante Feodora. Ich bin jetzt noch ganz erschüttert.«
Noch viel mehr erschüttert sind sie aber, als sie später dem Professor in seinem Privatzimmer gegenübersitzen und erfahren müssen, daß man seine jetzige Oberin vor, er muß nachrechnen, nahezu neunzehn Jahren hier eingeliefert hat, auf den Tod erkrankt und nicht im Besitz ihres Gedächtnisses.
»Sehen Sie nun die gute Fügung des Schicksals?« schließt er ergriffen. »Nach so viel Jahren löst sich das Rätsel um eine überaus tüchtige und beliebte Oberin. Sie ist Franziska von Bodenbach. Glauben Sie auch, daß hinter allem Geschehen der Herrgott steht? Dem einen ist ein Schicksalsschlag völliger Zusammenbruch, dem anderen ein Aufstieg des Geistes aus tiefster Dunkelheit ans Licht.«
Wie gebannt blickt Tilo Kempen auf den gütigen Sprecher. Er ist ein Mensch der Zahlen, des logischen und klaren Denkens. Er fühlt dennoch die beeindruckende Wahrheit, die hinter des Professors Worten steht.
»Lassen Sie mir Ihre Tante hier, Herr Kempen. Sie hören von mir.«
»Werden Sie mich laufend über ihren Zustand unterrichten? Ich ahne etwas, was ich noch nicht beweisen kann. Aber wenn ich den Beweis finde, dann kann ich Ihrer Oberin ihre Tochter zuführen.«
»Sie können –?« Gutbrock verstummt jäh. Er weiß, was diese Nachricht für Magdalena hedeutet, die jetzt auch wieder seine Patientin geworden ist. Merkwürdig! Er kennt die Seelenstärke dieser Frau, sie wird nicht unter der Wucht ihres wiedergefundenen Gedächtnisses zusammenbrechen. Sie wird eher noch stärker werden. Etwas ist in ihr zur Auslösung gekommen, das starke Muttergefühl. Das wird Magdalena fortan all ihre Handlungen bestimmen lassen.
Doch davon sagt Kempen nichts.
»Sie hören von mir.«
Der Professor begleitet seine Besucher bis zu der breiten Glastür.
»Mir scheint, Ihnen liegt auch viel an der Gesundung, an der seelischen Gesundung meiner Oberin. Und soweit ich beurteilen kann, wird sie wieder ganz gesund werden.« Er hebt dann anschließend die Schulter. » Wie es aber mit Ihrer Frau Tante werden wird – das kann ich leider noch nicht sagen.«
Fest drückt Kempen des Professors Hand. »Glauben Sie mir, Herr Professor, meine Tante möchte über etwas sprechen, was sie bisher still für sich getragen hat. Wird sie noch einmal dazu kommen?«
»Ich werde alles versuchen «
Mit diesem schwachen Trost muß er sich zufriedengeben. Und er fährt mit Hertha zurück in den ›Eichenwald‹.
Er ist wie ausgepumpt von den Eindrücken des Tages, der so ereignisreich war wie sein ganzes bisheriges Leben nicht. Auch Hertha ist erschöpft. Trotzdem drängt es sie in Violas Krankenzimmer.
Viola rast im Fieber. Eine stille, sympathische Schwester ist inzwischen eingetroffen und mit sanfter Hand um Viola, die Fiebernde, bemüht.
Kempen stellt Hertha Springer und sich vor, dann neigt er sich über das glühende Gesicht Violas.
»Liebes!« flüstert er zärtlich, aber er erhält keine Antwort. Viola erkennt ihre Umgebung nicht und die Sorge, die auf Kempens Seele lastet, wird zur schweren Bürde.
Brigitt läuft mit verweinten Augen einher. Sie ist völhg durcheinander. Sie ahnt keine Zusammenhänge. Sie weiß nur, daß man um das junge Menschenkind kämpfen muß.
In dieser Nacht brennt in Kempens Zimmer bis fast zum erwachenden Tag das Licht. Er findet keme Ruhe! Tausendmal läßt er das Erlebte an seinem geistigen Auge vorüberziehen.
Eines steht für ihn fest. Zwischen Harry, semer Tante und dieser Oberin, die Feodora mit Franziska von Bodenbach angesprochen hat, gibt es Fäden.
Völlig ahnungslos wird er Harry mit in das Sanatorium nehmen. Es muß Klarheit um Violas Herkunft geben Dann denkt er an das Bild. Er sieht sich neben Viola am Boden hocken und hört sich sagen: »Man könnte beinahe meinen, du wärest die Frau auf dem Bild.«
Es ist wohl der schwerste Tag im Leben des erfolgreichen Tilo Kempen.
*
Vierzehn Tage sind darüber vergangen. Viola hat die Krise, die eines Nachts eingetreten ist, durchgestanden. Kempen hat das Krankenzimmer nur zu wichtigen Telefonaten verlassen. Er hat sich zwei seiner Direktoren kommen lassen und sie über die nächsten Transaktionen aufgeklärt.
Jetzt geht es ihm nicht mehr um Geld. Es geht ihm um das Leben des geliebten Menschen, der im Fieber rast.
Nie wird Kempen die Stunde vergessen, da Viola endlich in einen tiefen und gesunden Schlaf gesunken ist. Nicht nur der Schwester, auch Dr. Weidmann, der täglich zweimal gekommen ist, verdankt er unendlich viel.
Nun, er wird sich großzügig zeigen. Liebend gern würde er alle Millionen hingeben, nur um das geliebte Leben zu retten und es wurde gerettet. Dieser Augenblick hat ihn taumelig vor Glück gemacht, und in dieser Nacht ist er erstmals in einen tiefen Schlaf gefallen. An den Schläfen zeigen sich die Spuren der durchwachten und von Sorge und Herzeleid überschatteten Nächte.
Täglich hat auch Professor Gutbrock mit ihm telefoniert. Und heute hat er ihm mitgeteilt, daß er eine Besserung in Feodoras Befinden festgestellt hat.
»Merkwürdig, Herr Kempen«, schließt er seinen Bericht. »Die Glieder kann sie schon wieder bewegen. Die Sprache ist ihr genommen, und trotzdem habe ich den Eindruck, sie will ihre Seele erleichtern. Sie will jemand etwas mitteilen.«
»Ich komme sofort zu Ihnen, Herr Professor.« Abermals greift die Erregung nach ihm, und nachdem das Gespräch mit Gutbrock unterbrochen ist, läßt er sich mit Mister Harry verbinden.
»Können Sie sofort zu mir kommen?« fragt er übergangslos.
Harry durchlebt eine Schrecksekunde. »Ist – ist etwas mit Viola?« erkundigt er sich mit rauher Stimme.
»Viola schläft sich gesund.« Kempen lacht bei diesen Worten leicht vor sich hin. »Sie sollen mich auf eine Fahrt begleiten.«
»Ach so«, das klingt enttäuscht, aber Kempen ist sein Chef, und er hat sich zu fügen.
Seit Wochen gibt es den ersten grauen, verregneten Oktobertag, denn der Herbst war einmalig schön.
Kempen und Harry, die sich sehr gut verstehen, fahren schweigend. Kempen weiß nicht, was auf ihn wartet. Er befindet sich in Hochstimmung, denn Viola hat ihn erstmals erkannt, süß gelächelt und ist sofort wieder eingeschlafen.
»Sie schläft sich gesund«, hat Weidmann ihm zugeflüstert, und dieser Ausspruch hat sich im ganzen ›Eichenwald‹ fortgepflanzt.
Längst ist Jochens Schurkentat durchgedrungen und schlagartig hat sich die Stimmung gegen Viola gewandelt. Noch viele gute Werke Violas sind bekanntgeworden. Kempen hat für den Umschwung nur ein ironisches Lächeln übrig.
Professor Gutbrock mißt Harry mit einem prüfenden Blick, den dieser mit vornehmer Zuriickhaltung aushält.
»Wie geht es meiner Tante? Was macht Ihre Oberin?«
Zu dritt durchwandern sie die langen Flure.
»Sie werden gleich selbst urteilen können. Gehen wir erst zu Ihrer Frau Tante. Meine Oberin lebt seit jenem merkwürdigen