Karin Bucha Paket 1 – Liebesroman. Karin Bucha
drückt heftig Tilos Arm.
»Es geht schon los«, gibt Tilo mit einer kläglichen Miene zu, die in krassem Widerspruch zu seinen leuchtenden Augen steht. »Kaum weiß sie, daß ich sie liebe, schon beginnt sie, mich um den Finger zu wickeln.«
Hermann wird sehr ernst. »Gibt es etwas Schöneres, als der geliebten Frau Freude zu bereiten?«
*
Ein Jahr später beziehen Franziska und Jakob Hermann das renovierte Schloß. Sie haben sich heimlich trauen lassen.
Aber als die Rosen überall verschwenderisch in ›Eichenwald‹ blühen, läßt Tilo Kempen das Herrenhaus noch einmal in aller Pracht auferstehen.
Seine Hochzeit mit Viola, der Vielverkannten und jetzt überall Beliebten, wird zu einem großen Fest für das ganze Dorf.
Bitterkeit will Viola überkommen, als sie am Arm des imponierenden Tilo aus der Dorfkapelle tritt, zart, zerbrechlich wirkend in dem von Spitzen überrieselten Brautkleid.
Da spürt sie die Hand des geliebten Gatten.
»Denk immer daran, Geliebtes: Es gibt auch Engel mit schwarzen Haaren.«
– E N D E –
Es begann an einem Tag Anfang Juni. Die Sonne verschwendet sich in Wärme und Glanz.
Stefanie Hollweg schiebt ihr Rad die Auffahrt zu dem langgestreckten weißen Landhaus hinauf, mit vor Eifer roten Wangen und vor Freude glitzernden Augen.
Endlich hat sie die Schule hinter sich. Sie hat ihr Examen mit Auszeichnung bestanden und kann es nicht erwarten, der geliebten Mutter diese so wichtige Nachricht zu überbringen. Sie weiß, daß sie, wenngleich es auch für diese eine Freude sein wird, vorsichtig mit der Kranken umgehen muß. Doktor Hilmer hat es ihr gestern ans Herz gelegt.
Noch ehe sie ihr Rad an die Hausmauer gelehnt hat, öffnet sich über den fünf Stufen zum Eingang die Tür, und Milchen, das Faktotum des Hauses, erscheint.
»Mil –«, Stefanie verstummt jäh.
Das Rad poltert gegen die Mauer, die Mappe, die sie vom Hintersitz
gezerrt hat, schlägt zu Boden. Sie
stolpert, von einem jähen Schmerz erfaßt, die wenigen Stufen empor und umklammert die Schultern Mil-
chens.
»Was ist los? Du hast geweint?« Und dann kommt es wie ein Schrei aus ihrem Munde. »Mutti! Ist etwas mit Mutti?«
»Komm«, sagt Milchen, die treue Seele, nicht wegzudenken in ihrer Fürsorge und rastlosen Tätigkeit für die Herrin und die heranwachsende Tochter. Hemmungslos rinnen ihr die Tränen über das runde, gutmütige Gesicht und sie schiebt Stefanie, die an allen Gliedern bebt, vor sich her ins Haus.
In dem schönsten Zimmer des Hauses, in einem breiten Bett mit der blauseidenen Decke liegt Nina Hollweg. Kerzen brennen zu ihrem Haupte und lassen noch einmal ihre Schönheit geheimnisvoll aufblühen.
»Mutti, liebe – geliebte!«
Stefanie kniet vor dem Lager der Frau, die ihre Mutter war und ihre beste, ihre allerbeste Freundin. Sie ist wie benommen. Zu heftig war der Sturz aus einem wolkenlosen Glücksempfinden in diesen heftigen, würgenden Schmerz. Sie liegt wie hingemäht auf dem weichen hellen Fell vor dem Bett der toten Mutter und findet keine Tränen.
Leise murmelt sie vor sich hin, hält Zwiesprache mit der geliebten Toten, und Milchen, die am Türrahmen lehnt, kann diesen Jammer nicht mehr mit ansehen.
Lautlos gleitet sie neben Stefanie und hebt ihren Liebling vom Boden auf, und Stefanie flüchtet sich in die willig geöffneten Arme wie in ein warmes Nest.
»Gönn’ ihr die Ruhe«, sagt sie leise, nicht störend. »Sie hat sich so sehr danach gesehnt. Sie wollte ja nicht mehr leben –«
»Warum Milchen?« fragt Stefanie leidenschaftlich und schmiegt sich schutzsuchend fester in Milchens Arme. »Wir waren doch so glücklich – wir drei –«
»Ach, Kind.« Milchen streicht eine Locke des schweren schwarzen Haares aus Stefanies Stirn. »Wenn alles Glück wäre…« Sie vollendet nicht, sondern geleitet Stefanie, die jetzt ohne jeden Willen ist, aus dem Zimmer.
Noch einen Blick wirft Stefanie zurück. Die duftigen Mullgardinen flattern etwas im leichten Wind, und die Kerzen flackern auf. Wunderbar schön erscheint die tote Mutter dem jungen Menschenkind.
Und sie weiß nicht, daß sie diese Schönheit geerbt hat. Mit ihrem fast blauschwarzen Haar, den leuchtenden Blauaugen, dem dunklen südländisch anmutenden Teint, den etwas schrägstehenden Augenbrauen hat sie sogar etwas Exotisches an sich.
Im Wohnzimmer, das gleich neben der weiten Halle zur ebenen Erde liegt, wartet Doktor Hilmer auf sie. Er kommt dem verängstigten Mädchen rasch entgegen und umfaßt deren Hände.
»Es ging sehr rasch, Stefanie«, erklärt er mit seiner sanften, beruhigenden Stimme. »Sie hat nicht gelitten. Wenn dir das ein kleiner Trost sein kann.«
Stefanie zieht ihre Hände, die eiskalt sind und leicht beben, zurück. Alles nimmt sie wie hinter einem Schleier wahr. Selbst die Worte des Arztes, der dem Hause ein echter Freund ist, nimmt sie kaum zur Kenntnis. »Ach, Onkel Hilmer«, sagt sie nur.
Sie schlägt die Hände vor das Gesicht und weint bitterlich. Milchen und der stumm dabeistehende Arzt wechseln einen raschen Blick miteinander.
Milchen ist hinausgegangen. Später kehrt sie mit einem Tablett und starkem Kaffee zurück.
»Trink, Kind«, ermuntert sie Stefanie, und rein mechanisch nimmt Stefanie die Tasse aus Milchens Hand. Auch Doktor Hilmer bekommt seinen Kaffee.
»Sie haben es auch nötig«, sagt sie dabei. Der Arzt lächelt sie dankbar an. Sie macht den Eindruck, als habe sie Trost und eine Stärkung am nötigsten.
Hastig trinkt Doktor Hilmer das heiße Getränk. Dann erhebt er sich und geht auf Stefanie zu, die immer noch ihre Tasse in der Hand hält.
»Trink, Kind«, fordert er sie sanft auf, doch sie sieht ihn verständnislos an, dann bricht sie abermals in Schluchzen aus.
Dr. Hilmer nimmt ihr die Tasse aus der Hand und setzt sie neben Stefanie ab.
»Weine dich aus, Stefanie, weinen löst den Schmerz«, tröstet er. Ihm ist dabei selbst erbärmlich zumute. Er hat sehr viel Zuneigung zu den Bewohnern dieses Hauses und leidet jetzt mit Stefanie, als sei es sein eigenes Kind. Dabei hat er schon an unzähligen Totenlagern gestanden. Doch nie hat sein Herz so sehr mitgesprochen wie in diesem Falle.
Er hat sie sehr verehrt, trotz seiner molligen, mütterlichen Frau und den drei wohlgeratenen Kindern. Sie war so ganz anders als die Patienten, die er für gewöhnlich zu betreuen hat.
Er weiß, daß sie irgendein Geheimnis umgeben hat, das sie aber tief im Innern verwahrte. Und er war viel zu taktvoll, sie danach zu fragen.
Sie war seine Patientin, schwer herzkrank, mit schwachem Willen zum Leben. Selbst die heranblühende Tochter hielt sie nicht mehr. Sie lebte schon längst in einer anderen Welt, obwohl sie sich zwang, an dem täglichen Leben teilzunehmen.
Und nun haben sich die schönen, übergroßen, fiebrigen Augen für immer geschlossen. Zurück bleibt ein junges, unerfahrenes, von den Gefahren des Lebens nichts ahnendes Menschenkind.
Er beugt sich über das farblose, in sich gekehrte Gesicht Stefanies.
»Du wirst diesen Schock verwinden, Stefanie«, sagt er warmherzig und erntet dafür einen scheuen Seitenblick. »Du bist nicht allein, Kind. Milchen ist da, und wenn du einen Freund und Ratgeber benötigst, ich stehe dir jederzeit zur Verfügung. Hörst du?«
»Ich höre«, erwidert Stefanie tonlos und blickt wieder über den