Karin Bucha Paket 1 – Liebesroman. Karin Bucha
gelegen, inmitten üppiger Vegetation, umgeben von einem gepflegten Park, liegt Professor Clemens Hollwegs berühmtes Sanatorium.
Er ist eine nicht zu übersehende Erscheinung mit seiner hohen, in den Schultern breiten, in den Hüften schlanken Gestalt.
Nicht nur ein bekannter Chirurg ist er, sondern auch Wissenschaftler. Tief im Park versteckt liegt sein Labor, und nur wenige Vertraute, zu denen Philipp Titanus gehört, haben dazu Zutritt.
Durch die breite Glastür kann Hollweg seine Privaträume bequem erreichen. Doch meist hält er sich im Sanatorium und in der angeschlossenen Klinik auf. Eigentlich hat er überhaupt kein Privatleben, wie Dr. Titanus immer wieder feststellen muß. Er lebt für seine Kranken und für die Wissenschaft. Das scheint ihn völlig auszufüllen. Es ist schon eine Auszeichnung, wenn er Philipp einmal zu sich in seine Wohnung bittet, und dabei wird auch wieder nur gefachsimpelt.
Im Augenblick sitzt Professor Hollweg regungslos im Sessel am Kamin ein Schreiben des Anwaltes seiner Frau in den Händen. Er hat es immer wieder gelesen, und erst nach und nach den Inhalt begriffen. Nina tot! Sein Herz zieht sich im Schmerz zusammen. Jetzt ist sie zum zweiten Male gestorben für ihn, doch diesmal für immer. Nie wieder wird er die schönen Blauaugen in Liebe auf sich gerichtet fühlen. Nie wieder wird er den weichen Körper an seinem Herzen spüren.
Er glaubt, längst darüber hinweg zu sein und muß erkennen, daß immer die Hoffnung neben ihm gewesen ist: Einmal kommt Nina zu mir zurück.
Was ihn aber völlig aus dem Gleichgewicht wirft, ist die Tatsache, daß er eine Tochter hat, eine achtzehnjährige Tochter, Stefanie heißt sie. Und er hat nichts von ihr gewußt. So grausam konnte Nina sein, ihm diese Tochter zu unterschlagen?
Eine beängstigende Stille ist um den Mann, der auf das Blitzgespräch nach Deutschland wartet. Sekunden dehnen sich zur Ewigkeit, und die Unruhe in ihm verstärkt sich zusehends.
»Stefanie.«
Zärtlich spricht er den Namen vor sich hin. Seine Tochter! Er hat einen Menschen, der blutmäßig zu ihm gehört? Der Gedanke berauscht ihn geradezu. Stefanie! Stefanie! Er versucht, sich ein Bild von ihr zu machen. Gleicht sie ihm? Oder ist sie das Ebenbild ihrer zierlichen und doch hochgewachsenen Mutter, mit den leuchtend blauen Augen und dem tiefschwarzen Haar? Da reißt ihn die Glocke des Fernsprechers aus seiner Versunkenheit. Er eilt an seinen Schreibtisch und hebt den Hörer ab.
»Ja, hier Hollweg!«
Am anderen Ende meldet sich eine Stimme und stellt sich als Dr. Rösler vor. Nachdem sie einige Höflichkeiten gewechselt haben, beginnt Hollweg erregt zu sprechen.
»Über meine Bank wurde mir Ihr Schreiben zugeleitet, Herr Doktor. Ich bin erschüttert über das Ableben meiner Frau, mehr noch über die Tatsache, daß ich eine Tochter habe. Sie können es mir glauben, ich habe bis zur Stunde nichts von ihrem Dasein gewußt. Vielleicht wäre alles anders gekommen.«
Hollweg zwingt seine Stimme zur Festigkeit.
»Selbstverständlich möchte ich sofort nach Deutschland zu meiner Tochter kommen. Aber ich kann nicht von heute auf morgen aus meinem Betrieb heraus. Sie werden das verstehen. Bitte, lieber Doktor, teilen Sie meiner Tochter mit, daß die Zahlungen auf jeden Fall an sie weitergehen. Ich möchte stehenden Fußes zu ihr eilen. Doch es geht wirklich nicht. Vielleicht können Sie veranlassen, daß Stefanie zu mir kommt? Zumindest zahlen Sie ihr das Geld aus, das heute noch an Sie überwiesen wird. Ich möchte nicht, daß meine Tochter in Not kommt. Haben wir uns verstanden?«
Er lauscht auf die Antwort, und nach einigen gewechselten Reden hängt Hollweg befriedigt ein. Merkwürdig! Die Stimme flößt ihm Vertrauen ein. Dieser Dr. Rösler wird auch seine Interessen wahren.
*
Acht Tage später sitzt Stefanie Hollweg dem Rechtsanwalt ihrer Mutter in seiner Kanzlei gegenüber. Telefonisch hat er sie zu sich gebeten, um ihr Wichtiges mitzuteilen.
»Die Zahlungen gehen weiter«, springt er gleich auf den Kernpunkt der Sache.
»Wieso weiter?« fragt Stefanie, keineswegs beeindruckt, unheimlich ruhig.
»Ich habe mich bei der Bank erkundigt«, erwidert Rösler.
»Das haben Sie getan?«
Stefanies Augen verdunkeln sich. Wie Eiseskälte weht es von ihr zu ihm.
Unbehaglich rutscht Dr. Rösler auf seinem Sitz hin und her. Das sieht genauso aus, als wäre sie ihm böse, dabei hat er nur ihr Bestes im Auge gehabt.
»Ja, das habe ich getan«, wiederholt er mit Nachdruck und benetzt mit der Zunge die trockenen Lippen. »Dabei erfuhr ich, daß die Zahlungen von Ihrem – Ihrem Vater geleistet wurden. Ja, ich habe selbst mit ihm gesprochen, telefonisch natürlich. Ich muß schon sagen, ich war sehr beeindruckt, denn Ihr Vater hatte erst jetzt über die Bank erfahren, daß er eine Tochter hat.«
Er hält inne und betrachtet sie aufmerksam. Aber vergeblich sucht er nach einer Gemütsbewegung. Kühl, abweisend ist ihre Haltung, fast feindselig. Mit einem kleinen Seufzer vollendet er:
»Sie werden keine Not zu leiden haben. Ihnen steht so viel Geld zur Verfügung, wie Sie benötigen. Dar-über hinaus würde Ihr Vater, Professor Hollweg, schnellstens zu Ihnen kommen, aber er kann im Augenblick nicht weg. Ich habe Verständnis dafür. Wie wäre es, wenn Sie zu ihm führen? Er bat mich so dringend um diese Vermittlung.«
Stefanies Lippen verziehen sich verächtlich.
»Ich danke Ihnen für Ihr Eingreifen. Sie haben es sicher gut gemeint.« Es klingt kalt und wenig erfreut. »Sie können meinem – meinem Vater mitteilen, daß ich auf sein Geld verzichte. Auch auf seinen Besuch lege ich keinerlei Wert, ebenso wenig wie zu ihm nach Rom zu fahren. Keinen Pfennig nehme ich von ihm an. Wollen Sie ihm das mitteilen?«
Völlig fassungslos blickt Dr. Rösler auf das junge Mädchen, das mit einer Handbewegung ein kleines Vermögen ausschlägt.
»Aber – aber«, stammelt er ratlos. »Sie werden es sich überlegen. Stellen Sie sich vor, das Geld kommt von Ihrem Vater, von keinem Fremden –«
»Nichts gibt es für mich zu überlegen«, unterbricht sie ihn entschieden. »Für mich ist dieser Mann ebenso wenig mein Vater wie ich für ihn seine Tochter. Da sind so viele Dinge, über die ich einfach nicht hinwegkomme.«
Eindringlich betrachtet der Anwalt das schöne, jetzt leidenschaftlich glühende Geschöpf.
»Und wie stellen Sie sich Ihre weitere Zukunft vor?«
Auf einmal ist alles Selbstbewußtsein, alle Energie zusammengebrochen. Hilflos, die Augen zu Boden gesenkt, gesteht sie.
»Ich weiß nicht – ich – ich weiß es wirklich nicht.«
Dr. Rösler steht auf und kommt zu ihr. Väterlich besorgt legt er seine Hand auf ihre Schulter.
»Überlegen Sie sich alles ganz genau«, gibt er zu bedenken. »Warum sollen Sie sich mit Zukunftssorgen quälen, wenn sich alles so einfach regeln läßt?«
Voll Erbitterung sieht sie ihn an. Kann sie ihm sagen, daß sie von diesem Mann, der zufällig ihr Vater ist, kein Geld annehmen kann? Von demselben Mann, der ihre liebenswerte Mutter hat zugrunde gehen lassen, zugrunde an dieser tiefen Liebe, die sie für ihn empfand und über die er sich wegen seiner Arbeit bedenkenlos hinweggesetzt hat?
Ehrlich und gerecht, wie sie ist, muß sie zugestehen, daß er in großzügiger Weise für sie gesorgt hat. Aber es gibt auch eine seelische Not, und in die hat er die zartbesaitete Frau zweifellos gestürzt. Dabei spielt keine Rolle, daß sie ihm ihre Geburt verschwiegen hat.
Stefanie erhebt sich. Ganz klar ist es in ihr geworden.
»Nochmals Dank, Doktor.« Sie nimmt die Hand des Anwaltes, der ehrlich bekümmert ist. »Ich ändere meine Entscheidung nicht. Ich will nichts von dem Gelde und nichts von dem Manne wissen, der mein Vater ist und dessen Namen ich trage.
Bedrückt und unzufrieden mit sich selbst kehrt Rösler zu seiner Arbeit zurück. Da spielen