Karin Bucha Paket 1 – Liebesroman. Karin Bucha
Jetzt bemerkt Bergmann, daß der Freund verändert ist, daß ihn etwas quält und bedrückt. Seine ganze Aufmerksamkeit ist geweckt.
»Diesmal hat mich ein einziger Mensch zurückgetrieben – meine Tochter.«
Überrascht neigt Bergmann sich vor.
»Deine – was?«
»Sehr richtig, Martin«, wiederholt Hollweg. »Meine Tochter, von der ich erst nach Ninas Tod erfahren habe.«
»Nina ist…«
Hollweg nickt und fährt fort: »Ich brauche deine Hilfe, Martin. Paß auf, laß dir erzählen.«
In leidenschaftlich bewegten Worten erzählt er dem aufhorchenden Freund alles, was sich in letzter Zeit zugetragen, was ihn von einer Verzweiflung in die andere gestürzt hat, und daß seine Tochter zu ihm zur gründlichen Untersuchung geschickt wird.
»Ich weiß, daß deine Diagnose unantastbar sein wird, Martin. Wirst du dich meiner Tochter annehmen? Dir vertraue ich sie an –«
»Und warum nimmst du sie nicht selbst in Behandlung, Clemens?«
»Ich habe dir doch soeben die Gründe erklärt, Martin«, sagt er gequält. »Stefanie will nichts von mir wissen. Nie, niemals würde sie sich von mir auch nur anrühren lassen. Versteht du das nicht?«
Sinnend blickt Bergmann zu Boden. Ein Gedanke durchzuckt ihn. Er richtet die funkelnden Gläser auf den Freund.
»Soll ich dir einen Rat geben, Clemens?«
Und als dieser nickt, kleidet er seine Gedanken in Worte.
»Ich werde deine Tochter Stefanie in meiner Klinik aufnehmen, sie möglichst von den anderen isolieren und einen kleinen Kreis einweihen, doch nur so weit, als es unbedingt nötig
ist –«
»Darum hatte ich dich doch bereits gebeten«, wirft Hollweg enttäuscht ein.
Bergmann macht eine beruhigende Handbewegung.
»Abwarten, Clemens, laß mich erst ausreden. Du wirst die Behandlung deiner Tochter übernehmen – in meinem Namen natürlich.«
Völlig überwältigt sitzt Hollweg vor dem Freund. Er vermag nicht zu antworten.
»Nun, alter Junge«, ermuntert Bergmann. Er versteht die Fassungslosigkeit des Freundes vollständig. »Du kannst dich deiner Tochter völlig unbefangen nähern. Sie wird dich kennenlernen und vielleicht sogar – lieben.«
Hollweg reißt die Hand des Freundes so heftig an sich, daß dieser den Mund verzieht.
»Nun werde nicht gleich gewalttätig«, versteckt er sich hinter gemachter Scherzhaftigkeit. Dabei ist er tief gerührt. »Hast du geglaubt, dein alter Martin ließe dich im Stich?«
»Nein, das nicht, bei Gott nicht«, stößt Hollweg erregt hervor. »Nur auf diese Lösung hätte ich nicht im Traum zu hoffen gewagt.«
»Also, einverstanden?«
»Und ob, Martin. Wie soll ich dir das jemals danken!«
»Unsinn«, wehrt Bergmann ärgerlich ab. »Sprich nicht von Dank, wo es für mich eine Selbstverständlichkeit ist. Außerdem bist du der Tüchtigere von uns beiden. Du wirst mehr wissen als ich, wenn du erst einmal deine Tochter untersucht hast. Und diese kleine, wie mir scheint, tapfere Frau, die mußt du natürlich auch einweihen.«
»Ja, Maritta Leubner wird auf unserer Seite stehen.« Sekundenlang schweigt Hollweg, dann richtet er sich entschlossen auf. »Ich werde zurück nach Rom fliegen, Martin, werde dort meine Angelegenheiten regeln und mich dann ganz meiner Tochter widmen.«
»Aber heute abend sind wir doch noch zusammen?«
Hollweg sieht den Freud wie um Entschuldigung bittend an.
»Wärst du sehr enttäuscht, wenn ich versuche, das nächste Flugzeug zu bekommen?«
»Enttäuscht schon – aber ich habe Verständnis für dich. Ich kann mir denken, daß es dir unter den Fingernägeln brennt. Ich tröste mich damit, daß wir uns bald so oft wir wollen sehen können.«
Sie machen noch einen Rundgang durch die Klinik, und Hollweg staunt, was der Freund alles geschaffen hat. Er erzählt ihm, wie es bei ihm aussieht, und sie tauschen Erfahrungen miteinander aus.
Als sie sich verabschieden, haben beide das glückliche Gefühl, nie getrennt gewesen zu sein.
Hollwegs Herz schlägt höher, als er in die Taxe steigt.
Stefanie – denkt er – ich werde dir helfen.
Ich werde mein ganzes Können in die Wagschale werfen, um dir dein Augenlicht zu erhalten. Vielleicht – vielleicht lernst du mich wenigstens achten.
Das sind die hoffnungsvollen Gedanken, die Hollweg auf seinem Rückflug nach Rom begleiten.
*
»So, Milchen«, sagt Maritta in einem Ton, der keine Widerrede duldet, »hier ist das Geld, das mir Stefanies Vater gab. Es geht jetzt nicht um kleinliche Haßgefühle. Jetzt geht es um Stefanies Augenlicht. Oder, Milchen, wollen Sie, daß das Furchtbare wirklich eintritt?«
Maritta hat Milchen an der richtigen Stelle gepackt. Sie schluchzt und weint und sieht feindselig auf das Geld.
»Aber –«
»Kein ›aber‹, Milchen«, fegt Maritta jeden Einwand beiseite, »bedenken Sie, was Sie Stefanie für einen Gefallen tun. Hollweg wird sich Stefanie bestimmt nicht in den Weg stellen – es sei denn, es wäre unbedingt nötig.«
»Und – und ich darf Stefanie nicht begleiten?«
Maritta empfindet einen Stich im Herzen, als sie die treue Alte so fassungslos sieht.
»Milchen!« Jetzt legt sie Wärme in ihren Ton und streichelt über die verarbeiteten Hände Milchens. »Sie werden doch hier gebraucht, verstehen Sie denn nicht? Sie müssen Stefanies Eigentum verwalten, und wer verstünde das besser als Sie? Bleiben Sie hier, und warten Sie das weitere ab. Ich selbst rufe Sie so oft wie möglich an, um Sie auf dem laufenden zu halten.«
Milchen trocknet die Tränen.
»Nun ja, dann muß alles seinen Lauf nehmen. Alles ist doch wohl Bestimmung – und schließlich – er ist ja Stefanies Vater.«
Maritta denkt über die letzten Worte nach. Das erste Zeichen Milchens, daß sie Stefanies Vater mit in die Dinge einbezieht. Sie frohlockt. Es dünkt sie ein großer Fortschritt, und frohbeschwingt wie lange nicht sucht sie Stefanie auf.
Schrittweise geht Maritta vor, wie der geborene Diplomat. Auch Dr. Hilmer weiht sie ein, daß Stefanie in München ihrem Vater begegnen könnte.
Der Ruhm Hollwegs ist auch zu ihm, dem Landarzt, gedrungen, und er sagt bedauernd: »Schade, daß Hollweg nicht selbst die Behandlung übernehmen kann, eben wegen die-
ser Schwierigkeit. Er ist enorm tüchtig. Aber«, tröstet er sich sogleich wieder, »Bergmann ist es auch. Sie kommt jedenfalls in die besten Hände.«
Stefanie ist mit allem einverstanden. Still und ergeben fügt sie sich. Bei ihrem Anblick hat man nur den Wunsch, sie zu umhegen und zu umsorgen.
Maritta hat glänzend für die Reise in ihrem Wagen vorgesorgt, und Milchen kommt mit einem Korb angelaufen, in dem sie allerlei gute Dinge verwahrt hat.
»Du lieber Himmel«, lacht Maritta amüsiert auf. »Sie glauben wohl, wir müßten in München verhungern?« Sie blinzelt der Alten geheimnisvoll zu. »Dabei haben Sie schon Ihre Spargroschen geopfert.«
Stefanie wirft die Arme um Milchen und küßt sie voll Dankbarkeit.
»Du gute Seele, Milchen. Bete für mich«, flüstert sie – an deren Ohr, »daß alles gutgeht.«
Nichts Besseres könnte sie Milchen sagen, denn diese glaubt an einen gütigen Gott, der ihrem Liebling helfen wird.