Kompendium der Psychiatrie für Studierende und Ärzte. Dornblüth Otto

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Verfolgungswahn, wobei der Kranke sich körperlich oder in seinen ganzen Lebensverhältnissen feindlich beeinflußt glaubt. Aus allgemeinem Argwohn bilden sich dabei allmählich immer klarere Verfolgungsideen hervor; zunächst werden die Verfolgungen meist in natürlicher und nicht ohne weiteres als krankhaft erkennbarer Art geschildert (Verleumdungen, Schädigungen im Geschäftsleben, Verhöhnungen durch Gebärden, Zeitungsartikel usw.), dann aber werden sie schon weniger glaubhaft auf ganze Gruppen, auf Freimaurer, Jesuiten usw. bezogen, und endlich werden zur Erklärung der krankhaften Empfindungen und Vorstellungen ganz geheimnisvolle Vorgänge angenommen: die Feinde wirken durch Magnetismus, Elektrizität, Telephonieren und Hypnose aus der Entfernung ein (Telepathie), Raum und Zeit usw. spielen keinerlei hindernde Rolle mehr. Vergiftungen, Samenabtreibung, Schwängerung, körperliche Quälereien aller Art werden auf solche Weise vermeintlich gegen den Kranken ausgeübt; er glaubt sich ganz oder teilweise verwandelt usw. — Der Verfolgungswahn findet sich als flüchtige Erscheinung zumal bei den Erschöpfungs- und Infektions- und Intoxikationspsychosen, fixiert dagegen am besten ausgeprägt bei der Paranoia. Eine häufige Form des Beeinträchtigungswahnes ist der Eifersuchtswahn, der besonders beim chronischen Alkoholismus eine wichtige Rolle spielt.

      Der Größenwahn kann sich ebenfalls auf die körperliche oder die geistige Persönlichkeit des Kranken oder auf seine gesamten Verhältnisse beziehen. Er glaubt je nachdem, sehr stark, aller körperlichen Vorzüge voll zu sein, Weiber rühmen sich ihrer zahlreichen und schönen Kinder, die Abgänge der Kranken sind golden, ihre geistigen Leistungen unerreicht. Allgemeinere Überschätzungsvorstellungen spiegeln ihnen hohe Abkunft, großen Reichtum, wichtige Lebensstellungen vor, viele glauben Graf, Fürst, Millionär, Feldmarschall, Kaiser, Weltverbesserer, Christus, Gott und endlich Obergott zu sein. Daneben zeigt sich gesteigerte Unternehmungslust, von unüberlegten Ankäufen bis zum Plane von Mondbahnen u. dgl. Sehr schneidend ist oft der Gegensatz zwischen diesen Vorstellungen, womit unendliche Prahlerei getrieben wird, und dem hilflosen Körper- und Geisteszustand der Kranken. Größenvorstellungen kommen bei Manie als Ausfluß des Affekts, als fixierte Teile des Denkens besonders bei Paranoia, Dementia praecox und Dementia paralytica vor.

      3. Störungen der Gefühlsvorgänge.

       Krankhafte Affekte und Stimmungen.

      Im Geistesleben des Gesunden werden alle Empfindungen und Vorstellungen von einem bestimmten Gefühlston der Lust oder Unlust begleitet, der sich im allgemeinen nach ihrem freundlichen oder feindlichen, fördernden oder hemmenden Verhältnis zu der Persönlichkeit des Menschen richtet. Bei den Empfindungen sind wir allerdings vielfach nicht in der Lage, den Grund anzugeben, weshalb sie uns Lust oder Unlust erregen, weshalb uns ein Akkord harmonisch, ein andrer dissonant klingt. Ebensowenig können wir es direkt ableiten, daß die sogenannten ethischen Gefühle, das Gefühl für Familie, für Ehre, Recht, Eigentum, Reinlichkeit, Ordnung usw., zu den angenehmen gehören. Jedenfalls besteht aber bei den meisten Menschen eine Übereinstimmung, ein »normales« Gefühl. Die Gesamtwirkung, die solche Gefühlstöne auf den Geist ausüben, bezeichnet man, wenn sie dauernd ist, als Charakter, wenn sie vorübergehend ist, als Stimmung, und die Schwankungen der Stimmung nach der Lust- oder Unlustseite nennt man Affekt.

      Unter krankhaften Verhältnissen sind Stimmung, Charakter und Affekte vielfachen Abänderungen unterworfen. Die Stimmung kann gleichgültig und teilnahmlos sein, so daß Vorgänge ohne Eindruck bleiben, die sonst deutliche Gefühlstöne anregen. Die Gleichgültigkeit kann gegen alle Vorgänge der Außenwelt gleichmäßig bestehen, oder z. B. besonders die ethischen Gefühle betreffen, die auch unter normalen Verhältnissen von dem werdenden Menschen viel später erworben werden als die an das eigene Ich geknüpften (egoistischen) Empfindungen. Bei manchen Geistesstörungen, besonders bei Formen des angeborenen Schwachsinns, kommen die ethischen (altruistischen) Gefühle gar nicht zur Entwicklung[1]; bei anderen verschwinden sie zuerst, eher als die eigentlichen Verstandeskräfte, wenn Geistesschwäche sich ausbildet, so besonders bei der Dementia paralytica und beim chronischen Alkoholismus.

      In anderen Fällen ist die Stimmung wechselnd, sie wird nicht, wie beim Gesunden, durch ein gewisses Gleichmaß ausgezeichnet, sondern sie ist jedem flüchtigen Eindruck unterworfen. Die angeborene Neigung zu schnellem Stimmungswechsel, der ja auch dem Kinde eigen ist, das Mißverhältnis zwischen dem Anlaß und der Stärke und Dauer des Affektes, kennzeichnet wiederum den geistig nicht voll oder abnorm Entwickelten (angeborenen Schwachsinn, Hysterie). Erworben findet sie sich bei vorübergehenden geistigen Erschöpfungszuständen (z. B. bei Neurasthenie, nach akuten Geisteskrankheiten) und bei schwererem geistigen Verfall, wo das geschwundene Gedächtnis die Erinnerung an die kurz vorhergehende Stimmung und ihre Begründung schnell fahren läßt (Dementia paralytica).

      Dem Stimmungswechsel verwandt und deshalb annähernd denselben Krankheitsformen eigen ist die krankhafte Reizbarkeit, die Neigung, auf geringe Anlässe mit schweren Affekten, zumal mit Ärger- und Zornausbrüchen zu antworten. Immer ist sie das Zeichen einer krankhaften Gehirnverfassung. Mehr als irgend einer Störung ist sie der Epilepsie eigen, aber auch Neurasthenie, Alkoholismus, Manie und Dementia paralytica bringen die Neigung dazu.


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