Kompendium der Psychiatrie für Studierende und Ärzte. Dornblüth Otto

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Empfindungen und Stimmungen dieser Zeit gehen nicht selten in ausgesprochene Erkrankungen über, zumal in Dementia praecox. Auch manisch-depressive sowie hysterische und epileptische Störungen beginnen oft in der Pubertät. Das der Geschlechtsentwicklung eigentümliche Auftreten von teils physiologischen, teils pathologischen Stoffwechselprodukten macht Intoxikationen des Zentralnervensystems sehr naheliegend. Die erbliche Belastung äußert sich häufig in verfrühter Geschlechtsentwicklung, und es ist klar, daß in jüngerem Alter die Folgen z. B. der Onanie bei Knaben, der Chlorose oder der auch körperlich erschöpfenden Menstruation bei den Mädchen um so schwerer sein müssen. Die Menstruation ist außerdem auch bei gesunden Erwachsenen fast stets mit Störungen des geistigen Befindens, zumal des gemütlichen Gleichgewichts, verbunden.

      In der Blütezeit zeigt sich ein gewisser Unterschied in dem Verhalten der Veranlagung zu geistiger Erkrankung bei beiden Geschlechtern. Beim Weibe ist die Gefährdung am größten etwa vom 25.–35. Jahre, beim Manne vom 35.–45., entsprechend der verschiedenen Lage des Höhepunkts der Erwartungen, Leistungen und Schädigungen. Die Frau ist hier gefährdet durch Enttäuschungen, Liebeskummer, Schwangerschaft, Wochenbett usw., der Mann durch die Schädlichkeiten des Lebens und des Berufs. Für das Weib beginnt eine neue üble Zeit mit den Wechseljahren, die große körperliche und geistige Umwälzungen bringen. Beide Geschlechter sind endlich einer neuen allgemeinen Veranlagung unterworfen um das 60. Jahr herum, wo bei vielen die Beschwerden und Schwächen des Alters sich zeigen. Im ganzen ist die Zahl der geistigen Erkrankungen bei beiden Geschlechtern ziemlich gleich.

      Viel Staub hat in neuerer Zeit die Frage der Überbürdung der Schüler aufgewirbelt, worin Einzelne die Ursache häufiger Erkrankungen sehen wollten. In dieser Schärfe war die Behauptung übertrieben, bei den vorgeführten Fällen spielten erbliche Belastung und üble äußere Einflüsse eine sehr große Rolle. Immerhin ist es zweifellos, daß die Schule mit ihren im ganzen sehr pedantisch-philologischen Vorschriften und der noch viel zu geringen Berücksichtigung der Hygiene, der körperlichen Erholung usw. viel mehr Unheil in bezug auf die geistige Gesundheit der Schüler anstiften würde, wenn diese nicht als Sicherheitsventil gegen Überanstrengung die Unaufmerksamkeit besäßen. Deshalb sind auch Kinder im Einzelunterricht, wo das Aufmerken bis zu einem gewissen Grade erzwungen werden kann, viel mehr gefährdet. Kraepelin weist sehr richtig darauf hin, daß die 200000 Geisteskranken in Deutschland doch alle einmal Schulkinder gewesen sind. Gewiß wäre bei manchen davon ein schonenderer Unterricht heilsam gewesen!

      3. Äußere Ursachen.

      Die äußeren Ursachen der Geisteskrankheiten zerfallen in körperliche und geistige.

      Häufig verbinden sich Geisteskrankheiten mit Nervenkrankheiten, Migräne, Neuralgie usw., doch darf man dabei die letzteren nicht schlechthin als Ursache betrachten. Vielmehr entspringen beide dann meist aus derselben Ursache, vgl. die Abschnitte Neurasthenie und Hysterie.

      Eine wichtige Ursache geistiger Störungen bilden akute körperliche Krankheiten, vor allem akute Infektionskrankheiten: Typhus, Gelenkrheumatismus, Pneumonie, Influenza, Kopfrose, Malaria, Pocken, Kindbettfieber usw. Abgesehen von der Betäubung und der traumhaften Verwirrtheit der Fieberdelirien kommen bei manchen der genannten schon im Vorläuferstadium, aber gelegentlich auch bei allen ohne direktes Verhältnis zur Höhe des Fiebers geistige Störungen vor, die man demnach außer auf die Herzschwäche und den Säfteverlust auf die Vergiftung mit Bakteriengiften beziehen darf. Auch in ihren Erscheinungen sind diese Störungen nicht ohne Ähnlichkeit mit Vergiftungen, zumal durch Alkohol, Kokain, Chloroform, Jodoform, Blei, Kohlendunst, Absinth usw. Außer den Fieberdelirien und den Vergiftungspsychosen, die im Beginn und auf der Höhe oder bei kritischem Ende der Infektionskrankheiten vorkommen, gibt es auch Geistesstörungen, die erst nach dem Ablauf der akuten Krankheit einsetzen; sie sind als Erschöpfungspsychosen anzusehen. Eine ähnliche Stellung haben wohl die Geisteskrankheiten, die gelegentlich durch Entbehrungen, Hungern, Nachtwachen, verkehrte Kuren, oder auf dem Boden chronischer erschöpfender Krankheiten, Tuberkulose. Magen-, Herz-, Nierenleiden, Gicht, Diabetes, Karzinome usw. und namentlich auch chronischer Erkrankungen der weiblichen Geschlechtsorgane, erwachsen. Bei der Syphilis handelt es sich entweder um anatomische Veränderungen in den Zentralorganen mit eigentümlichen Krankheitsbildern, die in einem besonderen Abschnitt eingehender behandelt sind, oder um Toxinwirkungen, wie z. B. bei der Dementia paralytica. 1/4-1/3 der Anstaltskranken verdankt seine Krankheit dem Alkohol oder der Syphilis!

      Die Vergiftungspsychosen bieten häufig gewisse klinische Verschiedenheiten, die mit verschieden lokalisierter Giftwirkung zusammenhängen dürften: so die Urteilschwäche bei Dementia paralytica, die sittliche Stumpfheit und Haltlosigkeit der Alkoholisten, die Teilnahmlosigkeit und Verkehrtheit bei Dementia praecox usw.

      Unter den geistigen Ursachen der Psychosen sind namentlich Überanstrengung und Gemütsbewegungen zu nennen. In vielen Fällen wirken beide unheilvoll zusammen wie bereits S. 11 angedeutet ist. Im allgemeinen bewirken sie Geistesstörungen nur da, wo entweder erhebliche erbliche Anlage besteht, oder wo körperliche Ernährungstörungen mitwirken. Die Gemütsbewegungen sind meist solche, die längere Zeit einwirken, wie Kummer, Sorgen, seltener handelt es sich um plötzliche sehr heftige Affekte, Schreck u. dgl, die dann meist akute, seltener chronische Geistesstörungen hervorrufen: akute Verwirrtheit, Schreckneurosen.

      Geistig bedingt sind auch die Psychosen durch Ansteckung, Folie à deux, Folie communiquée, wo durch Zusammensein mit einem Geisteskranken bei einem besonders dazu veranlagten Menschen eine Geistesstörung entsteht, meist Paranoia oder ein Grenzzustand.

      Ein Gemisch von körperlichen und geistigen Einwirkungen erzeugt die recht häufigen Geisteskrankheiten der Gefangenen. In vielen Fällen erblich belastet haben sie Elend, Not, Angst vor der Entdeckung und die Beschwerden der Untersuchung, die Einsamkeit der Zelle bei ungewohnter Kost und ungenügender Bewegung, dazu noch Gram und Gewissensbisse zu ertragen, so daß also eine ganze Reihe von Schädlichkeiten auf sie einwirkt.

      Die verschiedenen Ursachen des Irreseins, die wir kennen gelernt haben, wirken in der Tat in der verschiedensten Weise zusammen. Selten wird eine Erkrankung durch eine einzelne Ursache hervorgebracht. Wo die erbliche Anlage fehlt, müssen die äußeren Einwirkungen, um Krankheit zu erzeugen, besonders schwer sein, wie dies z. B. bei den akuten Infektionskrankheiten zutrifft,


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