Die Korrupten. Jorge Zepeda Patterson

Die Korrupten - Jorge Zepeda Patterson


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befand. Doch die einzige Erinnerung war die an den langen ironischen Blick, den Claudia ihm zugeworfen hatte, bevor sie durch die Saaltür in ihre Hochzeitsnacht entschwunden war. Diese Sache ist noch nicht vorbei, hatte Tomás damals gedacht und sich an das Fünkchen Hoffnung geklammert, dass es in seinem Leben eine Chance auf weitere glorreiche fünfzehn Minuten geben könnte. Nichts dergleichen war in den folgenden drei Jahren geschehen, außer dass ihm die Dosantos nun doch noch in die Quere gekommen war – wenn auch als Leiche.

      Nachdem er aus der Dusche gekommen war, überprüfte er sein Handy. Die Nummern mehrerer Anrufer endeten mit 2000, das konnten nur die Zentralen irgendwelcher Radiosender sein. Wahrscheinlich wollte man Interviews mit ihm. Bei der Durchsicht des Nachrichteneingangs kam er gerade einmal bis zur zweiten SMS. Die erste war ein Schlag in die Magengrube, die zweite bereitete ihm Herzklopfen.

      »Deine Tage sind gezählt, Arschloch.« Als Absender wurde Marios Handynummer gezeigt. Sofort rief er seinen Freund an und fragte ihn, ob der ihm eine Nachricht geschickt habe. Als Mario verneinte, war Tomás umso besorgter. Nur ein Profi, dem eine hoch entwickelte Technologie zur Verfügung stand, war in der Lage, eine SMS von einem fremden Telefon aus zu verschicken.

      Die zweite Nachricht stammte von einer unterdrückten Nummer. »Was sollst du mit den Dallas Cowboys machen? Hier, jetzt!«

      Das konnte nur Amelia sein, sagte er sich. Offensichtlich hatte sie diesen schrecklichen und erniedrigenden Satz von Jaime nicht vergessen: »Komm ins Becken, aber zieh dir dieses dämliche Dallas-Cowboys-T-Shirt aus und tu’s bei der Gelegenheit mal in die Wäsche.« Selbst nach fast dreißig Jahren fiel es ihm nicht schwer, die Bedeutung der Nachricht zu entschlüsseln: Amelia erwartete ihn auf der Dachterrasse der Waschküche, eine Einladung, die nur sie beide verstanden.

      Er freute sich, dass er frisch geduscht war, und zog sich seine beste Unterwäsche an. Ganz gleich, wie sein Beziehungsstatus gerade aussah, nichts würde ihn je daran hindern, von der Möglichkeit zu träumen, doch noch einmal ein Liebesverhältnis mit Amelia zu haben.

      Tomás eilte die vier Stockwerke zur Waschküche hinauf. Seine Freundin hatte den Ort gut gewählt: Vier verschiedene Treppenaufgänge hatten Zugang zu der Dachterrasse und boten mögliche Wege nach draußen. So konnte sie sich mit ihm treffen und das Haus dann über eine der Seitenstraßen, die den Häuserblock umgrenzten, wieder verlassen. Das Herz schlug ihm bis zum Hals, als er die riesige Fläche voller Wäscheleinen betrat, die wegen der gnadenlos vom Himmel brennenden Mittagssonne menschenleer war.

      Seine Begeisterung erstarb in dem Moment, als er Jaime erblickte, der gegen einen Wassertank gelehnt dastand und ihn mit seinem schiefen Grinsen begrüßte. Er sah erfrischt und absolut entspannt aus, als wäre er auf einer Sonnenterrasse des Country Club und nicht auf dem Dach einer Waschküche, umgeben von Laken, die in der Sonne bleichten, und Wänden, von denen der Putz bröckelte. Wie ist er bloß auf die Sache mit dem Dallas-Cowboys-T-Shirt gekommen?, fragte sich Tomás, enttäuscht, dass es nicht Amelia war.

      »Du musst an deiner Fitness arbeiten, die Zigaretten bringen dich noch um«, empfing Jaime ihn mit belustigter Miene.

      Wie seltsam, dachte Tomás, als ihm bewusst wurde, dass er gerade erst vor wenigen Minuten im Zusammenhang mit Claudias Hochzeit an Jaime gedacht hatte. Seit damals hatte er ihn nicht mehr gesehen. Er erinnerte sich vage an zwei Telefonate, die sie in der Zwischenzeit geführt hatten. Einmal, als die große Schwester seines Freundes gestorben war, an deren Beerdigung Tomás nicht hatte teilnehmen können, weil er zu spät davon erfahren hatte. Das andere Mal war vor einem halben Jahr gewesen, als Jaime aus mysteriösen Gründen bei ihm angerufen hatte. Ohne zu erfahren, worum es eigentlich ging, hatte er Jaime versprechen müssen, dass er niemals zögern würde, ihn um Hilfe zu bitten, falls er etwas brauchte – Geld zum Beispiel. Der Anruf fiel genau in die Zeit, in der Tomás extrem knapp bei Kasse gewesen war und man ihm alle Kreditkarten gesperrt hatte.

      Zögerlich ging er auf Jaime zu. Es würde kein einfaches Gespräch werden. Sein Freund vermittelte ihm immer das Gefühl, er wüsste noch etwas, das er für sich behielt, und dabei war es ganz egal, worum es ging. Es waren asymmetrische Dialoge mit ungleichen Voraussetzungen. Aber Tomás hatte keine andere Wahl: Er war bereit, sich an jeden Strohhalm zu klammern, auch wenn er dafür noch einmal mit den unangenehmen Gefühlen aus seiner Jugend konfrontieren wurde.

      Zum Glück schien Jaime es eilig zu haben. Er umarmte ihn wortlos und kam dann sofort zur Sache. »Dass du noch im Land bist, kann nur bedeuten, dass du etwas zu deiner Verteidigung in der Hand hast.«

      »Ich habe keine Ahnung, warum ich noch hier bin. Ich weiß ja nicht mal, in welcher Art von Schlamassel ich stecke – und wie tief. Ich hatte gehofft, du könntest mir da vielleicht auf die Sprünge helfen.«

      »Bis zum Hals steckst du drin. Mindestens. Aber jetzt erzähl erst mal, warum du diese Info veröffentlicht hast. Von wem hattest du sie überhaupt?«

      Tomás dachte, dass es so typisch für Jaime war, sofort Informationen haben zu wollen, ohne im Gegenzug etwas dafür anzubieten; allerdings konnte sein alter Freund ihm eine unschätzbare Hilfe sein. In den folgenden fünf Minuten erzählte er ihm alles, was er wusste.

      »Am Samstag habe ich mit dem Anwalt Raúl Coronel zu Mittag gegessen. Ganz zufällig kam das Gespräch auf den Skandal des Tages, und da hat er mir unter Berufung auf Polizeiquellen den Tatort verraten. Er hat das zwar als exklusive Information bezeichnet, doch ohne dem Ganzen allzu viel Bedeutung zu verleihen. Am darauffolgenden Tag musste ich meine Kolumne schreiben, aber ich hatte Jimena versprochen, mit ihr ins Kino zu gehen, und du weißt ja, wie ihre Mutter sich aufregt, wenn ich nicht pünktlich bin. Ich schrieb also unter Zeitdruck die Kolumne, und da baute ich das Detail ein, weil ich fest davon ausging, dass es, wenn Coronel schon Bescheid wusste, inzwischen längst unter den Polizeiberichterstattern bekannt war.«

      Tomás konnte sich nicht zu dem Geständnis durchringen, dass nicht eine Verabredung mit seiner Tochter ihn in diese Zwangslage gebracht hatte, sondern ein feuchtfröhlicher Abend im La Flor del Son. Sein Fehltritt war auch so schon schlimm genug.

      »Scheiße, Mann, die haben dich reingelegt«, sagte Jaime nachdrücklich und ohne Raum für Spekulationen zu lassen.

      »Erzähl mir was Neues. Das wusste ich schon, als dieser Scheißtag heute angefangen hat«, erwiderte Tomás verärgert.

      »Okay, ich habe keine Ahnung, warum sie Pamela ermordet haben, und ich weiß auch nicht, wer es getan hat, zumindest noch nicht. Aber die Art, wie sie dich für ihre Zwecke missbraucht haben, könnte ein erster Anhaltspunkt sein: Raúl Coronel ist mit einigen der mächtigsten PRI-Politikern des Landes verbandelt, obwohl er mit verschiedenen Strömungen schwimmt. Es wird also nicht ganz einfach sein, die Hand an der Wiege zu finden. Und als wäre das nicht schon genug, ist er auch noch in ein paar Tourismusprojekte in Los Cabos und Puerto Peñasco verwickelt, die einen Haufen Staub aufwirbeln.«

      »Und was hat das mit dem Fall Dosantos zu tun?«

      »Alles oder nichts. Das werden wir noch sehen.«

      Während der nächsten halben Stunde überlegten sie sich eine Strategie, wie der Situation möglichst schnell und mit allen verfügbaren Mitteln beizukommen sei. Jaime bestand darauf, dass Tomás sich an die Zeitung wandte. El Mundo war nach wie vor die Zeitung mit dem größten Gewicht im Politikbetrieb.

      »Es ist wichtig, dass sie sich nicht von dir distanzieren«, sagte er. »Jeder potenzielle Angreifer wird es sich zweimal überlegen, dir ans Leder zu gehen, wenn er damit rechnen muss, dass es als ein Anschlag auf die Zeitung gewertet wird.«

      Tomás stimmte ihm widerwillig zu. Für den neuen Verlagsleiter Alfonso Palomar hegte er wenig Sympathien, aber es war auch nicht so, dass sie sich feindselig gegenüberstanden. Palomar nahm seine Beiträge resigniert hin. Er hielt nicht viel von Tomás’ Kolumnen, ging aber davon aus, dass der Journalist mehr Schaden anrichten könnte, wenn er für die Konkurrenz arbeitete.

      »Die beste Strategie, um dich vor Widersachern zu schützen, wird sein, die Kosten auf politischer Ebene zu erhöhen. Wegen Salazar selbst mache ich mir gerade weniger Sorgen, schon eher kommt einer seiner Untergebenen auf die Idee, seinem Boss einen Gefallen


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