Die Korrupten. Jorge Zepeda Patterson
auch wenn sie ihren Ruhm eher der Berichterstattung in den Klatschzeitschriften als den Filmkritiken verdankte. Als sie im Jahr 1991 zur Miss Sinaloa gekürt wurde, schnappte sich ein Militärchef, der sich dem Kampf gegen die Drogenkartelle von Culiacán – der Wiege der mexikanischen Capos – verschrieben hatte, die junge Schönheit und brachte sie aus der Gegend fort, bevor sie einem der dortigen Kaziken ins Netz gehen konnte. Sie ließ sich von ihm ein Appartement in Mexiko-Stadt in der exklusiven Colonia Polanco kaufen, wo sie als Geliebte und Trophäe von General Aguilar ein Leben in Saus und Braus führte. Zwei Jahre später fand die Liaison ein jähes Ende, als der Militärchef aufgrund der Ermittlungen, die man wegen seines »unerklärlichen« Reichtums gegen ihn führte, von heute auf morgen das Land verlassen musste und auf diese Weise der jungen Frau ihre Unabhängigkeit zurückgab: die beste Voraussetzung für ihre Karriere. Ihre Schönheit und ihr unbeirrbarer Hang zu einem ausschweifenden Lebensstil taten ein Übriges. Sie tauschte den unscheinbaren Namen Patricia Serrano gegen das glamourösere Pamela Dosantos ein, und fünfzehn Jahre später verzeichnete die Liste ihrer Liebhaber sogar eine stürmische Romanze mit dem meistverehrten Fußballer des Landes. Außerdem wurden ihr Affären mit dem Sänger Luis Miguel und einem Schuhhersteller aus Guanajuato nachgesagt. Letzteren lernte sie kennen, als sie seiner Firma für einen Werbespot ihre berühmten Beine lieh.
Alle diese Liebesverhältnisse begünstigten ihren Aufstieg im Filmgeschäft, sei es wegen der Beziehungen oder der finanziellen Mittel. Ihre Filmografie umfasste ein Dutzend mexikanischer Streifen, die jedoch weder auf Festivals gezeigt wurden, noch Goldene Palmen gewannen. Aber doch unzählige geschüttelte Palmen von einer ganzen Legion von Jugendlichen, dachte Tomás.
In den letzten Jahren hatte das Liebesleben der Dosantos auf hoher politischer Ebene stattgefunden. Einer ihrer Liebhaber, ein Gouverneur mit Aspirationen auf die Präsidentschaft, musste sich öffentlich von ihr distanzieren, nachdem die Schauspielerin in einem Radiointerview behauptet hatte, das Land habe eine wahre Schönheit als First Lady verdient.
Sie hatte ein großes Herz und schien, was ihren Männergeschmack betraf, recht breit aufgestellt zu sein. Laut den Klatschzeitungen zeigte sich die Künstlerin jedes Mal wieder auf die gleiche leidenschaftliche Weise in ihre Lover verliebt. Es war, als hätte sie aus einer gewissen Hilflosigkeit heraus dem jeweils aktuellen Beschützer ihre Zuneigung offen demonstrieren wollen, egal ob er jung oder alt, attraktiv oder hässlich war.
Am Ende ist einer von ihnen wohl zu eifersüchtig gewesen, dachte Tomás bei sich, obwohl der Zustand, in dem sie ihre Leiche angeblich gefunden hatten, auf etwas Schlimmeres als Eifersucht schließen ließ. Wo hast du dich bloß hineingeritten, Pamela, dass sie dich so zugerichtet haben?, fragte er sich, während er das Foto der Diva auf einem Zeitschriftencover vor sich betrachtete. Wo habe ich mich nur hineingeritten, um so eine Drohung wie die von heute Morgen zu bekommen?
Ihm fiel auf, dass Jaime ihm nicht auf seine Frage geantwortet hatte, ob an den Gerüchten um eine Beziehung der Schauspielerin mit Salazar etwas dran war. Wusste sein Freund etwas? Warum hielt er es vor ihm geheim? Einmal mehr spürte Tomás das Unbehagen, das die Gespräche mit Jaime so oft bei ihm auslösten.
Die Drohung, die er auf sein Handy bekommen hatte, war kurz und grausam. Es war nicht die erste, die er in seiner Laufbahn als Journalist erhalten hatte: In den Neunzigern, als seine Kolumne den Politikern Bauchschmerzen bereitete und einigen auch schadete, hatte er mehr als einmal diese Ehre gehabt und war sogar für mehrere Monate unter Polizeischutz gestellt worden. Letztlich war er jedoch zu dem Schluss gekommen, dass er nichts dagegen tun konnte, wenn man ihn wirklich aus dem Weg räumen wollte. Rund um die Uhr von Bundespolizisten von zweifelhafter Verlässlichkeit umgeben zu sein, war zudem nicht nur extrem unangenehm, sondern auch gefährlich. Der pragmatische Fatalismus, den er mit der Zeit entwickelte, hatte also weder etwas mit Nachlässigkeit noch mit Tapferkeit zu tun. Oder um es mit Amelia zu sagen, die Leibwächtern grundsätzlich skeptisch gegenüberstand: »Was für dich bestimmt ist, wird seinen Weg zu dir finden, und was nicht, wird auch nicht passieren.«
Trotzdem fühlte es sich diesmal anders an. Er hatte die einschüchternde Nachricht während der letzten Stunden aus seinen Gedanken verbannt, obwohl er wusste, dass sie gefährlich war. Irgendwo hatte er einmal gelesen, dass eine Warnung umso ernster war, je knapper und lakonischer sie formuliert war.
Da fiel ihm ein, dass er seine Mailbox noch gar nicht abgehört hatte und holte das jetzt nach. Die ersten sieben Nachrichten waren von ebenso vielen Redaktionsleitern verschiedener Nachrichtensendungen, die achte stammte vom Verlagsleiter seiner Zeitung. Er schaltete sein Handy aus und ging zum Tresen. Unter dem Vorwand, sein Akku sei leer, bat er den Angestellten, das Telefon des Lokals benutzen zu können.
Alfonso Palomar nahm den Anruf sofort entgegen: »Glückwunsch, dein Artikel ist der meistgelesene des Portals.«
»Und hast du schon was von oben gehört?«
»Meinst du mit oben die Regierung oder den Chef?«
»Na ja, beide, nehme ich an.«
»Don Rosendo möchte, dass du ihm noch diese Woche einen Besuch abstattest.«
»Und die Regierung?«
»Wir erwarten dich am Donnerstag um 13 Uhr in der Redaktion, und bring alles mit, was du zu dem Fall hast. Also, ich muss jetzt los zur Titelseitenbesprechung. Pass auf dich auf.«
Offenbar glaubten jetzt alle, ihm zum Abschied ein »Pass auf dich auf« mitgeben zu müssen, was nachvollziehbar war, aber Palomars Ton gefiel ihm trotzdem nicht. Seine Stimme hatte etwas Höhnisches, beinahe Verachtendes, als wollte er sagen: »Das hast du jetzt davon, wenn du deine Nase in fremde Angelegenheiten steckst.«
Ein gewisser Argwohn hatte schon immer zwischen ihnen geherrscht: Der Verlagsleiter hielt den Ruhm, den Tomás mit seiner Kolumne in früheren Jahren erlangt hatte, für unverdient. Bei jeder Neukonzeption der Zeitung wurde seine Kolumne auf immer unwichtigere Seiten verdrängt – zumindest hatte Tomás diesen Eindruck. Die Antipathie beruhte jedenfalls auf Gegenseitigkeit. El Mundo könnte wahrscheinlich eine der bedeutendsten Zeitungen des Kontinents sein, wenn der Verlagsleiter weniger Rücksicht auf die mitunter recht launenhaften politischen Interessen seines Chefs nehmen würde. Aber soweit Tomás wusste, verdankte Palomar den Posten weniger seinen beruflichen Verdiensten als seiner bedingungslosen Loyalität gegenüber Rosendo Franco.
Das vertraute schleifende Geräusch, das Marios hinkender Gang erzeugte, riss ihn aus seinen Gedanken.
»Irgendwelche Neuigkeiten?«, erkundigte sich Mario, während er sich zu ihm setzte.
Tomás hielt sich lieber erst mal zurück. Womöglich war die Drohung, die er erhalten hatte, völlig harmlos, und es gab keinen Grund, dass Mario sich auch noch unnötig Sorgen machte.
»Nichts Besonderes, nein. Ich nehme an, die Polizei hat inzwischen die Berichterstattung übernommen. Morgen ist mein Artikel schon Schnee von gestern. Hoffe ich zumindest.«
»Amelia hat mich angerufen, sie hat sehr geheimnisvoll getan. Jedenfalls will sie sich heute Abend mit dir treffen, um halb zehn in der Bar vom Sanborns in San Ángel. Und du sollst sicherstellen, dass die Luft rein ist. Ich kann leider nicht dabei sein, ich bin mit Olga verabredet.« Die letzten Worte brummte Mario in seinen Bart.
»Alles klar. Also, ich habe mit Jaime gesprochen, und er möchte, dass wir uns alle vier morgen Abend im Reina Victoria treffen. Wenn ich Amelia nachher sehe, sage ich ihr Bescheid.«
»Alle vier?« Marios Miene hellte sich auf.
»Wenn du nicht kannst, ist es auch nicht schlimm. Bestimmt können wir morgen schon wieder über die ganze Sache lachen, und Amelia und Jaime machen sich über meinen unfreiwilligen Ruhm lustig.«
»Natürlich bin ich dabei. Und selbst wenn wir uns nur über dich lustig machen, kann ich mir das auf keinen Fall entgehen lassen.«
Tomás versuchte sich zu erinnern, wann die Blauen das letzte Mal zusammengekommen waren. Das musste vor fünf oder sechs Jahren gewesen sein, auf der Beerdigung von Marios Mutter. Am Abend der Beerdigung hatten sie Mario in eine Bar ausgeführt, um ihn aufzumuntern, aber schließlich hatten sie alle