Die Korrupten. Jorge Zepeda Patterson

Die Korrupten - Jorge Zepeda Patterson


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bis sich der Sturm wieder gelegt hat.«

      »Im Gegenteil. Du musst dir jetzt wichtige Verbündete suchen. Aktiviere deine Freundschaften mit anderen Journalisten und Moderatoren. Bist du noch mit Carmen Aristegui befreundet? Sie soll dich unter irgendeinem Vorwand in ihre Sendung einladen. Ihre Einschaltquoten sind nach wie vor die besten im Morgenprogramm, oder?«

      »Aber wenn ich noch tiefer in diese Sache einsteige, wollen sie mich doch erst recht zum Schweigen bringen – und dann auch um jeden Preis. Außerdem weiß ich überhaupt nichts über den Mord an der Dosantos. Hatte sie wirklich eine Beziehung mit Salazar?«

      »Die Idee ist nicht, dass du weiter darüber schreibst. Aber es wäre durchaus von Vorteil, wenn dein nächster Artikel richtig einschlagen würde, irgendeine Enthüllung von breitem öffentlichem Interesse. Damit stündest du erneut im Scheinwerferlicht – der beste Schutz überhaupt.«

      Tomás gefiel der Gedanke, dass seine Kolumnen wieder für politischen Zündstoff sorgen würden, wie sie es vor zehn Jahren eine Weile lang getan hatten. Er hatte seit Langem keine nennenswerte Exklusivmeldung mehr gehabt, außer natürlich der aktuellen, mit der er sich jetzt in die Nesseln gesetzt hatte.

      »Mach dir keine Vorwürfe«, tröstete ihn Jaime, der seinen Kummer erriet. »Der Hinweis auf den Dosantos-Tatort war einfach zu gut, um ihn zu ignorieren. Hör zu, ich werde dir Material für eine gute Story besorgen, die die nächsten Wochen gut abdeckt. Du wirst der meistgelesene Kolumnist im Land sein.«

      Tomás nickte erleichtert, obwohl er sicher war, dass Jaime ihn damit auch für seine eigene politische Agenda einspannte, deren Ausrichtung er nicht kannte. Und wieder einmal werden wir uns gegenseitig ausnutzen, dachte Tomás, und eine schmerzhafte Erinnerung an Amelia stieg in ihm hoch.

      »Schließen wir vorerst aus, dass du das Land verlassen musst, aber ich rate dir, Visum und Reisepass trotzdem immer bei dir zu haben.« Jaime griff in die Tasche seines Sakkos und zog einen verschlossenen Umschlag heraus, in dem sich unverkennbar ein beachtliches Geldbündel befand. »Und das hier, nur für den Fall.«

      Tomás bedankte sich für die Geste, wies das Angebot jedoch mit festem Blick zurück. Er widerstand der Versuchung, die Summe in dem Umschlag zu schätzen. Nur ganz kurz gab er sich dem Gefühl von Erleichterung hin, das er schon bei der bloßen Vorstellung empfand, sich für einige Monate ans Mittelmeer abzusetzen.

      Jaime steckte den Umschlag zurück in die Sakkotasche, und das Lächeln, das dabei um seine Lippen spielte, ärgerte Tomás.

      Gut möglich, dass sie mir in ein paar Stunden eine Kugel durch den Kopf jagen, aber hier sind wir, wie eh und je, und spielen uns auf wie zwei Alphamännchen, dachte er und erinnerte sich an eine entsprechende Bemerkung von Amelia.

      »Wir sehen uns morgen Abend, und ich bringe dir was für deine nächste Kolumne mit. Sag Amelia und Mario Bescheid, dass sie auch kommen sollen. Bis dahin haben wir einen Überblick über die Situation und können besser beraten, wie wir in der Sache weiter vorgehen. Um zehn Uhr im Café des Reina Victoria auf dem Paseo de la Reforma, okay?«

      Ohne eine Antwort abzuwarten, klopfte ihm Jaime zum Abschied auf die Schulter und ging in Richtung eines der hinteren Treppenhäuser davon. Tomás blickte ihm nach und wurde sich plötzlich bewusst, wie sehr Jaime seinem Vater ähnelte: die entspannte, selbstsichere Art, sich zu bewegen, und die natürliche Eleganz, die er ausstrahlte, selbst wenn er einfach nur ruhig dastand. Ein plötzlich aufsteigender Ärger brannte ihm in der Kehle.

       6

       Montag, 25. November, 11.30 Uhr

       Mario

      Er hätte weniger Bücher von Paul Auster und Murakami lesen sollen und dafür mehr von Tom Clancy und Dan Brown, dachte Mario, als er Tomás’ Appartement verließ. So viel er auch nachgrübelte, er hatte einfach keine zündende Idee, wie er seinem Freund helfen konnte, er vermochte nicht einmal die Gefahr einzuschätzen, in der sich dieser befand. War das nicht alles ein bisschen übertrieben? Wenn der Innenminister seinen Freund unter Beobachtung stellte oder, noch schlimmer, eine Vergeltungsmaßnahme gegen ihn plante, gab es dann überhaupt noch ein Entrinnen? War es womöglich schon zu spät? Vielleicht folgte ihm gerade jetzt einer von Salazars Schergen auf seinem Weg zur EcoBici-Station. Er stellte sich vor, wie er sich auf seinem Leihfahrrad abstrampelte und entgegen der Fahrtrichtung durch Einbahnstraßen jagte, um seinem Verfolger zu entkommen. Ob die Leibgarde des Innenministeriums wohl einen Account bei EcoBici hat?, fragte er sich, während er einen Blick über die Schulter warf, ob er unfreiwillig jemanden im Schlepptau hatte.

      Das Radfahren und der frische Wind, der über die Avenida Ámsterdam wehte, beruhigten seine Nerven. Auf dem Fahrrad merkte er das steife Bein kaum. Als er durch die Colonia Condesa radelte, kam er sich vor wie in Amsterdam. Sich kostenlos ein Fahrrad zu schnappen und es eine Viertelstunde später wieder an einem öffentlichen Platz abzustellen, das war wie in Europa. Abgesehen von der Situation, in der er sich gerade befand: Holländer wurden in der Regel sicherlich nicht von der Geheimpolizei verfolgt.

      Glücklicherweise schien sich kein Fahrzeug oder Fußgänger in dieselbe Richtung zu bewegen wie er. Er überlegte, wie er sicherstellen konnte, dass ihm niemand folgte, um seinen Wohnort nicht zu verraten. Aber wahrscheinlich kannten sie ihn längst: Er wohnte schon seit zweiundzwanzig Jahren im gleichen Haus. Er hatte das Glück gehabt, gleich nach seiner Hochzeit für kleines Geld ein Häuschen kaufen zu können – sechs Jahre nach dem schweren Erdbeben von 1985, das den begrünten, baumreichen Stadtteil Condesa ziemlich verwüstet hatte. Wenn das alte Haus schon einem Beben der Stärke 8,1 auf der Richterskala getrotzt hatte, so sein Gedanke, dann würde es auch allem anderen standhalten, wie der Kinderschar, die er in die Welt zu setzen gedachte, und dem unbändigen Charakter der Frau, die er bewunderte und liebte. Zwei Jahrzehnte später hatten sie gerade mal einen einzigen Sohn, doch das Viertel hatte sich inzwischen zum Greenwich Village von Mexiko-Stadt gemausert, sodass das Häuschen inzwischen mehr als eine Million Dollar wert war. Aber das war völlig unerheblich, denn Mario und Olga würden ihr Paradies, in das sie ihr grünes Heim an der Glorieta Popocatépetl verwandelt hatten, um nichts in der Welt verkaufen.

      »Vidal«, rief er seinem Sohn von der Haustür aus zu, »kannst du mal gucken, was in den sozialen Netzwerken so über den Fall Dosantos kursiert und ob es irgendwas Neues gibt?«

      Mit seinen zwanzig Jahren schien sich Vidal nicht wirklich darüber im Klaren zu sein, dass er längst volljährig war. Er hatte keinen konkreten Plan, was er im Leben machen wollte, und scheinbar auch keine Eile, es herauszufinden, aber wenn es um Computer und das Internet ging, machte ihm so leicht keiner was vor – das glaubte zumindest sein Vater.

      »Schau mal nach, ob Salazar mit der Sache in Zusammenhang gebracht wird«, bat er ihn.

      Mario war mit den sozialen Netzwerken ausreichend vertraut, um zu wissen, dass Nachrichten dort zu einem regelrechten Gewitter anwachsen oder aber unbemerkt in der digitalen Informationsflut versinken konnten.

      »Das Hashtag #SalazarDosantos ist das Trending Topic auf Twitter in Mexiko«, teilte Vidal ihm lakonisch mit.

      »Und was heißt das genau?«

      »Dass mehrere Tausend Leute in den letzten Stunden etwas zu dem Thema getwittert haben.«

      »Zum Beispiel?«

      »›Arme Pamela, erst ermordet, dann noch des schlechten Geschmacks beschuldigt. Salazar? Igitt.‹ Oder: ›Ein schwanzgesteuerter Mörder, Salazar, wie er leibt und lebt.‹ Oder hier: ›Hat ihm denn keiner gesagt, dass man sich auch einfach trennen kann? Warum gleich umbringen?‹«

      Die Hoffnung, das Thema würde einfach in der Versenkung verschwinden, konnte man also begraben, dachte Mario, während sein Sohn schon wieder mit schwindelerregender Geschwindigkeit tippte.

      »Hallo, Crespo, was machst du denn schon hier?«, fragte Olga und gesellte sich zu ihnen.

      Mario hatte noch nie verstanden, warum ihn seine Frau immer bei seinem Nachnamen nannte, aber sie


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