Die Korrupten. Jorge Zepeda Patterson

Die Korrupten - Jorge Zepeda Patterson


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mit ihnen zusammengestanden und sich dann zurückgezogen, weil er sich in ihrem Kreis unwohl gefühlt hatte. Das ist das Problem mit den fest angestellten Journalisten, sagte er sich. Sie stecken so tief im alltäglichen Nachrichtensumpf, dass ihre Gespräche ein eigenes Universum mit einer verschlüsselten Sprache darstellen, aus dem alle anderen Sterblichen ausgeschlossen sind.

      Selbst wenn es um Politik ging – der Hinweis auf den Spitznamen eines Staatssekretärs oder den kleinen Skandal von vor zwei Tagen machte aus jeder lustigen Anekdote einen Insiderwitz. Tomás hatte sich von der Gruppe entfernt, als er sich dabei ertappte, wie er lauthals mitlachte, nur um sich nicht anmerken zu lassen, dass er schon seit Längerem mehr für den Sportteil übrighatte als für ihre intellektuellen Kolumnen über die Kapriolen der Gesellschaft.

      Der eigentliche Grund für seine Niedergeschlagenheit aber war Claudia, die Braut. Niemand außer ihnen beiden wusste, dass sie einmal unter denkwürdigen Umständen eine Affäre gehabt hatten.

      Einige Jahre zuvor hatte ihr Vater eine Reise in die Vereinigten Staaten unternommen, um sich mit den Verlegern der Washington Post und der New York Times zu treffen, die erst nach langem, raffiniertem Taktieren mit der mexikanischen Botschaft in Washington und großzügigen Spenden an den New Yorker Journalistenverband zustande gekommen war. Der Zeitungsbesitzer hatte eine Reisegruppe aus drei oder vier Mitarbeitern zusammengestellt, von denen mindestens eine Person fließend Englisch sprechen sollte. Da keiner der leitenden Redakteure diese Auflage erfüllte, hatte der Verleger, zumal unter Zeitdruck, Tomás eingeladen, der lediglich als freier Journalist für die Zeitung arbeitete. Zur Entourage zählte auch seine Tochter Claudia, die dem Wunsch ihres Vaters, ins Mediengeschäft einzusteigen, nie nachgekommen war und stattdessen ihren Doktor in Kunstgeschichte gemacht hatte. Sie wollte sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen, die legendäre Eigentümerin der Post, Katharine Graham, persönlich kennenzulernen. Die Besuche der beiden Zeitungen entwickelten sich zu einem sechstägigen Schlemm- und Saufgelage, zuerst im Plaza Hotel in New York, dann im Four Seasons in Washington. Der Verleger war extrem großzügig und kannte sich in beiden Städten bestens aus. Entschlossen übernahm er die Rolle des privaten Stadtführers für seine Angestellten und unterwarf sie einem straffen Zeitplan, auf dem neben offiziellen Besuchsterminen und ausgedehnten Abendessen mit den amerikanischen Kollegen auch diverse Broadway-Shows standen. In diesem Umfeld entwickelte sich zwischen Claudia und Tomás eine natürliche Komplizenschaft, die auf dem kulturellen Defizit der restlichen Truppe beruhte. Angesichts der spärlichen Englischkenntnisse des Verlegers, den niemand zu verbessern wagte, sowie der gewaltigen Fauxpas des Chefredakteurs im Bereich Kunst und Malerei wechselten die beiden jungen Leute den einen oder anderen verschwörerischen Blick. Am dritten Tag klopfte sie an die Tür seines Hotelzimmers: »Ich hätte da mal ein paar Fragen zu Bacon.«

      Für den Rest der Reise schlich sie sich nachts heimlich in Tomás’ Suite, wobei sie einander immer wieder beteuerten, dass die Sache zwischen ihnen nur eine kleine Episode war. Sie führte zu Hause in Mexiko eine feste Beziehung, die voraussichtlich in eine Ehe münden würde, und sein Liebesleben war in höchstem Maße unbeständig, dafür aber umso aufregender. Dennoch fühlte sich Tomás geschmeichelt. Mehr als einmal dachte er in diesen kurzen Nächten, wenn Claudia neben ihm schlief, dass es in seinem Leben ab jetzt nur noch bergab gehen könne. Was seine Männlichkeit betraf, erlebte er gerade seine glorreichen fünfzehn Minuten. Claudia war nicht nur die einzige Tochter eines der einflussreichsten Männer des Landes, sie war auch eine echte Schönheit, und vor allem besaß sie eine entwaffnende und äußerst ansteckende Heiterkeit. Ihr spontanes, aufrichtiges Lachen und die vor Intelligenz sprühenden Augen machten sie für ihn zur perfekten Gesprächspartnerin. Und dann war da noch ihr Hintern: Ihre kubanische Herkunft mütterlicherseits sorgte dafür, dass sie in den New Yorker Bars und Restaurants sämtliche Blicke auf sich zog.

      Nach ihrer Rückkehr gingen sie mit dem Gefühl auseinander, dass es zwischen ihnen eigentlich noch etwas zu sagen gegeben hätte. Und vielleicht wäre es sogar dazu gekommen, wenn Tomás nicht so fest davon überzeugt gewesen wäre, dass er lieber mit der Erinnerung an diese einmalige Woche mit Claudia weiterleben wollte, als sie mit seiner enttäuschenden Alltäglichkeit zu konfrontieren.

      Wochen später fragte er sich immer noch, ob er jemals der selbstsichere, schlagfertige und hochkultivierte Mann werden könnte, den er vor Claudia gespielt hatte. Monatelang träumte er von der Möglichkeit, sich gänzlich in sein New Yorker Alter Ego zu verwandeln. Schließlich aber fand er sich damit ab, dass das alles Maskerade gewesen und er nur aufgrund des begrenzten Zeitraums und der günstigen Umstände nicht aufgeflogen war. Ein Teil von ihm glaubte, dass auf dieser Reise etwas entstanden war, das zu einer ernsthaften Paarbeziehung hätte führen können, doch in seinem tiefsten Innern wusste er, dass er sie früher oder später enttäuscht hätte. Dies war der Grund, warum er zwei Wochen nach ihrer Rückkehr aus den USA nicht auf die Nachricht reagierte, die Claudia auf seinem Anrufbeantworter hinterließ: ein vorsichtiges »Ruf mich an, wenn du kannst«. Sie hatten sich danach nicht mehr wiedergesehen. Soweit er wusste, hatte sonst niemand von dem Intermezzo erfahren.

      Am Abend der Hochzeit, als er wehmütig die Sommersprossen in Claudias Dekolleté und ihre spektakulären Kurven betrachtete, tröstete ihn der Gedanke, dass er sich lieber geschmeichelt fühlen sollte, als in Selbstmitleid zu versinken – ganz sicher wäre er von den meisten Männern im Saal beneidet worden, und von nicht wenigen Frauen.

      Das war der Moment, in dem Jaime ihn ansprach. Jemand, dem ich die Sache mit Claudia auf keinen Fall erzählen kann, war Tomás’ erster Gedanke, aber er freute sich wirklich, den Freund zu sehen. Jaime erinnerte ihn an die Zeit, als die Zukunft noch offen war und das Leben eine riesige Spielwiese, auf der jeder seine Möglichkeiten voll entfalten konnte. Auch wenn das in seinem Fall nicht passiert war, erinnerte er sich immer noch mit einem warmen Gefühl an die frühen Jahre ihrer Freundschaft. Unter anderem bewunderte er Jaime dafür, dass er – anders als er selbst – der »Architekt seiner eigenen Zukunft« gewesen war, wie die Lehrer im Colegio Madrid es genannt hatten.

      Was ihre Erscheinung, ihr Verhalten und ihre Lebenseinstellung betraf, so hätten die beiden kaum gegensätzlicher sein können. Jaime trug einen Designer-Smoking und italienische Schuhe, deren Wert in etwa Tomás’ Monatsgehalt entsprach. Sein vornehmes Auftreten und der elegante, penibel gestutzte Schnurrbart erinnerten an das Klischee eines Latin Lovers aus dem Hollywood der Fünfzigerjahre, aber niemand hätte es gewagt, sich über ihn lustig zu machen. Jaime hatte eine ungeheure physische Präsenz, und wenn sein Gegenüber davon noch nicht eingeschüchtert war, dann von seinem Respekt oder gar Furcht einflößenden Blick, obwohl er eigentlich immer lächelte.

      Tomás trug lustlos seinen schwarzen Hugo-Boss-Anzug, der zwar seine besten Zeiten bereits hinter sich hatte, aber noch immer das Herzstück seines Kleiderschranks war. Seine nachlässige Kleidung passte in gewisser Weise zu dem krausen, halb ergrauten Haupthaar. Amelia hatte Tomás’ Blick einmal als wässrig bezeichnet, und alle wussten irgendwie, was sie gemeint hatte. Er selbst tröstete sich mit der Auslegung, dass er sie zu Tränen rührte oder sie intellektuell nährte wie eine Pflanze, die gewässert wurde, aber Jaime sah darin eher eine Anspielung auf die instabile Gemütslage seines Freundes. Bei Tomás musste man jeden Moment damit rechnen, dass er den Blick von seinem Gesprächspartner abwandte und ihn auf seine Fußspitzen heftete oder seine Aufmerksamkeit auf die Wolken am Himmel richtete.

      »Von der musst du dich fernhalten«, sagte Jaime anstelle einer Begrüßung. »Die bringt dich nur in Schwierigkeiten.«

      »Wer?«, antwortete Tomás mit einem Grinsen.

      Dass Jaime in Rätseln sprach, war nichts Neues. Tomás folgte Jaimes Blick und verstand, worauf dieser sich bezog. Keine drei Meter von ihnen entfernt stand die Schauspielerin Pamela Dosantos, eine Brünette mit auffälligen Kurven in einem Kleid, das zu eng war, um geschmackvoll zu sein. Aber sie trug es mit dem unerschütterlichen Selbstbewusstsein einer Frau, die wusste, dass sie begehrt wurde.

      Jaime ließ ein paar Bemerkungen zum bewegten Liebesleben der angeblich von zahlreichen mächtigen Männern des Landes heiß umkämpften Leinwandgröße fallen, doch Tomás hörte schon nicht mehr richtig zu, auch weil ihm bewusst war, dass diese professionelle Schönheit in einer völlig anderen Liga spielte als er.

      Jetzt,


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