Der neue Sonnenwinkel Box 2 – Familienroman. Michaela Dornberg
begrüßte die Frau ziemlich reserviert, weil sie halt nichts Gutes erwartete, und deswegen war sie so erstaunt, dass Rosmarie in erster Linie gekommen war, um sich bei ihr zu bedanken und ihr die Blumen als Anerkennung zu überreichen. Ein Strauß, der wirklich wunderschön war, Roberta mochte ganz speziell diese Blumen und Gräser, die sie vor Jahren zum ersten Mal in Kapstadt gesehen hatte, wo sie am Krankenhaus ein Praktikum absolviert hatte.
»Danke, Frau Rückert, damit haben Sie mir eine ganz große Freude bereitet, aber es wäre wirklich nicht nötig gewesen. Es ist mein Beruf, den Menschen zu helfen, die zu mir kommen.«
»Ich weiß, aber ich bin ja nicht gekommen, um mir helfen zu lassen, sondern um Sie …, nun ja, um Sie zu benutzen, um ein Treffen mit der unehelichen Tochter meines Mannes zu vermeiden.«
»Und haben Sie meinen Ratschlag befolgt und sind zu dem Treffen gegangen?«, wollte Roberta wissen, die sich natürlich sehr gut an Rosmaries Besuch in ihrer Praxis erinnern konnte.
»Frau Doktor, das musste ich nicht. Als ich nach Hause kam, saß Cecile da und hat auf mich gewartet.«
Und dann erzählte sie Roberta von ihrem Gespräch mit Cecile, von dem Treffen mit ihren leiblichen Kindern und ihrem Mann, gemeinsam mit Cecile, und dass alles ganz wunderbar verlaufen war.
»Das freut mich, Frau Rückert«, rief Roberta, und das meinte sie auch so.
»Mich freut es jetzt auch, denn Cecile ist ein ganz wunderbarer Mensch, und alles, was ich mir da zusammengereimt habe, entsprang allein meiner Fantasie. Sie haben mich auf die richtige Spur gebracht, und eigentlich möchte ich Ihre Patientin werden, damit Sie mir helfen, mein Leben wieder in den Griff zu bekommen, das mir augenblicklich ganz schön um die Ohren fliegt. Ich fürchte, ich habe ganz viel falsch gemacht, angefangen bei meinen Kindern, weil ich eine andere Sicht auf die Dinge hatte. Die Werte, die bislang für mich zählten, haben ihre Bedeutung verloren, und wo es wirklich längs geht, das weiß ich noch nicht. Es fällt mir schwer, mich in meinem neuen Leben zurechtzufinden.«
»Frau Rückert, ich freue mich sehr, dass Sie dieses Problem gelöst haben. Ich habe Ihnen doch gesagt, dass Sie das schaffen werden. Aber Ihren Weg zu finden, dabei kann ich Ihnen nicht helfen, ich bin keine Psychiaterin oder Psychologin. Ich kann Ihnen gern einen Kollegen empfehlen, von dessen Arbeit ich überzeugt bin.«
Davon wollte Rosmarie nichts wissen.
»Nein, das möchte ich nicht, wenn das herauskommt, denken die Leute doch, ich habe …, nun …, ich habe einen an der Klatsche. Nein, ich denke, Sie können mir helfen. Sie besitzen sehr viel Einfühlungsvermögen. Wissen Sie, ich bin ja nicht gerade einfach und trete ziemlich selbstbewusst, man kann sogar sagen, überheblich auf. Aber Sie haben sich davon nicht beeindrucken lassen. Und das hat mir gefallen. Es hat mir geholfen. Ich glaube, es reicht mir, zu Ihnen zu kommen und mit Ihnen zu reden.«
Das war jetzt keine einfache Situation, doch Roberta musste darüber nicht nachdenken.
»Frau Rückert, wenn Sie krank sind, wenn Sie eine Vorsorgeuntersuchung machen möchten, dafür bin ich zuständig, und da helfe ich Ihnen gern. Auch wenn es mir schmeichelt, dass Sie so viel von mir halten, ich bin keine Gesprächstherapeutin und brauche meine Zeit für die Patienten, die körperlich krank sind. Das verstehen Sie doch, oder? Wenn Sie ein Leiden hätten, dann hätten Sie doch auch gern meine volle Aufmerksamkeit. Ich kann Ihnen nur noch einmal anbieten, zu meinem Kollegen zu gehen, und da mache ich Ihnen gern einen Termin. Ansonsten denke ich, dass Sie stark genug sind, Ihr Leben selbst in den Griff zu bekommen, den ersten Schritt haben Sie bereits getan, und nun erfolgt der nächste, und dann geht es immer so weiter. Von einem Tag auf den anderen kann niemand sein bisheriges Leben komplett umkrempeln.«
Rosmarie wollte etwas sagen, doch Roberta ließ es dazu nicht kommen.
»Sehen Sie mal, Frau Rückert, den wunderschönen Blumenstrauß, den Sie mir mitgebracht haben, den haben Sie nicht einfach so gekauft, dazu ist er zu speziell. Ich bin überzeugt davon, dass Sie sich Gedanken darüber gemacht haben, was mir gefallen könnte.«
Das bestätigte Rosmarie.
»Und so handhaben Sie es künftighin mit allem. Machen Sie sich Gedanken, egal ob um Menschen oder um Dinge. Fragen Sie sich, soll ich das sagen? Könnte es ihm oder ihr gefallen? Und so gehen Sie Schrittchen für Schrittchen vorwärts, und denken Sie daran, Rom wurde auch nicht an einem Tag erbaut.«
Roberta versuchte der ihr gegenübersitzenden Frau noch einige Hinweise zu geben, und als sie fertig war, war Rosmarie Rückert ziemlich überwältigt. Doktor Roberta Steinfeld hatte einen Fan, eine glühende Bewundererin gefunden.
»Sehen Sie, Frau Doktor, das ist es. Mit wenigen Worten können Sie einem etwas klarmachen. Es ist schade, dass ich nicht zu Ihnen kommen darf, damit Sie mir das Leben erklären. Aber ich verstehe Sie schon. Patienten, die Sie wirklich brauchen, die sind wichtiger. Ich werde auf jeden Fall zu Ihnen kommen, wenn mir etwas fehlt, auch wenn es in Hohenborn genügend Ärzte gibt. So jemanden wie Sie habe ich noch nicht erlebt. Ich bin froh, dass Sie mich wenigstens als Patientin annehmen werden. Das tun Sie doch, oder?«
»Ja, das tue ich gern. Und jetzt bedanke ich mich noch einmal für den wunderschönen Strauß, und wenn Sie die Adresse meines Kollegen doch noch haben wollen, dann rufen Sie mich bitte an. Ich will nicht unhöflich sein, aber ich habe noch, ehe die Nachmittagssprechstunde beginnt, Hausbesuche zu machen.«
Sofort sprang Rosmarie auf, entschuldigte sich, was sie früher niemals getan hätte, dann verabschiedete sie sich.
Als sie nach draußen kam, ihr Auto sah, bekam sie so etwas wie ein schlechtes Gewissen. Es war wirklich ziemlich ungehörig, einfach in der Einfahrt zu parken.
War das auch ein Schritt in die richtige Richtung?
Sollte sie sich die Adresse des Psychiaters doch geben lassen?
Oder sollte sie einfach zu Inge Auerbach fahren, die war eine gute Ratgeberin, konnte ganz hervorragend zuhören, und bei Inge konnte man sicher sein, dass sie Geheimnisse für sich behielt.
Sie fuhr in Richtung der Auerbachschen Villa, um kurz davor wieder abzudrehen.
Sicher wäre es hilfreich, sich bei Inge auszuweinen, aber hatte die Frau Doktor nicht gesagt, sie solle Schrittchen für Schrittchen in ihr neues Leben gehen? Da gab es etwas, wo sie anfangen konnte, nämlich bei ihrer Tochter Stella. Es war an der Zeit, zu ihren Kindern ein anderes Verhältnis aufzubauen, und da konnte sie bei Stella anfangen. Mit der war es einfacher als mit Fabian, und von ihrer Tochter wusste sie, dass sie um diese Zeit zu Hause sein würde.
Sie war keine gute Mutter gewesen, und Stella hatte im Grunde genommen das meiste abbekommen, weil sie sich am wenigsten aufgelehnt hatte. Eigentlich überhaupt nicht, sie versuchte noch heute, es ihren Eltern recht zu machen, sie kam regelmäßig zu Besuch, brachte selbst gemachten Kuchen mit, und Rosmarie schämte sich schon wieder, wenn sie daran dachte, wie wenig sie es Stella bislang gedankt hatte.
Was war sie bloß für ein Mensch gewesen?
Hatte da wirklich Cecile kommen müssen, um ihr die Augen zu öffnen?
Warum war sie nicht von selbst darauf gekommen, dass bei ihr im emotionalen Bereich eine ganze Menge schieflief, und nicht nur da.
Warum hatte ihr sonst niemand etwas gesagt?
Rosmarie verstand die Welt nicht mehr, am wenigsten konnte sie mit sich selber umgehen.
Es war wirklich verrückt. Ausgerechnet Cecile, die sie abgelehnt, ja, die sie sogar bekämpft hatte, war es gelungen, einen Hebel bei ihr umzulegen, man konnte auch sagen, ihr einen Spiegel vorzuhalten. Und was sie sah, gefiel ihr nicht, konnte ihr überhaupt nicht gefallen. Denn da sah sie eine bösartige, egoistische Frau, die glaubte, die ganze Welt müsse sich um sie drehen.
Ja, es war wirklich nicht zu glauben, dass Cecile hinter die äußere Fassade geblickt hatte, und da war etwas zum Vorschein gekommen, das sie selbst nicht kannte.
Lag es daran, dass sie so geworden war, weil sie in ihrer Kindheit und Jugend Armut erlebt hatte, bittere Armut, und