Einen geliebten Menschen verlieren. Doris Wolf

Einen geliebten Menschen verlieren - Doris Wolf


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diese einzelnen Phasen durchleben, wenn seine Wunde heilen soll und er sich einen neuen Lebenssinn aufbauen will.

      Die Phasen der Trauerverarbeitung verlaufen nicht kontinuierlich. Es wird Fortschritte und Rückschritte geben. Nach dem Aufbrechen der Gefühle wird es täglich Schwankungen zwischen den verschiedenen Gefühlen geben. In der Phase 3 wird es manchmal etwa an besonderen Tagen wie dem Todestag, Weihnachten, Geburtstag, Hochzeitstag etc. Rückfälle in die Phase 2 geben. Doch sie werden vorübergehen.

       Warum reagieren manche Menschen mit starker Trauer, während anderen gar nichts anzumerken ist?

      Zunächst einmal kann man aus dem, wie andere nach außen wirken, wenig darüber aussagen, wie es in ihnen aussieht. Zum anderen bestimmen sehr viele unterschiedliche Faktoren, wie stark der einzelne den Verlust empfindet. Diese sind:

       1. Die Beziehung zum Verstorbenen

      War es die Großmutter, der Bruder oder der Partner, der verstarb? War in der Beziehung viel Wut und Hass auf den Verstorbenen, so kommen nach dem Tod viele Schuldgefühle auf um die Frage: „Habe ich genug getan?” Dies erschwert das Abschiednehmen und die Bewältigung der Trauer.

      Waren beide Partner sehr abhängig voneinander? Spielte der Verstorbene eine nahezu unersetzliche Rolle in Sachen Arbeit, Freizeitgestaltung oder Sexualität? War der Verstorbene die einzige enge Bezugsperson für den Trauernden? Wie wichtig war der Verstorbene im Leben des Trauernden?

       2. Die Persönlichkeit des Einzelnen

      Wie stark das Leben eines einzelnen Menschen erschüttert wird, hängt von dessen Persönlichkeit ab. Hat er sein Leben rund um den Partner aufgebaut, nie alleine gelebt, sein Selbstwertgefühl nur über ihn aufgebaut? Hat er sich gedanklich schon damit befasst, dass der Tod eines Tages in sein Leben treten könnte? Akzeptiert er, dass es keinen Anspruch auf dauerhaftes Glück gibt im Leben? Glaubt er, dass er einen Verlust überwinden kann?

       3. Das Alter des Verstorbenen

      Ganz besonders schwierig ist es, sich mit dem Tod eines Kindes abzufinden, weil quasi ein Gesetz des Lebens „Man stirbt erst im Alter nach den Eltern” in Frage gestellt wird.

       4. Alter und Geschlecht des Trauernden

      Jüngere Frauen haben die größten Chancen, die Trauer zu bewältigen. Männer tun sich insbesondere in unserer Gesellschaft schwer, ihre Trauer einzugestehen.

       5. Der Umstand des Todes

      Kam der Tod plötzlich und unerwartet oder kam der Tod nach langer Krankheit? Wenn der Partner nach langer Krankheit stirbt, kann der Verlassene den Tod in Gedanken schon mehrmals vorweggenommen und den Schmerz schon zum Teil erlebt haben. Stirbt jemand nach langer schwerer Krankheit kann man sich auch damit trösten, dass der Tod eine Erlösung für den Verstorbenen sei.

      Kam der Tod völlig überraschend durch Gewalteinwirkung, durch Unfall, Mord oder Selbstmord oder im Ausland, wo man den Leichnam nicht mehr sehen konnte?

      Plötzliche Verluste sind meist schwerer zu betrauern, weil vieles unausgesprochen blieb und der Tod auch häufig starke finanzielle Einschränkungen mit sich bringt.

      Viele sagen: Je schwerer der Verlust, je gewaltsamer und plötzlicher der Tod, desto schwieriger und schmerzlicher sei der Verlust und die damit verknüpfte Trauerarbeit.

       6. Frühere Verluste

      Hat der Betroffene sich früher schon eimal von Schmerz überflutet erlebt oder die Trauer nicht zugelassen? Hat der Betroffene schon einmal einen Verlust erlebt und betrachtet Verlust als Bestandteil des Lebens?

      Für den Betroffenen ist sein Verlust der schmerzlichste und ungerechteste auf der Welt. Wir sehen tagtäglich in den Nachrichten Bilder von toten Menschen, die meist auf grausame Weise umgebracht wurden, manchmal auch die Bilder von klagenden und von Schmerz überwältigten Angehörigen. Wir lesen von Verstorbenen in der Zeitung. Doch tot ist nicht gleich tot. Unseren eigenen Verlust erleben wir am stärksten. Er begleitet uns die gesamte Zeit des Tages und nicht nur bis kurz nach den Nachrichten. Mit dem verstorbenen Partner haben wir uns Lebenspläne erstellt, tausende von schönen Erfahrungen gesammelt, ihn täglich um uns gehabt. Deshalb trifft uns dieser Tod um so härter. Unser Schmerz ist der schlimmste für uns. Wir brauchen uns nicht in einen Wettkampf zu begeben, welcher Schmerz mehr Berechtigung hat. Wir können nur unseren Schmerz fühlen und er ist das Ergebnis all unserer Erfahrungen und Wünsche mit diesem Menschen. Wir brauchen uns nicht für unseren Schmerz zu entschuldigen. Unser Verlust ist für uns der größte der Welt.

       Männer und Trauer

      Trauer ist nicht auf ein Geschlecht beschränkt. Männer durchlaufen genau die gleichen Phasen wie Frauen. Und doch gibt es einen Unterschied. Unsere Gesellschaft gesteht Männern nicht zu, gefühlsbetont zu sein. Männer dürfen meist nicht weinen und laut schluchzen, ohne als Schwächling angesehen zu werden. Man erwartet von ihnen, sich schneller „abzufinden“. Sie haben sich äußerlich stärker unter Kontrolle. Die Umwelt wird unsicher, wenn ein Mann plötzlich weint. Der Mann wird von seinen Kollegen schneller wieder in Kontakt mit einer Frau gebracht, auch abgelenkt von seinen Gefühlen und Gedanken. Männer wollen meist mit anderen Männern nicht über ihre Gefühle reden, was ihnen dann wiederum das Gefühl von Einsamkeit erzeugt. Männern fällt es ebenfalls schwer, einen anderen Mann anzurufen, um mit ihm etwas zu unternehmen. Obwohl sie genauso lang zum Trauern brauchen wie Frauen, heiraten sie wesentlich schneller wieder. Das hängt zum einen damit zusammen, dass die Frau in der Partnerschaft für das emotionale Wohlbefinden zuständig ist, es mehr verwitwete Frauen als Männer gibt und zum anderen die sexuellen Bedürfnisse bei Männern meist schneller wieder aufkommen. Die schnelle Heirat vor Vollendung der Trauerarbeit kann jedoch zu einer unglücklichen Beziehung führen, beispielsweise wenn der Mann seine neue Partnerin ständig mit seiner verstorbenen Frau vergleicht.

      Verliert eine Familie ihr Kind, kommt es häufig zu Konflikten zwischen Mann und Frau, wenn der Mann trauert, indem er nie mehr den Namen des Kindes erwähnt, während seine Frau am liebsten ununterbrochen über den Verlust sprechen möchte. Während die Frau ihre Trauer mit Weinen zum Ausdruck bringt, stürzt sich der Mann womöglich in die Arbeit. Keiner hat Verständnis für die Art des Trauerns vom anderen und besonders die Frau gewinnt den Eindruck, ihrem Mann mache der Verlust nichts aus und er lasse sie allein in ihrer Verzweiflung.

       Die Zeit heilt keine Wunden

      Es gibt Menschen, die jahrzehntelang trauern und kein neues inneres Gleichgewicht erreichen. Die Zeit kann nicht unsere Gedanken, Erinnerungen und unerfüllten Wünsche verändern. Wenn wir tagtäglich mit unserem verstorbenen Partner reden und so tun, als ob er mit uns den Alltag teilt, dann wird die Zeit keinen Abschied bewirken. Wenn wir tagtäglich denken, wie schön es doch wäre, wenn unser Partner noch da wäre, und dass es ungerecht ist, dass wir ihn verloren haben, dann können wir unsere Wut und Sehnsucht zwanzig Jahre und mehr aufrecht erhalten. Die Zeit allein heilt keine Wunden. Was wir mit der Zeit anfangen, ist bedeutend für die Heilung. Wenn wir denken, wir beweisen unsere Liebe, indem wir möglichst lange trauern, ist die Zeit kein Hilfsmittel. Wenn wir denken, wir könnten Versäumtes wiedergutmachen, indem wir uns schuldig fühlen und trauern, kann die Zeit uns nicht heilen. Wir müssen die Zeit, jeden einzelnen Augenblick der Zeit benutzen. Wir müssen unsere Gedanken von dem Partner lösen. Der Trauerprozess muss aktiv durchlebt werden. Wir brauchen die Zeit, um unseren Schmerz, unseren Ärger, unsere Ängste zu verspüren. Wir brauchen Zeit, um wieder genießen zu können, ohne uns schuldig zu fühlen. SIE müssen die Zeit nutzen, damit sie heilsam für SIE sein kann. Trauern benötigt Zeit, aber wir


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