Einen geliebten Menschen verlieren. Doris Wolf

Einen geliebten Menschen verlieren - Doris Wolf


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gemeinsame Zeit mit dem Partner zur Verfügung gehabt zu haben, aber dass wir dankbar sind, diese Zeit überhaupt geschenkt bekommen zu haben. Wir werden den Verstorbenen nicht vergessen, aber uns neu orientieren.

       Zwei Formen der Trauerverarbeitung

      Wir können zwei Arten der Trauerverarbeitung unterscheiden: die normale Trauer und die krankhafte Trauer.

       1. Die normale Trauerverarbeitung

      Die Trauer ist keine Krankheit sondern eine angemessene Reaktion auf einen erlittenen Verlust. Dieser Verlust kann der Verlust einer Arbeitsstelle, des Wohnortes, der Gesundheit, eines Partners durch Scheidung oder Tod, der Jugend oder eines Kindes durch Auszug sein.

      Sie ist notwendig und lebenserhaltend. Verlieren wir den Partner durch Tod, lösen wir uns in der Trauer schrittweise von all den gemeinsamen Dingen, die wir mit dem Toten in der Vergangenheit teilten, und finden dann zu einer neuen Lebensperspektive, neuen Rollen und Aufgaben zurück oder wählen uns neue Aufgaben.

      Mir fällt an dieser Stelle immer das Bild zweier Bäume ein, die sich gegenseitig stützen und deren Wurzeln, Äste und Blattwerk miteinander vernetzt sind. Fällen wir nun den einen der Bäume, so muss der andere Baum ein neues Gleichgewicht finden. Der verbliebene Baum hat nun die Aufgabe, sich selbst fest im Boden zu verankern, seine Äste so auszudehnen, dass der verbliebene Platz ausgefüllt ist. Selbst wenn wir einen jungen Baum daneben pflanzen, kann dieser so schnell den abgeholzten Baum nicht ersetzen. Wenn wir gemeinsam unser Leben aufgebaut haben, gemeinsame Kinder haben, uns gegenseitig Unterstützung und Achtung gegeben haben, eine gemeinsame Wohnung eingerichtet haben, gemeinsam gegen die Widrigkeiten der Welt gekämpft haben, gemeinsam Enttäuschungen erlebt, Streitereien befriedet haben, dann laufen nach dem Verlust eines Partners all diese Gewohnheiten wie die Äste des Baumes, der sich abstützen will, ins Leere. All unsere Gedanken, die den Partner einschlossen, haben kein Ziel mehr. Das Gefühl des Verlustes und des Schmerzes signalisiert uns, dass unser Gleichgewicht nicht mehr stimmt. Nach dem ergebnislosen Bestreben, den Partner wiederzufinden und zurückzugewinnen, müssen wir lernen, zunächst ohne den Partner zu leben, und schließlich gelangen wir an den Punkt, wo wir anders leben als zu Zeiten des Partners.

      Wir haben bei der Bewältigung des Verlustes vier Aufgaben zu lösen:

       1. Wir müssen den Verlust akzeptieren.

      Wir müssen lernen, die Tatsache zu akzeptieren, dass der Mensch, den wir lieben, tot ist und nicht zurückkehren wird. Wir müssen akzeptieren, dass ein Wiedersehen des Toten zumindest in diesem Leben nicht möglich ist.

       2. Wir müssen den Trauerschmerz erfahren.

      Wir müssen den seelischen und körperlichen Schmerz, den der Tod mit sich bringt, akzeptieren und durchleiden. Ein manches Mal steht dem die gesellschaftliche Forderung im Wege, Trauer sei ungesund und krankhaft, und es wird versucht, den Trauernden vom Kummer abzulenken und aufzumuntern.

       3. Wir müssen uns ohne Partner ein neues Leben aufbauen.

      Wir müssen uns auf eine veränderte Umwelt mit neuen Rollen und Aufgaben einstellen. Wir formulieren neue Lebensziele und wagen es, neue Fertigkeiten zu erlernen.

       4. Wir müssen uns für andere Menschen öffnen.

      Wir müssen uns von dem Verstorbenen gefühlsmäßig lösen, um uns in einer anderen Beziehung emotional einbringen zu können.

       2. Die krankhafte Trauerverarbeitung

      „Krankhafte Trauerverarbeitung“, dieses Wort klingt scheußlich, und ich verwende diesen Begriff höchst ungern. Er begegnet uns immer wieder in medizinischen und psychologischen Büchern und deshalb will ich ihn aufgreifen. Es ist schwierig, zu formulieren, wann Trauer angemessen und wann sie krankhaft ist. Ich persönlich würde es am liebsten so definieren: Trauer ist nicht mehr hilfreich, wenn wir länger leiden, als wir möchten, wenn wir unsere Ziele im Leben nicht mehr verwirklichen können und wir unsere Gesundheit nicht mehr erhalten wollen. Bei der krankhaften Trauerverarbeitung können wir eine der vier oben genannten Aufgaben nicht bewältigen.

      1. Wir scheitern schon an der ersten Aufgabe, indem wir den Verlust leugnen. Wir weigern uns, zu glauben, dass der Partner wirklich tot ist. Immer mal wieder liest man in der Zeitung, dass ein Angehöriger über Jahre neben dem toten Körper seines Partners schläft. Wir leben in der Vergangenheit und suchen uns keine neue Lebensperspektive. Wir belassen beispielsweise das Zimmer so, wie es der Verstorbene verlassen hat. Aus dem Zimmer wird ein Altar, zu dem wir täglich pilgern. Alles, so zu belassen, wie es war, verhindert die Heilung.

      Für eine bestimmte Zeit ist dieses Verhalten verstehbar. Wenn es sich jedoch über Jahre hinzieht, ist es krankhaft. Eine andere Form des Leugnens ist es, die Bedeutung des Verlustes zu verringern, indem wir den Partner abwerten. „Mir fehlt er nicht.” „Er war in Wirklichkeit kein guter Partner”, sind dazugehörige Äußerungen. Alles, was an den Partner erinnert, wird sofort weggeworfen. Um es nochmals zu betonen, für eine kurze Zeit ist es vollkommen normal und verstehbar, auf ein Wiedersehen zu hoffen und den Tod zu verleugnen.

      2. Wir leugnen den Schmerz und unterdrücken ihn durch Ablenkung, durch Geschäftigkeit, Ausschalten der Erinnerung an den Toten, Ortswechsel, Ruhelosigkeit, Tabletten und Alkohol. Uns fehlen jegliche Trauersymptome. Wir ziehen uns nicht zurück, zeigen keine Traurigkeit und keine Tränen. Wir wechseln sofort nach dem Tod den Arbeitsplatz, verkaufen das Haus, stürzen uns sofort in die nächste Partnerschaft. Wir versuchen, dem Schmerz zu entrinnen, was jedoch langfristig zu schwerwiegenden Folgen führt, wie beispielsweise zu psychosomatischen Beschwerden und Erschöpfungszuständen.

      3. Wir weigern uns, neue Fertigkeiten zu erwerben und die Rolle des verstorbenen Partners zu übernehmen. Wir bleiben in unserer Hilflosigkeit und in unserem Schmerz stehen und weichen den Anforderungen der Welt aus. Wir trauern chronisch. Wir denken an Selbstmord oder nehmen uns sogar das Leben.

      4. Wir lassen Wut auf den verstorbenen Partner nicht zu oder quälen uns auf Dauer mit Schuldgefühlen.

      5. Wir lassen uns nicht mehr auf eine neue intensive Beziehung ein, sondern halten an der früheren Bindung fest.

      Des Weiteren spricht man von einer krankhaften Trauerreaktion,

      •wenn die Trauer übertrieben lange anhält und wir den Eindruck haben, „nicht mehr wir selbst zu sein“;

      •wenn die Trauerreaktion übertrieben ist und wir stark verzweifelt und überwältigt sind;

      •wenn die Trauerreaktion verschoben wird, d.h. nicht zu dem Zeitpunkt ausgelebt wird, wo sie auftritt;

      •wenn wir unfähig sind, unsere alltäglichen Pflichten zu bewältigen;

      •wenn wir verstärkt zu Alkohol und Drogen greifen;

      •wenn latent Selbstmordgefahr besteht.

       Wodurch kommt es zu krankhafter Trauer?

      Wie schon gesagt, ist die Unterscheidung, wann wir von einer krankhaften Trauer und wann von normaler Trauer sprechen, schwierig. Ich möchte hier einige Faktoren aufzählen, die dazu führen können, dass wir in unserer Trauerarbeit steckenbleiben oder sie überhaupt unterbinden. Wird die Trauerarbeit nicht geleistet, so laufen wir Gefahr, seelisch und manchmal sogar körperlich krank zu werden.

       Faktoren, die eine krankhafte Trauerverarbeitung begünstigen

      1.Wir haben in unserem Kopf das Gebot: „Du musst in jeder Situation Haltung bewahren.” und stürzen uns in Aktivität.


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