Ganz klar Tanja. Dana Wolf

Ganz klar Tanja - Dana Wolf


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Körperhaltung, eine leise Stimme -, nichts Besonderes und doch alarmierend. Für die Patienten der Berghoff-Klinik viel mehr als eine vorübergehende Verstimmung.

      “So.”

      Dr. Arendt war soweit.

      “Ich druck’s Ihnen mal aus.”

      Tanja machte ein fragendes Gesicht, während die Medizinerin den Drucker ansteuerte, einige A4-Blätter in Farbe entnahm und sie Tanja überreichte.

      “Ihr Therapieplan”, erklärte sie, “wenn Sie möchten, gehen wir das mal zusammen durch.”

      Dr. Arendts Stimme war warm, freundlich, vertrauenerweckend. Tanja nickte.

      “Gern.”

      Sie überflog den ersten Teil mit der Überschrift Progressive Muskelentspannung. Sie blieb an Worten wie Schlafstörungen, Rückenschmerzen und Schwitzen hängen und fühlte sich ertappt. Als ob das etwas Verbotenes wäre! Sie las weiter, verstand aber wenig. Sarah Arendt erläuterte: “Die Muskelrelaxation ist nur einer der Bausteine unserer Therapie. Da Ihre Spannungszustände bereits zu körperlichen Beschwerden geführt haben, werden wir zunächst mit einigen Entspannungsübungen beginnen.”

      Die Ärztin warf einen Blick in Tanjas digitale Krankenakte.

      “Nervöse Gereiztheit, Verstimmung, Unausgeglichenheit ……”, las sie, “das sind alles Symptome, die sich auch körperlich niederschlagen.”

      “Gereiztheit”, wiederholte Tanja, “da bin ich ja offensichtlich nicht die Einzige hier.”

      Dr. Arendt verstand sofort, worauf - beziehungsweise auf wen - sie anspielte.

      “Tom van Buuren”, sagte sie, “ein besonders hartnäckiger Fall, zugegeben. Aber Sie müssen das rein medizinisch sehen.”

      “Sie meinen, er ist eigentlich ein ganz lieber Kerl, und nur der Stress hat ihn zum Kotzbrocken gemacht?”

      Die Ärztin lächelte.

      “So ähnlich, ja.”

      “Na, dann besteht ja noch Hoffnung.”

      Sie erschrak. Hatte sie das wirklich gesagt? Was ging sie dieser Typ an? Abgesehen davon, dass er ihr Vater hätte sein können, war er einfach das, was er war - ganz egal, ob krank oder nicht: Ein Unsympath, wie er im Buche stand. Also warum auch nur einen weiteren Gedanken an diesen van Buuren verschwenden? Sie wandte sich wieder ihrem Therapieplan zu, während Dr. Arendt mit ihren Erläuterungen fortfuhr.

      “Morgen früh geht es dann mit Radfahren weiter. Ganz unspektakulär. Reduziert das Stresslevel. Danach Fango.”

      Sie sprang zu einem weiteren Punkt auf der Liste.

      “Yoga“, las sie, „genauer gesagt: Aerial Yoga. Wahlweise Freiluftyoga. Je nachdem, ob Sie lieber schwerelos an einem Elastikband hängen oder ob Sie es lieber etwas … äh, bodenständiger mögen.”

      Die Medizinerin freute sich über ihre eigene Formulierung und präzisierte ihre Ausführungen.

      “Sie müssen wieder lernen, richtig zu atmen. Richtiges Atmen ist der Schlüssel zur Entspannung. Richtiges Atmen bringt Sauerstoff in jede Zelle des Körpers und sorgt für neue Energie. Wenn Sie nicht richtig atmen lernen, bleibt Yoga nur eine einfache Turnübung.”

      Tanja hing an ihren Lippen. Die einzigen Turnübungen, die sie kannte, nannten sich Grünkohlernte und Apfelpflücken. Und diese beiden Disziplinen waren alles andere als ein Zuckerschlecken.

      Dr. Arendt ging den Behandlungsplan bis zum Ende durch. Nach Yoga folgte Autogenes Training, dann wieder Körpertherapie, Fango und Outdoor-Yoga. Danach begann der Zyklus von vorn. Sämtliche Therapieschritte würden von Patientengesprächen begleitet, erfuhr sie. Die Ärztin schloss mit dem Hinweis, dass, falls indiziert, ebenfalls Gesprächs- und Verhaltenstherapien angeboten würden. Auch eine Bastelgruppe könne sie empfehlen. Dann sah sie zur Uhr.

      “Schon so spät!”, erschrak sie. “Ich denke, wir haben auch alles besprochen. Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Aufenthalt in der Berghoff-Klinik!”

      Sie erhob sich, begleitete Tanja zur Tür und gab ihr noch ihre Karte mit auf den Weg.

      “Meine Sprechzeiten, für den Fall, dass Sie irgendwelche Fragen haben.”

      Sie drehte sich um, als ihr noch etwas einfiel.

      “Ach so, Sie haben Zimmer 28, zweiter Stock, Ostflügel. Chipkarte steckt.”

      “Danke, Frau Doktor.”

      Tanja steckte die Visitenkarte ein und machte sich auf den Rückweg zum Empfang. Von dort aus führten Fahrstühle und die geschwungene Haupttreppe in die oberen Stockwerke. Tanja sah zur Uhr. Fürs Abendessen war es noch nicht zu spät. Doch sie hatte keinen Hunger, obwohl sie seit heute Mittag fast nichts gegessen hatte, nur einen kleinen Salat in einer Autobahnraststätte kurz vor Wiesbaden. Appetitlosigkeit, dachte sie, auch eines dieser Symptome. Nie hätte sie gedacht, dass es einmal so weit kommen würde, dass sie einmal so sehr die Kontrolle über ihr Leben verlieren würde. Sie, die Macherin, die keine halben Sachen mochte, sondern immer hundert Prozent gab, wenn sie etwas anpackte. Sie, die Weltverbesserin, die unerschütterlich an ihrem ganz persönlichen kleinen Beitrag arbeitete. Sie, die Ökobäuerin, die keinen Plan B hatte, sondern nur eine einzige Vision: Die Erde zu einem besseren Platz zu machen. Sie, die Idealistin! Ja, sie wusste, dass sie dafür oft belächelt wurde, doch so war sie halt. Ganz einfach, ganz ehrlich, ganz authentisch. Ganz klar: Tanja ...

      *

      Der Wecker klingelte früh. Tanja war daran gewöhnt, doch sie konnte sich vorstellen, dass das nicht jedermanns Geschmack war. Der Aufenthalt hier war eben doch etwas anderes als Urlaub, die Tage waren durchgeplant, der medizinische Terminkalender war voll. Tanja schlüpfte in ihren Morgenmantel und verschwand im Bad. Das Zimmer nahm den Belle Epoque - Stil des Entrées auf. Vereinzelt eingefügte Dekorationselemente sorgten für Modernität; ein interessanter Kontrast, der Wohlfühlatmosphäre erzeugte. Versteckte LED-Leisten sorgten zudem für eine behagliche Stimmung. Entspannung pur, was das Ambiente betraf.

      Tanja stand unter der Dusche. Deswegen hörte sie nicht, dass ihr Telefon klingelte. Erst, als sie in Jogger Pants und gemustertem Tank Top ihre Nachrichten checkte, sah sie, dass Florian angerufen hatte. Sie fuhr sich mit dem Frotteehandtuch durch ihr blondes Haar mit den rasierten Seiten und tippte auf Antworten. Sie brauchte nicht lange zu warten, bis ihr Freund dran war.

      “Hi, ich bin’s”, begrüßte sie ihn nüchtern, “du hast angerufen.”

      “Ja, richtig”, sagte Florian beunruhigt, “wo steckst du denn?”

      “Wo ich stecke? Ist das dein Ernst?”

      Kurze Pause seitens Florian.

      “Äh, ja.”

      “Also hast du vergessen, dass ich die nächsten Wochen in der Reha bin?”

      “Keineswegs. Aber ich dachte, du fährst erst am Wochenende.”

      “So, so, du dachtest”, giftete sie vorwurfsvoll, “wahrscheinlich hast du mir mal wieder nicht zugehört.

      “Was soll das denn jetzt?”

      Florian gelang es nicht, cool zu bleiben, obwohl er ihre Launen in der letzten Zeit nur zu genau kannte.

      “Wahrscheinlich hast du nur vergessen, es mir zu sagen. Kein Wunder bei deinem Zustand.”

      “Soll das jetzt ein Vorwurf sein? Na, wie schön, dass ich einen so verständnisvollen Freund habe!”

      “Kein Grund, zynisch zu werden”, entgegnete Florian, “gib doch einfach zu, dass du noch sauer bist wegen des Provadons?”

      Er spielte auf ein Insektizid an, das er ohne ihr Wissen ausgebracht hatte, um sie etwas zu entlasten, denn der biologische Obst- und Gemüseanbau war ungleich arbeitsintensiver. Leider hatte sie das Mittel entdeckt und ihn zur Rede gestellt. Sie war völlig außer sich gewesen. Seine Beteuerungen, er habe es ja nur für


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