Ganz klar Tanja. Dana Wolf

Ganz klar Tanja - Dana Wolf


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diesen Vertrauensbruch hinweggekommen war. Immerhin wusste Florian ganz genau, wie wichtig ihr ihre Ideale waren.

      “Du hast Mist gebaut, ja”, sagte sie, “einen Riesen-Mist. Aber wenn ich jetzt sauer bin, dann allein deswegen, weil du mir einfach nicht zuhörst!”

      Florian wusste, dass jedes weitere Wort zu dem Thema ihren Streit nur verschärfen würde. Also ließ er es. Die Stille zwischen ihnen war bedrückend.

      “Darf ich dich wenigstens anrufen?”, wollte Florian wissen.

      “Du, ich glaube, das ist keine gute Idee. Ich will einfach mal eine Weile für mich sein. Einfach mal neue Kraft schöpfen. Außerdem weißt du ja, was der Arzt gesagt hat.”

      Erneutes Schweigen.

      “Flo? Bist du noch dran?”

      Keine Antwort.

      “Flo?”

      Dann eben nicht, dachte sie und tippte auf Beenden. Ein Gefühl der Erleichterung überkam sie. In den letzten Wochen hatten sie sich immer mehr entfremdet. Schon vor dieser Insektizid-Geschichte waren sie immer öfter aneinandergeraten. Nicht, dass sie sich auseinandergelebt hätten, aber dass sie als Paar auch noch gemeinsam ein Geschäft betrieben, machte die Sache nicht einfacher. Meistens gelang es ihnen, Berufliches und Privates zu trennen, schwer genug, wenn das Geschäft gleichzeitig das Leben war. Spätestens, als sich die ersten Erschöpfungssymptome bei Tanja bemerkbar gemacht hatten, hatte sie es jedoch - aus ihrer Sicht - immer mehr mit einem verständnislosen Florian zu tun. Mit einem Florian, der nicht wusste, wie er mit ihr umzugehen hatte. So hatte sie sich schließlich noch mehr in die Arbeit gestürzt - ein Teufelskreis. Eines Tages war dann der Zusammenbruch im Zucchini-Feld gekommen. Und letztendlich die Überweisung in die Berghoff-Klinik.

      Tanja packte ein paar persönliche Dinge in ihre Sporttasche, ihr Smartphone, die Chipkarte, eine Wasserflasche, ein Shirt zum Wechseln, ein paar Kleinigkeiten. Dazu schnappte sie sich ihre Isomatte. Direkt nach dem Frühstück stand Progressive Muskelentspannung auf dem Programm. Sie fühlte frischen Elan, trotz - oder vielleicht gerade wegen - der Misstöne am Telefon. Auch der Appetit war zurückgekehrt, und so steuerte sie im Frühstücksraum geradewegs auf das Buffet zu, schnappte sich ein Tablett und häufte allerlei gesunde Dinge darauf an: einen Magermilchjoghurt, ein Schälchen mit Haferflocken, eines mit Leinsamen, ein weiteres mit Sonnenblumenkernen. Dazu etwas Obst, ein Glas Orangensaft, ein regionales Dinkelgebäck, dessen Namen sie noch nie gehört hatte. Sie ließ ihren Blick durch den nur zur Hälfte gefüllten Saal gleiten. Der lichtdurchflutete und von Säulen eingefasste Frühstückssaal mit seinen hohen Wänden und der historistischen Deckenmalerei strahlte adeligen Glanz aus. Nur die Patienten wollten sich nicht so ganz ins gediegene Interieur einfügen: Gestresste Manager mittleren Alters in liebloser Reha-Fitnesscenter-Bekleidung saßen zwischen smarten Start-Uppern und mausgrauen Büro-Angestellten im Freizeitdress. Sie alle vereinte das gleiche Schicksal, sie waren leer und ausgebrannt.

      Tanja entschied sich für einen Tisch mit Blick nach draußen. Sie setzte sich und widerstand dem Impuls, ihr Smartphone hervorzuholen und nebenbei zu whatsappen. Stattdessen rührte sie sämtliche Zutaten für ihr Bircher Müsli zusammen und konzentrierte sich aufs Frühstück.

      Und beobachtete ihre Mitpatienten, die sie im Laufe ihres Aufenthalts sicherlich noch besser kennenlernen würde. Die aschblonde Vierzigerin mit dem Pferdeschwanz zum Beispiel. Die saß ebenfalls allein an ihrem Tisch. Sie hatte eine sportliche Figur, trug ein Langarm-Shirt zu einer Fleece-Sporthose mit Kordelschnürung. Tanja versuchte zu erraten, wie ihr Leben wohl aussah. Verheiratet, zwei Kinder? Würde passen. Beruf? Irgendwas mit Verantwortung und Öffentlichkeit? Irgendwas mit Außenwirkung? So, wie sie dasaß, wirkte sie jedenfalls so, als rechne sie damit, beobachtet zu werden. Als könne sie sich nicht fallen lassen. Möglicherweise ein Grund für ihren Aufenthalt in Konz?

      Tanja schob sich einen Löffel Müsli in den Mund und sah sich weiter um. Am anderen Ende des Panoramafensters frühstückte eine Gruppe Männer und Frauen ungefähr gleichen Alters. Sie wirkten sehr vertraut, redeten und gestikulierten. Fast wie ein Kollegenkreis in der Pause eines Meetings. Eine Clique ehemaliger Kommilitonen, die sich in ihrem ersten Job in irgendeinem E-Commerce-Start-Up überfordert hatte? Möglich. Tanja brach ihre Grübeleien ab und erlag der Versuchung, auf den Benachrichtigungston ihres Messengers zu reagieren.

      Nachricht von Flo:

      Du warst plötzlich weg. Bist du sauer? Grübel-Emoji.

      Sie: Verbindung war weg. Bin nicht sauer. Brauche Zeit für mich. Melde mich. Kein Emoji.

      Er: Das muss ich dann wohl akzeptieren. Traurig-Emoji.

      Sie: keine Reaktion. Stattdessen: Biss in das regionale Dinkelgebäck.

      Er: Tanja?

      Sie: Ja?

      Er: Vermisst du mich wenigstens ein bisschen? Grübel-Emoji.(Florian war nicht besonders einfallsreich bei der Emoji-Wahl.)

      Sie: keine Reaktion. Der nächste Löffel Müsli. Sie steckte das Telefon zurück in ihre Tasche, nicht ohne vorher die Uhrzeit gecheckt zu haben. Acht Uhr fünfzehn. In einer Viertelstunde begann ihre erste Behandlung. Sie leerte die Müsli-Schale, stürzte den Orangensaft hinunter, brachte das Tablett zur Geschirrrückgabe und begab sich in Raum 09 im Ostflügel, unweit ihres eigenen Zimmers. Punkt acht Uhr fünfunddreißig betrat sie den linoleumbelegten Übungsraum, in dem sich bereits ein gutes Dutzend Mitpatienten befand. Darunter ein schon bekanntes Gesicht, dessen Name sich ihr wider Willen eingeprägt hatte: Tom van Buuren …

      *

      Zwölf Augenpaare begutachteten den Neuankömmling. Zwölf Augenpaare starrten Tanja vorwurfsvoll an. Zwölf Augenpaare verrieten leichten Missmut.

      “Entschuldigung”, sagte sie leise.

      “Kein Problem”, sagte die Therapeutin und wies ihr einen Platz zu, auf dem sie ihre Isomatte entrollen konnte. Ausgerechnet neben ihm!

      “Das war ja klar!”, kommentierte Tom ihr Zuspätkommen.

      “Bitte?”

      “Na, mit dem Liegenbleiben haben Sie ja Erfahrung”, höhnte er.

      Sie verdrehte die Augen. Bevor sie sich fasste, um seine Bemerkung zu kontern, erfüllte die Stimme der Therapeutin den Raum.

      “So, dann können wir beginnen”, eröffnete Frau Dr. Behringer die Sitzung. Anschließend erklärte sie die erste Übung. “Zum Warmwerden und Sensibilisieren”, sagte sie.

      Die Übung hieß Wetterkarte und war eine Partnerübung. Eine Partnerübung mit dem Nachbarn. Und das bedeutete für Tanja: Eine Partnerübung mit dem Ekel Tom! Sie schaffte es gerade so, ihren Unmut darüber zu verbergen, befolgte aber Frau Dr. Behringers Anweisungen. Sie legte sich bäuchlings auf ihre Isomatte. Tom van Buuren kniete sich neben sie. Er verschränkte die Hände, um seine Finger zu lockern, dann fuhr er mit dem Zeigefinger seiner Rechten über Tanjas Rücken. Sie zuckte etwas zusammen. Was er da machte, war nicht unangenehm, ganz und gar nicht, doch alles in ihr wollte, dass es unangenehm war. Sie machte einen genervten Zischlaut, als van Buuren mit vier Fingern gleichzeitig über ihren Rücken strich. Er wiederholte diese schnelle Bewegung mehrfach.

      “Und?”, fragte er schließlich. “Wie wird das Wetter morgen?”

      “Hmmm …”, machte sie und bemerkte gleichzeitig, wie albern sie das alles fand. Sie sprang auf und rollte die Isomatte ein.

      “Hab ich was falsch gemacht?”, fragte Tom van Buuren amüsiert. Die anderen Teilnehmer beäugten die beiden bereits. Tanja ging nicht darauf ein, sein schmieriges Lächeln nervte sie sowieso.

      “Entschuldigung”, sagte sie in Richtung Dr. Behringer, “aber ich glaube, das ist hier nichts für mich.”

      Die Therapeutin machte große Augen. Doch noch bevor sie nachfragen konnte, war Tanja verschwunden. Die Tür fiel knallend hinter ihr zu -, Abgang einer ausgebrannten Biobäuerin im Stile einer zickigen Popdiva.

      Tanja machte ein paar ziellose Schritte. Im Wartebereich vor dem Pool ließ sie sich in einen


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