Troubled Waters. H.J. Welch
meine Wohnung ansehen?«
Scout schaute von ihr zu Emery. Emery erwiderte seinen Blick und nickte dann. Scout nahm das als Zustimmung und fuhr fort.
»Hervorragend. Ich fange dann mit Ihren Erfordernissen an, Ms. Coal, bevor wir Mr. … äh, Emerys diskutieren. Aber vorher will ich im Motel anrufen und fragen, ob das Zimmer neben meinem noch frei ist. Wenn nicht, kann ich vielleicht umbuchen, damit wir zwei benachbarte Zimmer haben.«
»Was? Nein!«, platzte Emery heraus. »Hast du Motel gesagt? Nein. Ich habe keine Lust, mir Wanzen einzufangen. Ich buche uns ein Hotel. Ein gutes Hotel. Am Stadtrand gibt es einige komfortable Hotels.«
»Wenn es nicht zu dir passt, in einem Motel zu übernachten, sollten wir erst recht dort bleiben«, widersprach Scout, ohne auf die Abneigung in Emerys Stimme Rücksicht zu nehmen. Scout hatte in den letzten Jahren viel Zeit in Motels verbracht und empfand Emerys spitze Bemerkung als herabwürdigend. »Ich werde die Zimmer auf meinen Namen buchen und die Rechnung übernehmen. Bedauerlicherweise genehmigt unsere Firmenpolitik keine Luxushotels.«
Das entsprach nicht ganz der Wahrheit. Wenn Emery darauf bestanden hätte, hätte er die Kosten übernehmen können und Oakley hätte sie ihm erstattet – egal, in welchem Hotel. Aber Scout fühlte sich beleidigt durch die Unterstellung, er wäre in einer von Wanzen befallenen Absteige untergekommen. Er wollte zeigen, dass viele Motels – und besonders das in Pine Cove – nicht so schlecht waren wie ihr Ruf.
Wenn Emery auf die Unterkünfte herabsah, in denen sich Scout aufhielt, würde er auch auf Scout selbst herabsehen. Er konnte sich damit abfinden, dass Emery ihn nicht wiedererkannte, aber seine Würde verlangte, dass Emery wenigstens über Scouts Lebensweise nachdachte, bevor er sie ungerechtfertigt kritisierte.
»Das Motel ist sehr nett«, sagte Ava. »Sei kein Rotzbengel.«
Emery schnaufte. »Ich bin kein Rotzbengel, ich bin eine Prinzessin«, schoss er zurück und bewies damit letztendlich Avas Vorwurf. »Ich leide schon genug. Ich sollte nicht auch noch das ertragen müssen.«
»Du bist ein Rotzbengel und das weißt du auch«, sagte Ava und wackelte mit den Augenbrauen. »Mann, wir sind hier nicht im Krieg. Du hast gesagt, du willst nicht so viel Aufhebens, also halte dich auch daran.«
Emery zog eine Grimasse. Er fühlte sich von Ava offensichtlich ausgetrickst. Dann riss er die Augen auf. »Und was ist mit Sonic? Sie erlauben bestimmt keine Haustiere auf den Zimmern.«
Ava zuckte mit den Schultern. »Der kann bei mir bleiben. Wenn du verreist bist, muss ich mich sowieso um ihn kümmern.«
Das hatte Emery offensichtlich nicht hören wollen. Er biss die Zähne zusammen und spielte nervös mit den Fingernägeln. »Na gut«, schnappte er Scout an. »Aber morgen muss ich arbeiten. Ich habe heute schon genug Zeit vergeudet. Ich bleibe in deinem kleinen Motel. Du kannst mich dann morgen in meine Wohnung fahren, damit ich meine Ausrüstung holen und für die Reise packen kann. Wir können Sonic hier einen kleinen Auslauf bauen, damit ihm nichts passiert, bis morgen sein neuer Käfig geliefert wird. Und was immer du hier auch tun musst, um für Avas Sicherheit zu sorgen, kannst du auf meine Rechnung setzen. Abgemacht?«
Scout überlegte kurz, ob er sich noch an seine ethischen Standards hielt. War er verpflichtet, Emery, der sich nicht mehr an ihn erinnerte, über ihr gestriges Zusammentreffen zu informieren? Und war er verpflichtet, Christopher, seinen Boss, darüber zu informieren? Vielleicht sollte er diesen Auftrag doch an einen seiner Kollegen abgeben.
Ihm ging diese Version von Emery höllisch auf die Nerven. Emery war offensichtlich fest entschlossen, Scout die Erfüllung seines Auftrags so schwer wie möglich zu machen.
Aber wenn er jetzt nachgab, ließ er Emery wieder gewinnen. Scout mochte für Emery nicht wichtig genug sein, um sich die Mühe zu machen und ihm ins Gesicht zu sehen, aber Scout wollte ihm verdammt noch mal zeigen, dass er gut war in seinem Job. Es war nicht dasselbe, wie seinen Respekt als Geliebter zu gewinnen, doch damit musste Scout sich abfinden.
Scout war einer von Christophers besten Leibwächtern. Er würde dafür sorgen, dass Emery Klein kein weiterer Schaden zugefügt werden konnte. Weder Emery noch einem Menschen, der ihm etwas bedeutete.
Auch wenn Scout selbst nicht dazugehörte.
Er nickte Emery zu und reichte ihm die Hand. »Abgemacht«, stimmte er zu.
Er konnte nur hoffen, dass er es nicht bereuen würde.
Kapitel 6
Emery
»Verdammte Scheiße«, krächzte Duffy, als Emery ihn am nächsten Tag in seine Wohnung mitnahm. »Der hat wirklich alles demoliert.«
Emery biss die Zähne zusammen. Er wollte sich nicht ärgern über diesen Idioten. Er war brav gewesen, hatte mitgespielt und die Nacht in dem Motel verbracht. Es war bei Weitem nicht die Katastrophe gewesen, die er befürchtet hatte, aber das hätte er niemals laut zugegeben. Besonders nicht nach diesem Kommentar.
»Das meiste Durcheinander stammt von mir. Er hat nur einige Regale abgeräumt, aber nichts kaputt geschlagen.«
Er betrachtete traurig das Pulver, das die Spurensicherung an den Türrahmen und Griffen hinterlassen hatte. Am Safe sah es wahrscheinlich nicht viel besser aus. Es würde noch eine Weile dauern, bis sie erfuhren, ob fremde Fingerabdrücke gefunden wurden. Emery war sich allerdings ziemlich sicher, dass der Eindringling Handschuhe getragen haben musste, als er ihn durchs Treppenhaus jagte.
»Oh«, sagte Duffy.
Er meinte zweifelsohne die Krümel, die Wäsche – sauber und schmutzig –, die Stapel alter Fotorahmen, Speisekarten, Stromrechnungen und Theaterprogramme. Um ehrlich zu sein, trugen die paar ausgeräumten Schubladen kaum zu dem Chaos bei, das im Wohnzimmer herrschte. Überall lag irgendwelcher Mist auf dem Boden verstreut – aufgerissene Verpackungen von Batterien, alte Geburtstagskarten und Magazine mit Sushi-Rezepten, für die ihm seine Mom zu Weihnachten ein Abonnement geschenkt hatte, obwohl er nie selbst kochte.
»Ja, ich wohne in einem Schweinestall«, sagte Emery müde. Er brachte nicht die Energie auf, um zu erklären, dass Aufräumen ihn psychisch belastete. Die meisten Menschen hielten ihn einfach nur für faul. Manchmal rechtfertigte er sich mit seinem Job und sagte, vierundzwanzig Stunden Kreativität am Tag wären zu anstrengend, um auch noch über Staubsaugen nachzudenken. Heute war das nicht der Fall. »Normalerweise kommt donnerstags eine Putzfrau. Sie ist wunderbar, aber ich habe ihr für diese Woche abgesagt. Ich will ihr nicht zumuten, sich mit einem gottverdammten Tatort abzuplagen. Ich will das gröbste Chaos erst selbst beseitigen.«
Emery seufzte. Er wusste nicht, wann er dazu die Zeit finden sollte, weil er morgen schon seine Reise antreten musste. Aber er wollte Lola nicht im Stich lassen. Sie machte seine Wohnung zu einem Zuhause und ohne sie würde er durchdrehen.
Duffy sah sich im Wohnzimmer und in der Küche um. »Dann habe ich ja Beschäftigung, bis du gepackt hast.«
Emery blinzelte. »Hä? Nein. Du musst hier nicht aufräumen. Das wäre mir peinlich.«
»Warum?« In Duffys Worten lag keine Feindseligkeit, im Gegenteil. Emery hätte schwören können, sogar einen freundlichen Unterton zu hören. »Bei dir ist eingebrochen worden. Die meisten Menschen verstehen nicht, wie schrecklich sich das anfühlt. Es ist eine schwere Verletzung der Privatsphäre. Außerdem würde mir meine Ma nie verzeihen, wenn ich hier einfach nur untätig rumsitze, obwohl so viel zu tun ist.« Er stieß sich mit dem Daumen an die Brust. »Katholisch«, erklärte er. »Ich rolle gerne die Ärmel hoch und packe mit an. Mit den Händen bin ich gut.«
Verdammt, das nehme ich dir ungeprüft ab. In Emerys Kopf überschlugen sich die Fantasien. Was hätte er nicht darum gegeben, dieses Chaos zu vergessen und sich direkt ins Schlafzimmer zu begeben, damit Duffys Hände etwas zu tun hatten. Aber solche Gedanken waren gefährlich, weil der Mann nicht nur heterosexuell war, sondern Emery außerdem auch noch sein Auftraggeber.
Er hätte gerne geglaubt, dass Duffy ihm seine Hilfe beim Aufräumen anbot, weil er Emerys Probleme