Troubled Waters. H.J. Welch
dem Hündchen über das goldene Fell und sah Emery ernst an.
»Was ist los?«, fragte er leise, als sich die Tür hinter Dair und Robin geschlossen hatte.
Sie neigte den Kopf, ohne ihn aus den Augen zu lassen. »Kannst du dich erinnern, dass ich dir vorgeschlagen hatte, einen privaten Sicherheitsdienst zu kontaktieren, nachdem du die Morddrohungen nicht dem FBI melden wolltest, wie jeder vernünftige Mensch es getan hätte?«
Emery seufzte. »Ava«, sagte er. »Daran bin ich immer noch nicht interessiert. Ich warte ab, was die Polizei herausfindet, und rede mit der Hausverwaltung über die Sicherheit der Türen. Sie sollten Videoaufnahmen aus dem Hausflur und der Umgebung des Hauses haben. Ich bin sicher, wenn wir herausfinden, wie der Mann eindringen konnte, können wir verhindern, dass es in Zukunft wieder passiert.«
»Das ist ja alles schön und gut«, erwiderte Ava ungerührt. »Aber ich habe bereits eine Sicherheitsfirma engagiert, um die Vorfälle unter die Lupe zu nehmen. In fünfzehn Minuten hast du einen Termin mit deinem neuen Leibwächter.«
»Wie bitte?«, schrie Emery so laut, dass der arme Smudge erschrocken vom Sofa sprang und sich unterm Couchtisch verkroch. Emery wollte ihn vom Boden aufheben und trösten, konnte aber vor lauter Wut keinen klaren Gedanken fassen. »Ava, dazu hattest du kein Recht! Ich will das nicht! Ich spiele da nicht mit!«
Ava ließ seinen Wutausbruch über sich ergehen, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken. Sie sah ihn nur an. »Buhu. Ist ja gut, Prinzessin. Und jetzt lass das Theater, damit wir auf dich aufpassen können und dir nichts passiert. Was ist mit der Nachricht, die du heute früh bekommen hast? Oder war das gelogen?«
Emery biss die Zähnen zusammen und starrte sie an. Er bedauerte, Ava in einem schwachen Moment seine Verletzlichkeit gezeigt zu haben. Allerdings hatte er tatsächlich wieder eine Nachricht von demselben anonymen Konto bekommen, das ihm die Morddrohungen geschickt hatte. Er blockierte das Konto nach jeder Nachricht, doch es tauchte immer wieder auf – nur mit einer neuen Nummer am Ende. Erst ekleinhater1, dann ekleinhater2 und so weiter.
Wie geht es deinem Kopf?, hatte ekleinhater23 heute früh gefragt. Und das bewies eindeutig, dass der Absender mit dem Eindringling identisch sein musste, der gestern mit dem Gefäß nach Emery geworfen hatte.
Er knurrte und ließ sich wieder aufs Sofa fallen. »Na guuut«, zog er das Wort in die Länge. »Ich treffe mich mit diesem Schwachkopf. Aber ich behalte mir das Recht vor, ihn jederzeit zu feuern, wenn er sich als Arschloch herausstellt. Was er tun wird.«
Avas rechter Mundwinkel zuckte. »Braver Junge. Und jetzt bekommst du zur Belohnung deinen Wodka.«
Emery seufzte, als sie ihn allein ließ und in die Küche ging. Dann lockte er erfolgreich Smudge wieder aufs Sofa zurück. Er kam sich ein bisschen wie eine Disney-Prinzessin vor, die von ihren tierischen Gefährten umgeben war.
Er hoffte nur, dass er auch sein Happy End erleben würde.
Mist. Er könnte Ava erwürgen. Er wusste, sie wollte ihm nur helfen. Aber allein bei dem Gedanken, mit einem heterosexuellen Macho über sein Leben und seine Probleme zu sprechen, schüttelte er sich vor Scham.
Seit seiner Geburt hatte es immer Menschen gegeben, die ihm schaden wollten. Er war ein launisches Kind gewesen, verträumt, fantasievoll und effeminiert. Es hatte nie einen Zweifel darüber gegeben, dass er nicht nur schwul war, sondern einer von diesen Schwulen. Das Stereotyp des Schwulen, dessen sich alle Schwulen schämten, die als heterosexuell durchgehen konnten. Emery wusste genau, was die Menschen über ihn dachten, sogar seine Freunde, die ihn von Herzen liebten.
Es war ihm so verdammt egal. Er war fabelhaft und er war effeminiert, und daran war absolut nichts verkehrt. Diese Versuche, ihn in eine bestimmte Ecke zu drängen, führten sogar eher dazu, dass er seine Natur noch stärker betonte. Wenn man ihn für zu laut hielt, wurde er noch lauter. Wenn man ihn für peinlich hielt, packte er die Konfettikanone aus und stolzierte durchs Zimmer wie Barbra Streisand höchstpersönlich.
Er ließ sich nicht in die Parade fahren. Von niemandem. Nicht von irgendwelchen homophoben Rednecks, die kaum ihren Namen buchstabieren konnten. Nicht von irgendeinem verklemmten Leibwächter. Selbst von sich selbst nicht.
Ava war seine beste Freundin, weil sie ihn mit Himbeerwodka und Limonade versorgte, ihm an den Arm boxte und dann wieder in der Küche verschwand, um ihn allein zu lassen. Sie legte sogar Britney Spears auf und drehte die Musik extra laut. Emery seufzte und nippte an seinem Drink. Der Alkohol stieg ihm zu Kopf und eine Träne oder zwei quollen aus seinen geschlossenen Augen. Nur, weil er über den Überfall nicht reden wollte, hatte er ihn noch lange nicht verdaut. Er durfte sich einen Moment der Schwäche erlauben.
Es war dumm und verrückt, aber für einen kurzen Augenblick musste Emery an den gut aussehenden Gentleman von gestern Abend denken. Wenn dieser Mann so kämpfte, wie er fickte, würde er Emery wirklich vor jedem Schaden bewahren können. Und… verdammt. Emery würde es ihm wahrscheinlich sogar erlauben.
Was eine verdammt dumme Idee war. Emery konnte seine eigenen Schlachten schlagen. Er brauchte niemanden, und schon gar keinen großen starken Mann. Er war selbst groß und stark, wenn auch auf andere Weise. Und – was noch wichtiger war – er hatte in seiner Jugend Destiny's Child gehört. Er war ein gottverdammt unabhängiges, selbstständiges Mädel, das für sich selbst einstehen konnte – komme, was da wolle.
Na ja, allzu wörtlich sollte man das vielleicht nicht verstehen.
Als es an der Tür klopfte, ließ Emery den Kopf nach hinten fallen und schmollte, obwohl niemand im Zimmer war und ihn sehen konnte. »Avaaa!«, rief er jammernd. »Tüüür!«
Ein Protestgeräusch mischte sich in die Musik Madonnas, die jetzt aus der Küche zu hören war. Emery grinste. Er wusste, das war Avas Art, ihm zu sagen, dass sie ihn liebte. Außerdem mussten es entweder Dair und Robin sein, die von ihrem Einkauf zurückkamen, oder…
Als der Leibwächter ins Wohnzimmer kam, sah er auf den ersten Blick genauso aus, wie Emery ihn sich vorgestellt hatte. Er trug einen Anzug und war gut eins achtzig groß – nicht allzu groß, aber etwas größer als Emery selbst. Er war muskulös gebaut und konnte wahrscheinlich einiges an Gewicht stemmen. Emery war sich nicht ganz sicher, glaubte aber, unter der Jacke ein Schulterholster zu erkennen. Es machte ihn nervös, war aber nicht anders zu erwarten gewesen.
Nur… Mein Gott, war das ein Prachtkerl. Er stand da – mit breiten Beinen und die Hände vor sich ineinandergelegt – und strahlte Macht aus. Und dieser Geruch… oweia. Das würzige Aftershave erinnerte Emery ans Meer. Es schrie Mann auf eine Weise, die ihn normalerweise abstoßen würde, doch in diesem Fall lief ihm das Wasser im Mund zusammen. Die Haare des Manns waren dunkelbraun und gerade lang genug, um sich daran festzuklammern. Und so einschüchternd er auch wirkte, der Blick seiner grünen Augen war freundlich. Doch das war vielleicht nur Einbildung und lag daran, dass sich Emery im Moment so zerbrechlich fühlte.
Und war es auch nur Einbildung, dass ihm der Mann bekannt vorkam? Vermutlich. Er hatte wahrscheinlich nur eines dieser Gesichter, die in Emerys Erinnerung immer zusammenflossen. Andererseits sah der Mann Emery auch irgendwie merkwürdig an. Vielleicht hatte er Emery schon im Internet gesehen und fragte sich jetzt, wer diese zierliche, erschöpft aussehende Gestalt eigentlich war. Emery hatte sich nämlich in der Öffentlichkeit schon lange nicht mehr ohne Glitzer und Lipgloss gezeigt.
Ava, die dem Mann ins Wohnzimmer gefolgt war, warf Emery einen warnenden Blick zu. Emery hatte sich allerdings schon vorgenommen, vorübergehend höflich zu sein. Schließlich war er nicht der Einzige, der den Mann beurteilen musste.
»Guten Tag, Mr. Klein«, sagte der Anzugträger. Dann verstummte er wieder und schaute auf das kleine Fellknäuel, das auf ihn zugesprungen kam.
»Oh nein!«, rief Ava. »Sitz, Smudge! Es tut mir leid.«
Der Anzugträger lächelte nur und bückte sich, um den übereifrigen Smudge zu streicheln. »So ist brav«, murmelte er. Seine tiefe Stimme fuhr Emery durch den ganzen Leib und bis in den Schwanz. Gottverdammter Mist aber auch. Das war nicht sehr anziehend. Nein, das war es nicht. Na gut, vielleicht doch. Aber der Mann war eindeutig