Troubled Waters. H.J. Welch
oder Cheerleader werden wollten. Für die vielen schwulen Jungs, die nicht wussten, wo sie hingehörten. Für die vielen, die genderfluid waren und sich wieder und wieder anhören mussten, dass sie nicht normal wären und sich gefälligst für eine der gesellschaftlich akzeptierten Schubladen entscheiden sollten. Emery wusste verdammt gut, dass er etwas Größeres repräsentierte als nur sich selbst.
Es war nicht so, dass er gerne Angst hatte. Und er wollte definitiv nicht sterben. Aber wenn er starb, würde er ein Vermächtnis hinterlassen, das ihn überlebte. Dessen war er sich sicher.
Jemand wie Scout Duffy – ein blauäugiger, typischer amerikanischer Mann – mochte über die Idee spotten, dass die Welt auch Vorbilder wie Emery brauchte. Das war kein Problem. Emery musste ihm nichts beweisen. Er musste sich nur weiter den Arsch aufreißen und seinen Namen, sein Gesicht und seine Botschaft verbreiten, so weit und so lang er nur konnte.
Und im Moment bestand seine Arbeit darin, dieses gottverdammte Pulver loszuwerden, das die Spurensicherung in seiner Wohnung hinterlassen hatte. Es sah hier aus, als hätte jemand einen Sack Mehl ausgeschüttet.
»Weißt du was? Ich schaffe das schon«, sagte er und wischte weiter an seinem Türrahmen, ohne Duffy anzusehen. »Wenn du im Auto warten oder noch irgendwas anderes unternehmen willst, ist das in Ordnung.«
Wie aufs Stichwort schloss Duffy die Spülmaschine und drückte auf den Startknopf. »Schon gut«, sagte er. »Viele Hände machen die Arbeit leichter. Und das habe ich von meiner Ma gelernt. Ich kann die restlichen Türrahmen übernehmen, falls dir das recht ist. Dann kannst du schon mit dem Packen anfangen.«
Gottverdammt aber auch. Warum musste der Kerl alles so ruhig und unkompliziert angehen? Emery brauchte etwas Abstand und wollte allein sein, um diesen Mist zu verdauen. Ohne dass irgendwelche wohlmeinenden Freunde ihn umsorgten oder gar ein bezahlter Leibwächter ihn auf Schritt und Tritt beobachtete.
»Wenn du mich schon rumkommandierst, sollten wir vorher wenigstens ein Safeword vereinbaren.« Emery grinste und hoffte, Duffy mit dieser Anspielung auf schwule Kinks aus der Ruhe zu bringen. »Wusstest du schon, dass ich ein Sub bin? Ich stehe auf große, harte Männer, die das Kommando übernehmen. Ich kann mir allerdings nicht vorstellen, dass du darin viel Erfahrung hast, oder? Du bist ein so guter Junge.«
Damit hatte er Erfolg. Duffy sah in definitiv stürmisch an, als er sich wütend die Hände abtrocknete. »Ich wische jetzt die Wohnungstür ab«, sagte er barsch. »Von außen. Lass mich wieder rein, wenn ich klopfe, ja?«
Gewonnen! Emery grinste, als Duffy an ihm vorbeimarschierte und sich einige Wischtücher aus der Packung nahm. »Selbstverständlich«, sagte er und konnte seine Schadenfreude kaum verhehlen. »Und wenn ich geputzt und gepackt habe, muss ich in der Stadt noch einige Dinge erledigen. Es macht dir doch nichts aus, mich zu chauffieren, oder?«
»Wie du meinst«, knurrte Duffy und schlug hinter sich die Tür zu.
Und wieder grinste Emery und redete sich ein, dass er gewonnen hätte.
Er merkte erst sehr viel später, dass er gar nicht recht wusste, was er eigentlich gewonnen hatte oder warum ihm das so wichtig war.
Kapitel 7
Scout
Als Scout gerade dachte, er und Emery hätten endlich Fortschritte gemacht, zog Emery diese beschissene Show ab. Scout umklammerte das Lenkrad und fuhr sie durch die gewundenen Straßen von Pine Cove zur Hauptstraße, ohne seinen Klienten auch nur eines Blickes zu würdigen.
Damit hatte Emery dem Ganzen die Krone aufgesetzt.
Scout kümmerte sich normalerweise nicht darum, was die Leute von ihm dachten. Er war der Meinung, er hätte sich in seinem Leben bisher recht gut geschlagen. Trotzdem fiel es ihm schwer, sich nicht wertlos zu fühlen, nachdem er so schnell wieder aus Emerys Gedächtnis verschwunden war. Besonders deshalb, weil er den – offensichtlich falschen – Eindruck gewonnen hatte, ihr gemeinsames Erlebnis wäre verdammt bedeutend und erinnernswert gewesen.
Der Witz mit dem Safeword war ihm wie ein Schlag in die Magengrube vorgekommen. Es hatte so wehgetan. Scout hatte das noch nie mit einem Mann ausprobiert. Für Emery schien es dagegen alltäglich zu sein.
Er musste die ganze Sache vergessen. Er führte sich auf wie ein Teenager, der einer unerwiderten Liebe nachtrauerte. Was immer Emery zu ihm hingezogen hatte, er hatte in dieser Bar offensichtlich nur ein spontanes Bedürfnis befriedigen wollen. Scout durfte sich nicht länger damit befassen und musste sich auf seinen verdammten Job konzentrieren.
Das war jedoch leichter gesagt als getan. Sein Herz verriet ihn jedes Mal, wenn Emery in der Nähe war. Es schlug schneller oder setzte einen Schlag aus, wenn er Emery nur sah oder seine Stimme hörte. Er konnte sich nicht erinnern, wann ihn ein Mann das letzte Mal so in seinen Bann geschlagen hatte. Es machte ihn gleichzeitig wütend und brach ihm das Herz.
Scout war es gewohnt, seine Klienten an die ungewöhnlichsten Orte zu begleiten. Einkaufen zu gehen, war eine harmlose Routine, wenn man schon erlebt hatte, wie in Stripclubs Millionendeals abgeschlossen wurden, wenn man mit Klienten in den Bergen Ski gefahren war oder sie auf Promipartys geschmuggelt hatte.
Weder er noch Emery waren allzu erpicht darauf, sich nach Emerys Witz über das Safeword in die Haare zu geraten. Die Atmosphäre zwischen ihnen war angespannt und Scout beschränkte sich die meiste Zeit darauf, vor den Geschäften auf Emery zu warten und sich nicht anmerken zu lassen, dass er ihn bewachte. Er hatte die Technik der unauffälligen Beobachtung perfektioniert und trug Jeans und seinen Hoodie, um keine unerwünschte Aufmerksamkeit auf sich oder seinen Klienten zu lenken.
Scout hatte als junger Mann davon gelebt, im Licht der Öffentlichkeit zu stehen. Es war nicht nur der Kampf gewesen, der seine Karriere als Boxer so spannend gemacht hatte. Es war auch das Toben der Menge und das Wissen, dass bei jedem Auftritt im Ring Hunderte, manchmal Tausende Augenpaare auf ihn gerichtet waren und jede seiner Bewegungen verfolgten.
Nachdem er in seiner Kindheit dazu gezwungen worden war, sich unsichtbar zu machen, war das ein unvergleichliches Erlebnis.
Dann war er dreißig geworden und plötzlich – als hätte jemand einen Schalter umgelegt – verloren die Auftritte ihren Reiz. Was spielte es schon für eine Rolle, wenn diese Menschen doch nur Fremde waren? Sie mochten Scout kennen, aber er kannte sie nicht. Und über Nacht wurde der Boxring für Scout zum einsamsten Ort der Welt.
Jetzt lebte er davon, unsichtbar zu sein. Meistens gefiel ihm das sogar. Aber heute machte es ihn nervös.
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