Troubled Waters. H.J. Welch
auszuüben. Trotzdem hatte er großen Respekt für Menschen, die mit ihrer Identität nicht hinterm Berg hielten und stolz darauf waren.
»Welche Pläne haben Sie in Bezug auf Ihre Wohnverhältnisse?«, fragte er Emery und setzte sich auf einen Sessel. Emery saß immer noch auf dem Sofa, knuddelte den kleinen Hund und hatte – merkwürdigerweise – einen Igel auf dem Schoß sitzen. Scout dachte kurz darüber nach und stellte fest, dass es vielleicht doch nicht so merkwürdig war, wie es ihm auf den ersten Blick vorgekommen war. Ein stacheliges kleines Biest, das man nur mit Handschuhen anfassen konnte, passte schließlich genau zu dem Emery, den er bisher kennengelernt hatte.
Ava kam ins Zimmer zurück und drückte ihm ein Glas Limonade in die Hand, bevor Emery die Frage beantworten konnte. »Lassen Sie sich von ihm nichts gefallen.«
Scout sah zwischen den beiden hin und her. Emery rollte mit den Augen, ging aber nicht auf Avas Schelte ein.
Scout nickte ihnen zu. »Mr. Klein weiß, dass ich zu seinem Schutz hier bin. Er hat sich bisher durchaus kooperativ gezeigt.«
»Emery«, knurrte Emery und warf ihm einen mürrischen Blick zu.
Emery hatte schon einmal darum gebeten, mit seinem Vornamen angesprochen zu werden, aber es fiel Scout verdammt schwer, darauf einzugehen. Es war höchst unprofessionell, zumal er so viel Abstand wie möglich zwischen sich und den Emery von gestern Abend bringen wollte. Trotzdem, er wollte auch Emerys Wünsche respektieren und Emery konnte sich eindeutig nicht an den zweiten Grund für Scouts Distanziertheit erinnern.
»Entschuldigen Sie, Sir. Wir haben unsere Vorschriften.«
»Oh mein Gott! Sir ist genauso schlimm«, rief Emery und schlug mit der Hand aufs Sofa. »Emery reicht, ja? Fast wie Emily, nur mit einem R. Wir können uns duzen.« Er schüttelte den Kopf. »Lass mich raten. Du warst beim Militär?«
»Ich war Profiboxer«, stellte Scout richtig.
»Lass den Mann seine Arbeit tun«, mischte sich Ava ein und verschränkte die Arme vor der Brust. Es schien ihre Standardhaltung zu sein. Scout hätte sie einschüchternd genannt, doch unter der grimmigen Fassade verbarg sich offensichtlich tiefe Sorge um ihren Freund. Scout mochte sie sehr. »Wir dachten, Emery könnte vorübergehend bei mir bleiben.«
»Und ich muss am Freitag eine Geschäftsreise antreten.« Emery sah ihn nicht an, als er das sagte. Er war ganz darauf konzentriert, seinem Igel mit dem Zeigefinger über die Schnauze zu streicheln.
Scout sah sofort, welche Probleme sich durch diese Pläne ergaben. Er hatte zwei grundsätzliche Einwände, die er normalerweise direkt angesprochen hätte. Aber er trug immer noch diese kleine Hoffnung in sich, dass Emery ihn vielleicht doch irgendwann mögen könnte.
Nun, diese Hoffnung sollte er sich besser abschminken. Er war nicht hier, um neue Freunde zu finden.
»Wenn dich jemand beobachtet oder abgehört hat, weiß er bestimmt auch, wo deine besten Freunde und Familienmitglieder wohnen.«
Emery schnaubte. »Ich gehe nicht zu meiner Familie«, sagte er. Dann fiel ihm auf, was Scout noch gesagt hatte. »Halt. Willst du damit sagen, dass Ava von diesem Arschloch Gefahr droht?«
Scout leckte sich über die Lippen und sah zwischen den beiden hin und her. »Potenziell schon«, gab er zu. »Ich will niemanden grundlos alarmieren, aber wir müssen wachsam sein.«
»Okay, dann ziehe ich in ein Hotel«, erwiderte Emery. »Aber er könnte Ava jetzt schon auf dem Radar haben, nicht wahr? Kannst du ihr irgendwie helfen?«
Scout war beeindruckt, wie sehr sich Emery um seine Freunde sorgte und sofort nach Lösungen für ihre Probleme suchte. Er hob die Hände und versuchte, die Lage wieder etwas zu beruhigen. »Selbstverständlich. Ich kann das Haus genau ansehen und mit dem Pförtner reden. Höchstwahrscheinlich ist der Angreifer nicht an ihr interessiert. Sein Ziel bist du und wenn du gehst, sollte Ava wieder in Sicherheit sein. Besonders, wenn wir noch einige Vorsichtsmaßnahmen ergreifen.«
Emery zog eine Augenbraue hoch. »Ja, gut. Ich buche dann ein Hotelzimmer für heute Nacht. Alles kein Problem.«
Das führte sie direkt zu Scouts zweitem Einwand. Er wollte sich seine Vorbehalte nicht ansehen lassen und gab sein Bestes, auch seinen Tonfall neutral zu halten. Der Punkt war nämlich, dass er Emery nicht aus den Augen lassen wollte. Und zwar aus mehr Gründen, als er sich selbst einzugestehen bereit war.
»Ich glaube nicht, dass du im Moment allein sein solltest. Du solltest rund um die Uhr bewacht werden, bis wir – also meine Firma, die Polizei oder das FBI, falls wir das einschalten wollen…«
»Kein FBI«, unterbrach ihn Emery resolut.
Scout neigte den Kopf. »In diesem Fall also, bis die Firma oder die Polizei den Angreifer identifiziert hat. Ich bin fest davon überzeugt, dass du diesen Schutz brauchst.«
Emery sah ihn entsetzt an. »Das meinst du doch nicht ernst, oder?«
Scout mochte etwas überdramatisch sein, doch das ließ sich nicht ändern. Außerdem wollte ein Teil von ihm Emery insgeheim dafür bestrafen, ihn so verdammt schnell vergessen zu haben.
»Ich will dir nicht im Weg sein oder lästig fallen. Es gibt bestimmt Situationen, in denen wir dich auch indirekt bewachen können. Aber noch ist der Angreifer auf freiem Fuß und wird sich nicht davon abhalten lassen, es wieder zu versuchen. Ich will nur sicher sein, dass wir unser Bestes geben.«
Emery kniff die Augen zusammen und sah ihn an. »Was schlägst du also vor?«, fragte er dann und warf einen kurzen Seitenblick auf Ava.
Scout widerstand der Versuchung, sich zu räuspern oder sich nervös die Hände zu reiben. Ihre Besprechung war rein geschäftlich und er hätte diesen Vorschlag jedem anderen Klienten auch gemacht. »Zwei Zimmer nebeneinander, möglichst mit Zwischentür. Und das mindestens für die nächsten beiden Nächte, solange die Polizei an dem Fall arbeitet. Wohin soll die Reise gehen?«
Emery sah ihn kalt an. »Hawaii. Und es ist rein geschäftlich. Nicht zum Vergnügen.«
Das hatte Scout auch nicht andeuten wollen, aber er ließ Emerys Bemerkung durchgehen. Weil… verdammt. Hätte es nicht Seattle sein können? Auf eine kurze Reise hätte er Emery begleiten können, aber Hawaii? Das wäre doch etwas übertrieben.
Aber warum hätte er von Emery Klein etwas anderes erwarten sollen?
»Sind deine Reisepläne öffentlich bekannt?«, fragte er.
Emery schüttelte den Kopf. »Ich mache nie bekannt, wohin ich verreise. Und ich poste Reiseberichte erst, wenn ich wieder zurück bin. Es ist sicherer.«
Scout war geradezu lächerlich stolz auf Emery. »Gut. Das ist auch richtig so. Unglücklicherweise haben wir keine Ahnung, wie genau der Angreifer dich beobachtet hat. Es ist durchaus möglich, dass er deine Online-Buchungen kennt und über dein Reiseziel informiert ist.«
»Es ist aber auch möglich, dass er sie nicht kennt«, widersprach Emery. »Ich werde meine Pläne jedenfalls nicht ändern.«
Scout nickte. Das war verständlich. Er hätte gerne gewusst, was Emery auf Hawaii vorhatte, aber streng genommen war das nicht relevant. »Du solltest vielleicht eine Begleitung mitnehmen, die immer in deiner Nähe bleibt.«
Emery sah ihn selbstgefällig an. »Ich reise mit meinem virtuellen Assistenten. Er neigt noch mehr zu Paranoia als du. Er will immer dafür sorgen, dass meine Fans nicht zu enthusiastisch werden oder versuchen, etwas von mir in die Hände zu bekommen, weil sie meinen, sie würden mich kennen. Er bucht unsere Tickets über eine sichere Reiseagentur und die Hotelzimmer unter einem Pseudonym.«
Scout musste zugeben, sowohl über Emerys Erfolg und die vielen Fans beeindruckt zu sein, als auch über den Professionalismus seines Assistenten. »Gut«, sagte er wieder und meinte es ehrlich. »In diesem Fall möchte ich dir empfehlen, mein Angebot anzunehmen, dich bis zu deiner Abreise zu beschützen. Wenn du von der Reise zurückkommst, können wir die Lage neu bewerten.«
Ava hatte in den letzten Minuten geschwiegen.