Troubled Waters. H.J. Welch

Troubled Waters - H.J. Welch


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ein Stundenhotel erinnerten, bestand das Pine Cove Lodge aus malerischen Blockhütten.

      Ja, sosehr Scout den Trubel von Großstädten schätzte, konnte er doch auch die Menschen verstehen, die lieber in einer kleinen Stadt wie Pine Cove lebten. Er parkte seinen Mietwagen an der Hauptstraße. Es gab hier nur wenige Filialen großer Handelsketten. Während er zu dem Diner am See ging, entdeckte er einen kleinen Tante-Emma-Laden, einen türkischen Barbier – Frisiersalon –, ein Antiquariat und eine Bäckerei, aus der es einfach himmlisch duftete. Wäre er nicht mit Christopher verabredet gewesen, hätte er hier wahrscheinlich einen Stopp eingelegt und sich einen Apfelplunder mit Milchkaffee gegönnt. Vielleicht ein andermal.

      Christopher Oakley war sein Boss, seit Scout vor einigen Jahren – er war damals Ende zwanzig gewesen – seine Karriere als Profiboxer beendet hatte, um als private Sicherheitskraft zu arbeiten. Christopher war Ende vierzig und ein ehemaliger Militärpolizist. Er hatte beim Militär aufgehört und die Sicherheitsfirma gegründet, als er Vater geworden war. Normalerweise bekam Scout seine Aufträge telefonisch oder sie trafen sich im Büro der Firma in San Diego. Nur gelegentlich, wenn es um einen besonders komplexen Fall ging, fanden ihre Besprechungen vor Ort statt.

      Komplex konnte vieles bedeuten. In diesem Fall vermutete Scout, dass ihr Klient eine bekannte Persönlichkeit war. Das Ungewöhnliche war aber, dass ihr Klient nicht selbst der Auftraggeber war. Stattdessen hatte sich eine Freundin des Mannes an sie gewendet und sie beauftragt, ihren Freund zu beschützen.

      Offensichtlich wollte der Klient keinen Personenschutz. Solche Fälle waren immer sehr anstrengend und es fiel Scout schwer, neutral zu bleiben und sich nicht schon ein negatives Bild von dem Mann zu machen, bevor er ihn überhaupt kannte. Aber solange er bezahlt wurde, würde er seinen Job erledigen und dafür sorgen, dass dem Mann nichts passierte.

      Ob es dem Kerl gefiel oder nicht.

      Als er das Sunny Side Up betrat, war Christopher schon da und winkte ihm zu. Scout nickte der Kellnerin zu und ließ sie wissen, dass er erwartet wurde und sie ihm keinen Sitzplatz zuweisen musste. Dann ging er durch den Diner zu Christopher, der weiter hinten in einer der Nischen saß.

      »Hey, Mann. Wie geht's?« Scout klopfte ihm auf die Schulter und schüttelte ihm die Hand, bevor er sich setzte.

      Christopher begrüßte ihn nickend, schob einen Schnellhefter über den Tisch und winkte der Kellnerin zu, die Scout vorhin schon begrüßt hatte. Sie hob lächelnd einen Finger und ließ sie wissen, dass sie gleich an ihren Tisch käme. Christopher nickte wieder und wandte sich Scout zu.

      »Nicht schlecht«, beantwortete er Scouts Frage. »Aber es ist gut, dass ich persönlich gekommen bin, um dich in diesen Job einzuweisen. Ich hatte von Anfang an das Gefühl, es könnte etwas kompliziert werden.«

      Scout zog fragend die Augenbrauen hoch und drehte die Akte um, damit er sie lesen konnte. Emery Klein stand da ganz oben auf der ersten Seite. »Hat sich eine neue Entwicklung ergeben?«

      Christopher wartete mit seiner Antwort, weil in diesem Moment die Kellnerin an ihren Tisch kam. Er bestellte zwei Kaffee und eine Grapefruit. Scout, der von gestern Abend noch verkatert war, bestellte Pfannkuchen und Bratkartoffeln mit Speck. Er hatte früher sehr auf sein Gewicht achten müssen, um nicht in eine andere Gewichtsklasse eingestuft zu werden, hatte aber auch gut aussehen wollen, wenn er in den Ring stieg. Es hatte eine Weile gedauert, bis er realisierte, dass er sich jetzt gelegentlich eine Schwäche erlauben konnte, zumal er immer noch viel trainierte.

      »Gestern ist in seine Wohnung eingebrochen worden«, erklärte Christoper, nachdem die Kellnerin wieder gegangen war. »Mr. Klein hat eine leichte Gehirnerschütterung davongetragen, als er geflohen ist. Die Polizei hat den Tatort heute früh untersucht. Es scheint einige Beschädigungen an Mr. Kleins Eigentum gegeben zu haben. Unsere Auftraggeberin, eine Ms. Coal, hat mich angerufen und mir mitgeteilt, dass er nach diesen Vorkommnissen vermutlich seine Meinung geändert hat und mit dem Personenschutz einverstanden wäre.«

      Scout wollte die Akte gerade aufschlagen, als die Kellnerin mit dem Kaffee zurückkam. Er bedankte sich lächelnd. »Ist diese Ms. Coal in einer Beziehung mit Mr. Klein?«, fragte er, als sie wieder allein waren. Ungefähr ein Dutzend der Tische war besetzt, aber keiner davon befand sich in ihrer Nähe. Christopher hatte eine auffällige Narbe auf der linken Seite des Gesichts, die er oft einsetzte, um fremde Menschen auf Abstand zu halten. Sie wussten ja nicht, dass er im Grunde seines Herzens ein alter Softie war.

      Christopher nippte an seinem Kaffee und sah Scout über den Tassenrand an. »Nein. Ich glaube, sie ist seine beste Freundin. Mr. Klein ist schwul.«

      Scout musterte ihn einen Moment. »Natürlich«, sagte er dann und trank ebenfalls einen Schluck Kaffee.

      Scout verstand sich sehr gut mit seinem Boss, doch Christoper hatte die Neigung, viele ehemalige Soldaten mit Macho-Allüren einzustellen. Echte Alpha-Männchen.

      Und nicht die Art Männer, die daran interessiert waren, einen schwulen Klienten zu schützen.

      Es war nicht das erste Mal, dass Scout, der selbst schwul war, damit beauftragt wurde, einen Klienten der LGBT-Gemeinschaft zu übernehmen. Es störte ihn nicht. Im Gegenteil, er war sogar stolz darauf. Aber er ärgerte sich darüber, dass seine Kollegen mit ihren Vorurteilen einfach so durchkamen. Warum durften sie ihre persönliche Überzeugung über ihre Arbeitsmoral stellen? Oder damit sogar das Leben eines anderen Menschen gefährden?

      Scout war katholisch, arbeitete aber für Menschen jeden Glaubens. Er hatte sogar schon einige Klienten übernommen, deren politischer Überzeugung er in jeder Beziehung widersprochen hätte. Doch danach bewertete er ein Menschenleben nicht. Sein Job war es, für ihre Sicherheit zu sorgen, unabhängig von den äußeren Umständen. Und diese Aufgabe nahm er sehr ernst.

      Wie dem auch sein mochte, jetzt war er hier und die Stadt gefiel ihm. Es gab also keinen Grund, sich darüber zu ärgern. Vielleicht ergab sich demnächst die Gelegenheit, mit Christopher über das Problem zu reden.

      In der Zwischenzeit wurde er durch einen riesigen, zotteligen Hund beschwichtigt, der an ihren Tisch kam, um Hallo zu sagen. Lachend kraulte er den Hund hinter den Ohren. »Hallo, mein Hübscher. Wer bist du denn?«

      »Sorry, tut mir leid.« Ein älterer Mann indianischer Abstammung kam mit wedelnden Händen an ihren Tisch gelaufen. »Peri freundet sich mit jedem an. Aber ich glaube, Sie wollen Ihr Frühstück lieber selbst essen.«

      Scout lachte. »Das stimmt. Aber ich liebe Hunde.«

      Der ältere Mann – Scout nahm an, er war der Geschäftsführer oder einer der Besitzer – stemmte seufzend die Hände in die Hüften, als Peri sich vor Scout und Christopher auf den Boden fläzte und es sich bequem machte. »Das ist vermutlich auch gut so, weil er Sie offensichtlich auch mag.« Er streckte die Hand aus. »Ich bin Tyee Perkins. Sunny ist mein Mann. Sind Sie geschäftlich hier oder zu Ihrem Vergnügen?«

      Wow. Der Mann hatte offensichtlich gleich erkannt, dass Scout und Christopher Fremde waren. Normalerweise hätte Scout das verdächtig gefunden, doch Tyee Perkins erinnerte ihn an den Boxtrainer seiner Kindheit, der ihn damals unter die Fittiche genommen hatte. Und da er selbst ein gutes Personengedächtnis hatte, wunderte es ihn nicht, dass Tyee sich an die Menschen erinnern konnte, die in seiner kleinen Stadt lebten.

      Christopher bestätigte Tyees Vermutung, indem er ihm antwortete, sie wären geschäftlich hier. In diesem Moment kam die Kellnerin mit einem Telefon in der Hand zu Tyee gelaufen. Sie war sehr jung und sah aus, als würde sie noch zur Schule gehen oder hätte sie gerade erst abgeschlossen.

      »Opa Tyee«, rief sie aufgeregt und sah zwischen ihm und dem Tisch hin und her. »Entschuldige, aber es ist Onkel Micha. Er hört sich an, als ob… Könntest du bitte mit ihm reden?« Sie hielt ihm das Handy hin in der Hoffnung, dass ihr Großvater das Gespräch übernehmen würde.

      Ja, das sah nicht sehr angenehm aus. Tyee verdrehte seufzend die Augen, aber in seinem Blick lagen auch Mitgefühl und eine gewisse Traurigkeit. »Haben Sie Kinder?« Scout schüttelte den Kopf und Christopher nickte. Tyee sah ihn verständnisvoll an. »Man hört nie auf, sich um sie zu sorgen. Nie. Okay, Rona, ich übernehme das. Sie


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