Das lange Echo. Elena Messner

Das lange Echo - Elena Messner


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einladender zu machen. Da es um Ererbtes ging, sollte es zu modern dann doch nicht sein. Trotzdem verstand sie ihr Museum als ein zeitgemäßes, eines zum Angreifen, eines zum Zuschauen. Daher ein Sommerfestival wie »Montur und Pulverdampf« – Nutz’ doch die Gelegenheit! –, daher die Militärfahrzeuge in Bewegung, zum Anschauen, alles da, vor dir, zum Staunen, zum Glänzende-Augen-Kriegen. Komm mit auf die Zeitreise, auf das kleine Abenteuer, lass dich entführen, erlebe es hautnah, das Damals, in einem Frack des Kaisers, in voller Montur, auf einem Militärfahrzeug, ab in die Schlacht, im Kanonendonner, alles so schön, so schön ordentlich. Denn das, was nach dem Aufbruch in die Schlacht kam, musste man dann ja nicht mehr zeigen.

      Für alle, die nicht persönlich vorbeikamen, machte das Museum schöne, farbige Bücher, da war alles drin: die Uniformen, die Waffen, die Fotos fescher Offiziere, für jeden Geschmack etwas. Die Direktorin: ein Leben im Staatsdienst. Dabei bekleidete die Wehrwissenschaftlerin, das war sie durch und durch, fast alle ihre Positionen als erste Frau – mit Charme, Esprit und Eleganz, wie es eine Wiener Illustrierte über die erfolgreiche weibliche Leitungskraft geschrieben hatte, sich der Sprache des Feindes bedienend.

      Die ihr gegenübersitzende junge Kollegin wurde von ihr seit Jahren als Assistentin ausgebildet. Sie war ihr zur Seite gestanden, hatte sich nie böse über ihre jugendliche Aggression geäußert, sie freundlich, so war sie eben, wie die sprichwörtliche Schlange am Herzen herangezogen, sich ihre übervollen, dabei ganz leeren Floskeln angehört, ihr ein wenig Innenraum gegeben, in der Nähe des eigenen Büros, im Museum. Ein Innenraum, den sie nachts heimlich betreten hatte, um einen Büchervergleich anzustellen. Dabei war sie auf das ungehemmt vulgäre Moment dieser Person gestoßen.

      Und nun das. Wenn solch ein Gespräch explodierte, da war der k. u. k. Kanonendonner der Reitenden Artilleriedivision Nr. 2. nichts dagegen. Beide suchten seit Stunden ihre weit auseinanderklaffenden Interpretationen der gemeinsam in einem Projekt erforschten Quellen zu verteidigen, indem die eine der anderen immer neue Nuancen aus dem Schlagabtausch zwischen dem Nemec und seinem Wiener Besucher verdeutlichte. Was einer inneren Logik folgend in einem Gespräch über die Frage von Sachzwängen endete. Zugegebenermaßen war der Schlagabtausch zwischen dem Nemec und seinem Besuch aus Wien nur in Auszügen aus den vorhandenen Akten und Dokumenten rekonstruierbar. Das machte die Interpretationsmöglichkeiten umso vielfältiger, die Analyse fantasiereicher, das Gespräch lebhafter und die Nacht so unglaublich lang.

      Betonte die eine ständig, dass der Nemec bei Tatsachen geblieben war, hielt die andere alles, was er gesagt hatte, für Provokation, wofür sie seine Herkunft als Grund heranzog. Sah die eine die Aussagen des Nemec im Kontext eines Stammtischgeplänkels als eher irrelevant an, meinte die andere, gefährliche Agitation eines Slawen darin zu erkennen, die man früher hätte entdecken müssen, was eventuell den Kriegsverlauf geändert hätte. Was reichlich übertrieben war, bedachte man, dass es sich bei der Gegend, in der der Nemec stationiert gewesen war, nur um einen Kriegsnebenschauplatz gehandelt hatte, der ja, im Gesamtbild betrachtet, völlig irrelevant war für diesen Kriegsverlauf, den die Direktorin noch nachträglich gerne korrigiert hätte, und berücksichtigte man zudem, dass der Kriegsausgang zu diesem Zeitpunkt längst schon entschieden war. Die zwei Streitenden zogen jeweils unterschiedliche Aspekte aus dem Verwaltungsschriftgut zu Rate, zitierten im Gespräch aus den Akten des Armeeoberkommandos, des Kriegsministeriums, des Militärgouvernements. Und sie waren in ihrem Ringen um einen inhaltlichen Sieg im Gespräch bald auch richtig besoffen.

      Die Meinungsverschiedenheiten fußten auf einer grundsätzlich unterschiedlichen Interpretation der Lage, in der sich der Nemec überhaupt befunden hatte. Während die eine der Meinung war, er sei Teil eines etablierten Systems totalisierter, repressiver Besatzungsherrschaft gewesen, hielt die andere mit dem Argument dagegen, dass diese damalige Besatzungsverwaltung in einem außerordentlichen Maße an Regeln und Normen gebunden blieb und dass es sich um eine der humansten Besatzungen der menschlichen Besatzungsgeschichte überhaupt gehandelt habe, von der die Belgrader und Belgraderinnen nur profitieren konnten. Solchen Ansichten konnte sich ihr Gegenüber wiederum nicht anschließen.

      Jedenfalls – da waren sich beide einig – hatte sich der Nemec in einer zwiespältigen, verunsichernden Situation befunden, deshalb hatte er an jenem Abend so überreagiert und sich ungebührlich verhalten. Ja, sie waren sich einig, dass es diese zwiespältige, verunsichernde Situation gewesen war, die ihn durcheinandergebracht haben musste, den Offizier der österreichisch-ungarischen Armee, der mit dem vom k. u. k. Armeeoberkommando im Jahre 1916 errichteten Militärgeneralgouvernement in Belgrad stationiert worden war, mit der Aufgabe, die Unterstützung der Kriegsmaschinerie zwischen Front und Heimat aufrechtzuerhalten. Das bedeutete nämlich, dass er in einem Etappengebiet festsaß und nicht mehr in Kampfhandlungen eingesetzt wurde, wodurch ihm zu viel Zeit blieb, über seine Situation und die seines Reiches nachzudenken. Nicht ungefährlich. Zu berücksichtigen blieb außerdem, dass der Nemec seine Anwesenheit in Belgrad nur als demütigend empfinden konnte.

      Denn was sonst als demütigend war es schließlich, dass er und sein militärisches Personal hier meist mit unmilitärischen Aufgaben beschäftigt waren. Auf Schlachten hoffend, waren sie in Belgrad in der k. u. k. Wetterstation gelandet, mussten nun als Lehrer des k. u. k. Internats-Realgymnasium oder im k. u. k. Versatz- und Versteigerungsamt arbeiten, oder, im schlimmsten Falle, sogar im k. u. k. Fiakerbetrieb. Ein gebildeter Mann von Welt konnte von Glück reden, wenn er für die Belgrader Nachrichten schreiben durfte, eine von Offizieren herausgegebene Zeitschrift, die offizielle Besatzungszeitung mit Amtsblattcharakter, in der auf Deutsch, Serbokroatisch und Ungarisch Befehle veröffentlicht wurden oder Benachrichtigungen von Todesstrafen. Bei dieser Arbeit konnte er sich zumindest damit trösten, dass er militärisch sinnvolle Propagandaarbeit machte. Dennoch – Schreibarbeit! Eine Demütigung für den militärisch ausgebildeten Mann. Da war das Wacheschieben schon fast ein ehrenvoller Akt, der am nächsten an die militärische Arbeit, die er auszuüben ausgezogen war, herangekommen wäre. Aber für so etwas durfte ja ein Offizier wie der Milan Nemec nicht mehr eingesetzt werden, dafür war er schon zu weit aufgestiegen, da gab es kein Zurück zum Wachpostendasein, dem glücklichen! Nein, er war zum Unterschreiben abkommandiert worden, eine ratternde Signiermaschine.

      Die Verwaltungsarbeiten langweilten Milan Nemec entsetzlich. War er einst ein Führer von Kompanien gewesen, musste er sich nun mit Dingen herumschlagen wie der zentralen Übernahmestelle für Milch in Belgrad, in der die gesamte Milch gesammelt und ein einheitlicher Fettanteil festgelegt wurde. Oder er hatte Briefe an das Reservespital Brčko zu schreiben, das eine Meierei, Schweinezüchterei, einen Hühnerhof, eine Schlachtbank und 40.000 Quadratmeter Gemüsegarten in Eigenregie betrieb, Dinge, die auch er haben wollte, für sein militärisches Verwaltungspersonal, Dinge, die auch die zu verwaltende Zivilbevölkerung haben wollte, aber nicht bekam, weshalb mit Konflikten zu rechnen war, was sich wiederum in neuen Unterschriften für neue Vorschriften niederschlug. Schreibarbeit, Lesearbeit, verfluchte!

      Das alles hast du mir angetan, Belgrad. Du üble Halbstadt, mit der ich nicht Freund werde, warum braucht es mich bloß hier?

      wir

      Der Offizier Milan Nemec war in der Stadt, um im Rücken der Front für Ruhe und Ordnung zu sorgen, um zu helfen, die Landesressourcen bestmöglich auszunutzen und um die Kommunikationslinien, die immer unüberschaubarer wurden, am Laufen, sei es auch am Irrlaufen, zu halten. Glücklich machte das einen Mann nicht. Seit Kinos und Schwimmbäder extra für Offiziere eingerichtet worden waren, war alles etwas leichter auszuhalten. Aber nein, glücklich, das konnte man nicht behaupten, dass er das war, der Nemec.

      Warum er jedoch in diesem Ausmaß überreagierte an jenem Herbsttag, bleibt bis heute zu einem gewissen Grad unerklärlich. Es scheint sehr wahrscheinlich, dass es der trommelnde Einsatz des Wortes Wir gewesen war, der ihn irritiert hatte, oder, noch wahrscheinlicher, das ebenso schlagende Wort Palatschinken, weil ihm sofort der Geruch von verbranntem Fett in die Nase stieg, wenn er dieses Schreckenswort hörte.

      Wir, meinte dieser Besuch etwa, wir haben unsre militärische Niederlage ja bloß eing’steckt, weil wir den Frieden geprobt haben, in den letzten Jahrzehnten. Unsre Armee: ein depperter Lipizzaner, der nur für Paraden taugt, unsere Truppen, die man erst niederpeitschen muss, damit sie lernen,


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