Das lange Echo. Elena Messner

Das lange Echo - Elena Messner


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zu Beginn der Besatzungszeit den Eintritt der totalen Ordnung, wie sie vorgesehen war, so entschuldigte die Direktorin des Heeresgeschichtlichen Museums die merkwürdigen Kompromisse, die die Militärverwaltung seit ihrer Arbeitsaufnahme oftmals hatte machen müssen, und die sich in einer für die Besetzenden anstrengenden Situation niederschlugen, in einer zu lange andauernden Unordnung, die sich wiederum zwangsläufig auf die Psyche des Milan Nemec, so wiederholten und bestätigten beide, auswirken musste.

      Gerade zu Beginn sei die tägliche Umsetzung militärischer Vorgaben für das Personal sehr schwer gewesen, führte die Direktorin aus. So brauche Ihre Kollegin sich beispielsweise doch bloß die Formulierung der Aufgabe anzuschauen, man habe den der Bevölkerung innewohnenden Starrsinn zu brechen, aber auch Vertrauen zu erwecken. Wie sollte da rasch Ordnung gemacht werden, wenn das Verwaltungspersonal laut Geschäftsordnung angehalten blieb, im Verkehr mit den Parteien strengste Objektivität und Unparteilichkeit zu wahren, das Personal jedoch zugleich schon über den Starrsinn dieser Parteien mitinformiert wurde, einen Starrsinn, den es, um hernach Vertrauen erwecken zu können, streng objektiv und unparteilich zu brechen galt.

      Die strikt organisierte Militärverwaltung sei aber dennoch von Beginn an bemüht gewesen, es zu keinen eigenmächtig durchgeführten Justifizierungen mehr kommen zu lassen. Aus den Akten gehe doch deutlich hervor, dass die Kreisgerichte zwar des Öfteren Todesstrafen verhängten, viele doch bitte dann gar nicht vollstreckt wurden, da manche standrechtliche Verfahren mit der Niederlegung aufgrund mangelnder Beweise, Freisprüche und Begnadigungen durch den zuständigen Kreiskommandanten endeten. Was im Zuge der Feldzüge erlaubt gewesen war, das wurde, je länger die Besatzung dauerte, zunehmend unmöglich, darunter standrechtliche Erschießungen, Hängungen oder Prügel der Zivilbevölkerung. Dass diese Ordnung ihre Zeit brauchte, sei nicht die Schuld der Besatzungsmacht gewesen, die, wie die Direktorin des Heeresgeschichtlichen Museums wiederholte, eine im Sinne des zivilisatorischen Fortschritts handelnde gewesen sei. Von diesem Standpunkt stelle sie sich nicht mehr weg. Es war ja im Grunde fast eine friedliche Situation gewesen, diese Okkupation.

      Na, so was, murmelte die Jüngere, so was.

      Es ging noch lange Zeit weiter, das Gespräch, ohne dass die beiden sich in vielen Punkten einigen konnten, außer in den unwesentlichen. Das Gespräch blieb ein wechselseitiges Predigen, Agitieren und Propagieren, für und wider und doch und weil und immer wieder ein »Das kommt darauf an« und ein »Gehn S’ bitte«, »Aber das werden Sie mir wohl nicht« und ein »Weshalb« und »Weshalb nicht«, ein »Zu betrachten wäre auch« und ein »Verdeutliche ich Ihnen gerne des Weiteren«, ein »Bitt’schön«, ein »Natürlich« oder ein »Natürlich nicht«.

      Es ging hin und her, ohne große Freude an der Sache, jedoch mit umso größerer Freude am Bier, Freude an dem stumm mittrinkenden Dritten, der zwischen ihnen festsaß, hilflos mal an den Ärmel der einen, dann den der anderen stieß, fast als wollte er sich die Nase damit wischen. Die erhitzten Wangen der beiden Frauen blühten in gefährlichem Rot, sie blieben wortgewandt und neben dem jungen Kollegen festgenagelt, bis in alle schreckliche Ewigkeit, so schien es. Das sanfte, junge Gesicht des Kollegen ruhte in ihrer Mitte, blieb fast bewegungslos, auf jeden Fall reaktionslos, auch wenn die beiden Frauen, sobald sie das Wort an die jeweils andere abgaben oder abgeben mussten, sich ihm zuwandten, die Augen auf ihn richteten, sie mal verdrehten, mal zwinkernd zudrückten, um ein Lächeln bei ihm hervorzurufen, oder wenigstens ein Nicken, ein Kopfschütteln, im Wunsch, er möge endlich das von ihnen Gesagte bestätigen, sie selbst bestätigen.

      So viel sie aber zwinkerten, Augen verdrehten, den Kopf neigten oder die Augenbrauen hochzogen, der junge Kollege blieb, mit ängstlichem Gesicht, unbewegt und wortlos.

      uns

      Bevor er mit Verwaltungsaufgaben betraut worden war, hatte der Milan Nemec an zwei Feldzügen teilgenommen, Aufmarschpläne umgesetzt, Truppen befehligt. Sein Leben erschien ihm in dieser Zeit wie ein andauernder Schockzustand. Das Gesehene, das Gehörte fiel aus dem ordentlichen Goldrahmen, den er sich für seine Tätigkeit zurechtgedacht hatte.

      Dass Offiziere mal dem einen oder anderen Soldaten beim Habtachtstehen eine übers Maul hauten, das war in einer Kriegszeit im Grunde keinen Seitenblick wert. Der Nemec, eher Diplomat als Krieger, ließ sich aber manches Mal von solchen Bildern ablenken, wenn er seine Kollegen bei ihrem Armheben und Arm-in-einen-Menschen-Dreschen betrachtete. Da haute einer nicht mehr nur aufs Maul, sondern mit dem Gewehr oder dem Stock in die Rippen und auf den Rücken, auch das gehörte zur Grundausbildung des Studiums der Taktik. Wie viele sinnlose Befehle du gehört hast, aus deinem eigenen Mund, aus den Mündern zu vieler anderer – du weißt schon ziemlich genau, was das ist, so eine Willkür und so ein Privileg eines Offiziers, über die du Soldaten nachts schimpfen hörst.

      Sie schreiben, dort zu Hause, dass es kein Einzelschicksal mehr gibt, keine Einzelgefühle, sie schreiben, dass nur noch das österreichische Herz schlägt. So schön beschreiben sie deine Welt, deine Schützengräben, dein Feld und dein Vorfeld, bei dem der Satan selbst mit seinen Heerscharen dagegen anrennen möge. Und doch, du schaust und vermagst nichts davon zu entdecken, von dem, was die in ihren Kämmerchen schreiben, von dem, was in ihren Berichten euch allen vorgeschrieben wird, der Taumel, der allgemeine. Vom Herzschlag für die Nation, dem in runden Sätzen ausgeschriebenen, von dem suchst du die Spur in deiner Mannschaft, die sich irgendwie verloren hat. Nun ja, wenn’s verordnet wird, beim Losmarschieren, da – ja, da wird herzgeschlagen und getaumelt, für den Kaiser, und gesungen, lauthals. Aber wenn’s nicht mehr verordnet werden kann, so in der Schlacht selbst, wo alles fliegt und braust, zischt und kracht, wenn das Große losgeht, das Allergrößte, nun, dann wird zwar ebenfalls getaumelt, und der Herzschlag bleibt genauso wild, nur von Freude gibt es keine Spur mehr. Da endet das Taumeln plötzlich in einem großen, gemeinsamen Fallen, und am Ende ist es mit dem Herzschlag dann auch vorbei.

      Während in den Zeitungen zu Hause steht, wie froh die Soldaten alle und feierlich und begeistert in den Krieg ziehen, freiwillig freilich, da fragst du dich doch, woher bloß deine Truppe gekommen ist, die so gar nicht dazupassen möchte, zu diesen Freiwilligen, Fröhlichen, Feierlichen. Du denkst dir plötzlich, wenn die nicht freiwillig wollen würden, in den Krieg, könnten sie dann daheimbleiben? Wären sie nicht doch dazu gezwungen oder als Deserteure erschossen worden? Ob die Freiwilligkeit, die in der Presse gefeierte, wirklich immer eine echte oder doch eine eher notwendige war, so eine aus einem Sachzwang heraus? Hätte die kriegerische Strategie eines Conrad von Hötzendorf erlaubt, dass ein junger Soldat, der grad’ entdeckt hat, was sich alles machen lässt mit dem Leben, dass so einer einfach daheimbleibt und sagt: Bitte lieber später eine Verteidigung, wenn die angreifen, aber einen Angriff, nein danke, das möchte ich erst mal lieber nicht.

      Der Milan Nemec – innerlich manchmal doch immer schon ein bisschen ein Skeptiker gewesen – war als diplomatisch bekannt, als schweigsam, besonnen. Die Galgen und die Rauchschwaden, die seine Truppen bei dem ersten Feldzug hinterlassen hatten, die hatten ihn nachdenklich machen können. Besonders beim hopp, hopp, Rückzug, der auf diesen ersten Feldzug gar nicht hätte folgen sollen, da eine Niederlage nicht Teil des Plans gewesen war.

      Weil wenn du dich zurückziehen musst, dahin, wo du hergekommen bist, wenn du wieder auf dem Weg bist, den du eigentlich schon einmal gemacht hast, nur in die umgekehrte Richtung, da siehst du, ob du willst oder nicht, alles, was du hinter dir gelassen hat. Du siehst zum Beispiel die Notfriedhöfe, die ihr angelegt habt, um die Gefallenen zu verscharren. Einscharren, richtig tief und fest und dunkel eingraben, eins, zwei, drei, zu- und vergraben, das ist es, was wir tun sollten, tun müssten. Wir wollen die Leiche versenken, fest zubuddeln, ein Kreuz drauf stellen, eine echte Bestattung, eine feine Beisetzung, um unsre Ruh’ mit dem Toten zu haben. Aber ein Notfriedhof, das ist kein echter Friedhof, und das Verscharren der Leichen, das passiert da bloß notdürftig. Dieses Begraben bleibt eine ziemlich unwürdige Sache, recht hässlich, und beim Rückzug gehst du dann, erschöpft, besiegt, an all dem vorbei, siehst die Kadaver, halb unter und halb über der Erde oder schon gar nicht mehr begraben, nur übereinandergeworfen, und du siehst unsre und ihre, und du weißt: Unter den ihrigen, neben den Resten ihrer Truppenteile, liegen Zivilpersonen, und darunter Frauen und Kinder.

      Die Echos, die auf


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