Die Welt ohne Hunger. Alfred Bratt

Die Welt ohne Hunger - Alfred Bratt


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in den Sessel; der über den Schultern in Falten gezogene Stoff des Rockes und das ungesunde Gelb seiner schwammigen Augen zergingen im Schein der geschirmten Tischlampe in ein fast konturenloses Verschwimmen von Licht und Schatten, aus dem nur seine Augen hervorglommen.

      Er rieb die feuchtgewordenen Innenflächen der Hände:

      »Und was wünschen Sie von mir in dieser Angelegenheit?«

      Durch Bells langgestreckte Gestalt ging eine Bewegung, als sei er plötzlich aufgewacht.

      »Meine Arbeiten sind so gut wie abgeschlossen, so weit dies theoretisch überhaupt möglich ist. Zur tatsächlichen Herstellung des Präparats ist eine praktische Tätigkeit erforderlich, die ein halbes Jahr beanspruchen dürfte. Ich benötige komplizierte Apparate, deren Konstruktion mein Geheimnis ist. Hierzu aber sind Geldmittel erforderlich, die dem Umfang des Unternehmens gegenüber zwar gering, für mich persönlich jedoch unerschwinglich sind.«

      Der Professor legte die gespreizten Finger vor sich auf die Tischplatte. Sein Schädel saß schief, seine Mienen waren zusammengekniffen. Er war nur noch lauernde Aufmerksamkeit.

      »… Und zu diesem Zweck brauche ich Ihre Hilfe, Herr Professor!«

      Bourdier räusperte sich.

      »Tja«, meinte er breit und vorsichtig, »… und wenn die chemische Seite Ihrer Idee nun ein – Irrtum wäre?«

      Bell beugte sich vor. Innerhalb einer Minute hatte er zwei symmetrische Reihen von Formeln auf einen Notizblock geworfen.

      Bourdier starrte lange auf das Papier. Seine Augen weiteten sich, als wollte er jedes Zeichen und jede Zahl auf ewig in sein Gehirn einprägen. Er bewegte murmelnd die Lippen und hob dann mit einem jähen Ruck den Kopf.

      »Hm, allerdings … ein außerordentliches Problem! Aber ein Problem …«

      Bell lächelte unmerklich. »Die Lösung«, sagte er, »ist vorläufig natürlich mein Geheimnis.«

      Er streckte sich. In dem Schwarz, das über der niedrig strahlenden Lampe schwebend die Decke verhüllte, schien er ins Unbegrenzte zu wachsen.

      »Es ist für Sie ein leichtes, mir durch die Leitung der Sorbonne die nötige Summe zu verschaffen.«

      Und mit einem scheinbar wieder halb abwesenden Blick fügte er hinzu: »Wie denken Sie darüber – Herr Professor?«

      Bourdier neigte sich in seiner ganzen Fülle vornüber und schlug Bell kräftig und wiederholt auf den Arm, als wäre er seit Jahren sein bester Freund.

      »Grandios!«, rief er und schnaufte vor Extase. »Grandios – mein Lieber! … Hä – soll ich Sie umarmen? … Krrrr.«

      Professor Bourdier überstürzte die Worte – nun, da der Augenblick gekommen war, auf den er während der letzten Minuten mit sehnsüchtiger Spannung gewartet hatte. Er fand – wie er sagte – keine Bezeichnung, die so absolut idealistischen Tendenzen Bells in gebührendem Maße zu apostrophieren. Da war endlich einmal ein Mann, der über die Grenzen dessen hinauswollte, was uns als das Gegebene und darum recht und gültig erscheint. Ein Pionier! … bei allen Heiligen.

      Er wiegte sich nach allen Seiten, seine Bewegungen bekamen Tempo und Rhythmus vor Beredsamkeit.

      Ja, Bell sei einem ganz richtigen Instinkt gefolgt, als er ihn aufsuchte. Er würde nicht ermangeln … ganz im Gegenteil. Aber das mit dem Direktorium der Sorbonne – oder wie hatte Bell doch gesagt? – sei meilenweit davon entfernt, die Unantastbarkeit der Herren Kollegen in Zweifel zu ziehen. Aber immerhin … es gäbe persönliche Interessen, die gefährlich werden könnten. Und dann sei überhaupt nicht zu erwarten, daß die Sorbonne eine derart nach Utopie klingende Angelegenheit (er selbst zweifle kaum, aber trotzdem) in den Kreis ihrer streng sachlichen Interessen ziehe … und überhaupt, jawohl.

      Bourdiers Stimme lief hurtig und gelenksam alle Windungen seiner Dialektik durch, vom vibrierenden Baß der Überzeugung bis zum Falsett der Voraussicht. Seine Glimmerkohlen von Augen flackerten verfänglich.

      Aber er persönlich sei durchaus nicht dagegen, sich der Entwicklung des Unternehmens zu widmen. Dies wäre nicht der erste Fall – ganz gewiß nicht. Wenn auch die Unsicherheit der realen Basis natürlich nicht zu unterschätzen sei. Vor allen Dingen müßte er die wissenschaftlichen Voraussetzungen untersuchen, das sei Prinzip und Notwendigkeit. Nur ein älterer Fachmann ist berufen – nicht wahr? – zu prüfen und zu scheiden und die Verbindungen herzustellen, die die Jugend oft leicht übersieht, deren aber jeder wissenschaftliche Bau grundsätzlich und dringendst bedarf.

      Seine Meinung gehe also kurzerhand dahin: er wolle Bells Pläne und Analysen selbst der genauesten Prüfung unterziehen, und dann sei er bereit, sozusagen Hand in Hand mit ihm zur Lösung zu schreiten.

      Ja, das sei wahrhaftig das beste.

      Und was die Mittel beträfe – he … das würde sich finden! Er selbst sei bereit – entsprechend dem Ergebnis seiner Untersuchung, natürlich – das Notwendige zu beschaffen. Alles weitere würde sich von selbst ergeben, nicht wahr? … Denn das mit staatlichem Monopol und Internationalität – allerhand Ideale in Ehren – sei doch wohl übertrieben und ermangele zuvörderst der reiflichen Überlegung.

      Oder wie?

      Eine private Gesellschaft – er bemerke dies beispielsweise – könne da ganz anders zu Werke gehen! Dies sei eine alte Erfahrung. Und man behalte das Recht der Disposition!

      Übrigens – es sei ja noch Zeit, bis dahin.

      Zuerst müsse jeder Zweifel in wissenschaftlicher Hinsicht beseitigt werden.

      Bourdier stieß den Atem kurz und kräftig. Er plusterte vor Überzeugung.

      Vorläufig seien Zweifel immerhin vorhanden. Es gäbe wohl Schwierigkeiten, ganz abgesehen von ökonomischen und anderen, sozusagen geschäftlichen Maßnahmen. Er könne doch nicht umhin, mancherlei in Frage zu ziehen. Und kurz und bündig – vorläufig sehe er nicht weniger und nicht mehr als eine großartige Möglichkeit, deren Hintergrund festzustellen seine erste Aufgabe sei. Und er hoffe, daß Bell allen guten Willen habe, ihn in diesem Belang werktätig zu unterstützen.

      Wie gesagt – von der Sorbonne müsse man absehen, das werde Bell wohl begreifen – er für seine Person sei nicht abgeneigt, das Ganze in die Hand zu nehmen!

      Die letzten Sätze hatte Bourdier regelrecht hervorgeschossen. Er zielte förmlich und folgte ihnen mit dem Körper, um ihre Treffsicherheit abzuschätzen. Er umkreiste Bell mit Einsicht und Schärfe, er drang in ihn, er füllte ihn mit Autorität und bester Meinung, er umnebelte ihn mit einem Wust von Tiraden und Phraseologien, er polierte seine Bedenken, seinen Widerstand, den kleinsten Argwohn mit Erfahrungen und Grundsätzen, er schliff und feilte ihn von allen Seiten, er sprach ihn platt rundherum. Und nun hatte Bourdier wohl die Fläche und Form, auf der er sich zu bewegen gewohnt war. Er stand sicher und war nicht in Gefahr, abzugleiten.

      Doch er glitt ab.

      Bell hatte ihn mit keiner einzigen Bewegung unterbrochen. Nur über seinem Kinn war ein Lächeln hervorgekrochen, das in einer schmalen Linie um seine Lippen lief, sich vertiefte und von den geschärften Mundwinkeln in gerader Linie zur Nasenwurzel zog.

      Er spürte, wie ein bitterer Geschmack durch seinen Hals nach oben stieg.

      Wieder vergebens … Es war immer dasselbe!

      Er zog mit zwei Rucken die Ärmel bis zu den Handgelenken, erhob sich und griff brüsk nach seinem Hut. Dann sagte er, jedes seiner Worte gleich trocken betonend: »Ich verstehe, Herr Professor! Und ich bedauere, Sie in Anspruch genommen zu haben. Ihr Weg und mein Weg haben verschiedene Richtungen. Das ist es. Ein kleiner Irrtum, der sich aber nicht überbrücken läßt. – Ich bedauere nochmals!«

      Er ging zur Türe, ohne sich umzuwenden.

      Aber da stand auf einmal Bourdier vor ihm, und seine kompakte kleine Person versperrte den Weg. Ein anderer, zusammengezogener Bourdier, mit muskulösen Fleischwülsten an Hals und Wangen. Sein Gesicht knallrot. Und Bell bemerkte, daß die Haut Boudiers von Sommersprossen


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