Gefahr für Burg Bentheim. Mathias Meyer-Langenhoff
„Na klar“, grinste Lotte, „wie viele Seiten hast du?“
„’ne halbe“, antwortete Tom.
„Ob das wohl reicht?“, meinte Lotte spöttisch. „Da könnte es Stress mit Teichmännchen geben, wir haben drei Seiten.“ „Willst dich bei ihm wohl wieder einschmeicheln?“
„Quatsch!“, murmelte Lotte verärgert und stocherte mit dem Löffel in ihrem Milchshakeglas herum.
„Ist total normal drei Seiten zu schreiben“, kam Doro ihr zu Hilfe, „außerdem wolltet ihr doch sowieso skaten gehen, oder? Also bis morgen!“
Tom sah Doro verwundert an, dann hob er betont lässig die Hand und ging mit seinen Freunden weiter.
„Danke“, meinte Lotte, „dein Tom war echt ein bisschen blöd.“
„Ich hab dir schon mal gesagt, das ist nicht mein Tom, und außerdem hast du angefangen“, entgegnete Doro.
Darauf antwortete Lotte nicht. Eine Weile unterhielten sie sich noch über alles Mögliche, dann fuhren die Mädchen nach Hause.
„Es tut mir leid, wenn ich heute Mittag was falsch gemacht habe“, begrüßte sie ihr Vater, als er Lotte die Haustür öffnete.
„Ist schon gut“, antwortete Lotte, „war meine Schuld.“
„Hast du kein Training?“, wollte ihre Mutter wissen.
„Heute nicht“, antwortete sie, „unser Trainer ist krank.“ „Dann können wir ja endlich mal wieder zusammen Abendbrot essen“, freute sich Frau Lehmann, „Paul ist auch da.“
*
*
Rückkehr ins Mittelalter
Doro hatte die glänzende, schwere Kampfrüstung angelegt. Ihr Helm, geschmückt mit einem großen weißen Federbusch, glänzte in der Sonne. Nervös scharrte ihr Pferd mit den Hufen. Sie konnte es kaum halten, weil sie in der rechten Hand eine lange, schwere Lanze trug. Auf dem Turnierplatz herrschte atemlose Stille, jeden Augenblick würde das Duell zwischen Doro und Grimmbert dem Schrecklichen beginnen. Besiegte sie ihn, würde Grimmberts Heer von der Burg abziehen. Groß und mächtig stand er ihr auf der anderen Seite in etwa achtzig Metern Entfernung gegenüber. Er trug eine schwarze Rüstung, seine Lanze war viel länger als Doros. Lotte zitterte am ganzen Körper, sie konnte die Spannung kaum ertragen. Immer wieder hatte sie versucht, ihrer Freundin den Kampf auszureden, sie angeschrien, ja sogar angefleht nicht gegen Grimmbert anzutreten. Aber es war zwecklos. Ohnmächtig musste sie jetzt mit ansehen, wie die Kämpfer ihre Pferde in Bewegung setzten und immer schneller aufeinander zurasten. Doro hob die Lanze, sie schwankte auf und nieder, gleich würden die Reiter auf gleicher Höhe sein.
„Nein, Doro, nein, weich ihm aus, neiiiiin …!“ Gellend schrie Lotte auf und schlug ihre Hände vor’s Gesicht, bis sie undeutlich eine Stimme vernahm.
„Lotte, Lotte, wach auf!“
Lotte öffnete die Augen. Ihre Mutter stand neben ihr und schüttelte sie kräftig. „Meine Güte, Kind, was träumst du für schreckliche Sachen?“
„Keine Ahnung“, antwortete Lotte ausweichend, gähnte und rollte sich langsam aus dem Bett.
„Was ist jetzt, wie spät fahren wir heute Nachmittag?“, wollte Doro wissen, als Lotte neben ihr in der Schule saß.
„Wir treffen uns um Viertel nach zwei am Bahnhof“, meinte Lotte, „dann sind wir auf jeden Fall früh genug in der Kirche.“
„Was sagen wir unseren Eltern?“
Lotte kratzte sich am Kinn. „Am besten, wir müssen noch mal zur Burg, wegen Infos für ein Referat oder so, stimmt ja auch irgendwie.“
Es klingelte. Teichmann kam herein, schleuderte mit Schwung seine Schultasche auf das Pult und blieb einen Augenblick bewegungslos stehen. Auge in Auge mit seinen Schülern versuchte er, sie wie ein Raubtierdompteur nur durch seinen Blick zur Ruhe zu zwingen. Sein Lieblingstrick, auch heute funktionierte er.
„Guten Morgen zusammen!“
„Guten Morgen Herr Dr. Teichmann!“
Das war ein Unterrichtsbeginn nach seinem Geschmack. Die Klasse gönnte ihm diesen Triumph, denn sie wusste, dass seine Laune dadurch um einiges besser wurde.
„Wir haben uns vorgenommen, noch einmal über die Burg zu sprechen, ihr solltet auf Grundlage der Broschüre eine Zusammenfassung der Besichtigung schreiben. Ach ja, Lotte, von dir bekomme ich noch die Arbeit über die Geschichte des Bergfried unter besonderer Berücksichtigung der Pechnasen.“ Er näherte sich ihrer Sitzbank. Lotte kramte in ihrer Schultasche und zog zwei eng beschriebene Seiten hervor. Sie hatte sie kurz vor dem Schlafengehen verfasst.
„Vielen Dank“, sagte Teichmann, „ich hoffe, du bist jetzt schlauer geworden.“
„Geht so“, antwortete Lotte. Ihr Blick folgte ihrem Lehrer, der zurück zu seinem Pult ging.
„Hast du gehört?“, flüsterte Lotte.
„Was denn?“, fragte Doro ärgerlich, denn sie wollte heute bei Teichmann auf keinen Fall unangenehm auffallen.
„Er hat gesagt wir haben uns vorgenommen, er schließt mal wieder von sich auf andere.“
„Kann schon sein, aber das sagen doch alle Lehrer, jetzt lass mich in Ruhe, sonst kriegen wir gleich wieder Ärger!“
„Dorothee, lies bitte vor, was du geschrieben hast!“
Sie hatte es geahnt, schon wieder war sie dran. Sie holte tief Luft, sah Lotte noch einmal böse an und begann stockend ihre Hausaufgabe vorzutragen.
„Etwas lauter bitte, hier vorne bei mir kommt gar nichts an.“
Dr. Teichmann legte demonstrativ eine Hand an sein Ohr.
„Lächerlich!“, zischte Lotte durch die Zähne. „Der versteht doch jedes Wort.“
„Was hast du gesagt, Lotte?“, fragte Teichmann herausfordernd.
„Nichts, ist schon gut.“
„So, so. Lies weiter, Dorothee!“
Die Stunde wollte und wollte nicht vergehen, aber nach einer kleinen Ewigkeit klingelte es schließlich doch.
„In der nächsten Stunde werden wir einen Test über die wichtigsten Daten und Fakten zur Burggeschichte schreiben. Bereitet euch also vernünftig vor!“
In der Pause war Doro immer noch ärgerlich.
„Hast du eigentlich schon gemerkt, dass Teichmännchen mich immer dann drannimmt, wenn du mir was zuflüsterst?“
„Tut mir leid.“ Lotte hatte ein schlechtes Gewissen.
Die folgenden Stunden verliefen normal. Kunst, Musik und Englisch, da war sogar Zeit schon mal Hausaufgaben für den nächsten Tag zu machen und sich zu unterhalten. Lotte war ein bisschen eifersüchtig, denn Doro redete fast mehr mit Tom als mit ihr.
Nach der Schule erklärte Lotte zuhause, warum sie mit Doro nach Bad Bentheim fahren wollte. Ihre Eltern hatten keine Einwände und fanden es logisch, dass sie für ein Referat noch weitere Informationen benötigten. Also schwang sie sich nach dem Essen auf ihr Rad und fuhr zum Bahnhof.
Schon an der Ampel sah sie Doro an der Bushaltestelle auf der anderen Seite der Kreuzung stehen. Lotte war aufgeregt, denn in einer knappen Dreiviertelstunde würde sie Dietlinde wiedersehen und Doro hoffentlich endgültig überzeugen können. Sie überquerte die Straße und stellte ihr Rad in den Fahrradständer, direkt vor dem griechischen