Handball. Ruwen Möller
ihn mit dem Fuß zu spielen. Sie haben sich damals bestimmt nicht diese Szenerie vorgestellt, die wir hier heute erleben dürfen. Einen Sport, der den gesamten Globus umspannt, Millionen von Aktiven, Athleten und passionierten Fans hat.
Das erste WM-Spiel auf dänischem Boden seit 1978 steht kurz bevor und somit die gesamte WM, die gemeinsam mit Deutschland ausgerichtet wird. Danke an die Organisatoren, die Partner und an die Tausenden von Freiwilligen für ihren unermüdlichen Einsatz bis hierher und für alles, was während des Turniers noch kommen mag. Wir sind bereit, um dies zu einem wundervollen und unvergesslichen Turnier für die Teilnehmer und Fans von überall auf der Welt zu machen. Wir werden nun Zeugen von herausragendem Können, Freundschaft und Respekt, der wahren Kraft des Sports. Bitte genießt und feiert die Eröffnung der Handball-WM in Dänemark.“
(Die Originalrede wurde in englischer Sprache gehalten, siehe https://www.youtube.com/watch?v=jnzeocB0YA0)
Womit wir gleich beim Thema und dem guten alten Ricola-Werbeslogan sind: Wer hat es erfunden? So viel steht fest: Die Schweizer waren es nicht. Aber waren es tatsächlich die Dänen, wie ihr Kronprinz behauptet? Darüber gehen die Meinungen weit auseinander. Ist England doch längst als Mutterland des Fußballs anerkannt, so liegen die Dinge im Handball nicht ganz so einfach.
Die große Frage lautet: Ist Handball eine in Deutschland entstandene Sportart oder stammt sie doch aus dem Ausland, etwa aus Dänemark? Endgültig klären lässt es sich bis heute nicht. Einen ersten Versuch dazu hat Walfried Rieckhoff, Wissenschaftler aus Hamburg, unternommen.
„Rund 20 in- und ausländische Spiele, verwirrend viele also, verortete der Hamburger bereits zu Beginn der 1940er-Jahre als Urformen, als er seine detailreiche Dissertation Historische Untersuchungen über die Vorläufer und Anfänge des Deutschen Handballspiels in Angriff nahm“, (Eggers, 2014, S. 11).
Anfänge soll es bereits in der Antike mit einem Wurfspiel gegeben haben. Die Griechen nannten es Harpaston, was so viel wie „rauben“ und „schnell wegnehmen“ bedeutet. Im antiken Rom war dieses bis ins fünfte Jahrhundert beliebte Spiel als Harpastum, eine „Übung mit dem kleinen Ball“, bekannt. Betrachtet man es mit heutigem Wissen, dürfte es als eine Mischung aus Rugby und Handball durchgehen.
„Den ersten Hinweis im 19. Jahrhundert auf ein mannschaftsartiges Ballspiel, das man als Vorform des Handballs bezeichnen könnte, beinhaltete der Katechismus der Turnkunst von 1852“ (Eggers, 2014, S. 12).
Der Braunschweiger Pädagoge Konrad Koch (1846-1911) hatte bereits 1874 Rugby in der Schule spielen lassen. Später gehörte er zu den Fußballpionieren des Landes und 1891 entwickelte er das sogenannte Raffballspiel. In den ersten veröffentlichten Regeln von 1897 war davon die Rede, dass Spieler den Ball nur mit der Hand spielen durften und maximal zwei Schritte mit dem Spielgerät in der Hand laufen durften. Dieses Spiel gilt vielen als Vorläufer des modernen Handballs.
Auch in Skandinavien wurde an den Anfängen des heutigen Handballs getüftelt.
„Das älteste Zeugnis einer solchen Spielform im nördlichen Europa ist 1898 im dänischen Helsingör zu finden. Als der geistige Vater des ‚Haandbold‘ genannten Spiels gilt der 1866 geborene Turninspektor Holger Nielsen, ein namhafter Repräsentant der dänischen Sport- und Gymnastikbewegung“ (Eggers, 2014, S. 17).
Doch selbst im kleinen Dänemark ist die Lage nicht ganz eindeutig. Klar ist: Holger Louise Nielsen, so der vollständige Name des Mannes, der später die Herz-Lungen-Wiederbelebung (Vorgänger der Mund-zu-Mund-Beatmung) erfand, veröffentlichte 1906 die ersten offiziellen Regeln seines Handballspiels in dem Buch Vejledning i håndbold (Gebrauchsanweisung Handball).
Der Olympiamedaillengewinner von 1896 (einmal Bronze im Fechten, je einmal Bronze und Silber im Schießen) war im Beruf Lehrer an der Ordrup Latein- und Realschule. Der Schulhof war zu klein für das gerade immer beliebter werdende Fußballspiel. Außerdem hatte Nielsens Schulleiter Fußball verboten, und so entwickelte sein Angestellter eine Ballspielvariante mit der Hand.
„Normalt tildeler vi æren til Holger Nielsen, som var lærer på Ordrup Latin- og Realskole. Han begyndte i slutningen af 1800-tallet at eksperimentere med et boldspil med hænderne. Og i hvert fald var det Holger Nielsen, som i 1906 fremkom med det første regelsæt for spillet” (Videnskab.dk, 2009).
„Normalerweise schreiben wir dem Lehrer an der Ordrup Latein- und Realschule, Holger Nielsen, die Ehre zu, den Handball erfunden zu haben. Er begann Ende des 18. Jahrhunderts (Anmerkung des Autors: Es müsste Ende des 19. Jahrhunderts sein), mit einem Ballspiel zu experimentieren, bei dem nur die Hände benutzt werden durften. Es war jedenfalls Nielsen, der 1906 die ersten Regeln dieses Spiels veröffentlichte“ (Videnskab.dk, 2009).
Laut dem Autor, Forscher und Historiker Niels Kayser Nielsen aus dem dänischen Aarhus hatte jedoch auch ein anderer Landsmann seine Finger im Spiel.
„Auf der Bürger- und Gemeindeschule in Nyborg hatte der junge Lehrer Rasmus Nicolaj Ernst im Großen und Ganzen zur gleichen Zeit mit einer Gruppe Schüler Handball gespielt. Witzigerweise wussten die beiden Pioniere sehr wahrscheinlich nichts voneinander“ (Videnskab.dk, 2009).
Sie standen sich 1907 aber in einem der ersten Handballspiele der Geschichte mit ihren Teams als Gegner gegenüber. Es war die Partie zwischen einer Auswahl der Ordrup Latein- und Realschule (Nielsen) und der Helsingør Højere Almene Skole (die allgemeine höhere Schule Helsingör), an der Ernst 1905 angestellt worden war. Ordrup gewann mit 21:0.
Gut möglich, dass sich der dänische Kronprinz eben auf diese Ausführungen bezogen hat, als er davon sprach, dass „dänische Lehrer“ Handball erfunden haben. In Nielsens Augen gibt es jedenfalls mindestens diese beiden guten Gründe, weshalb sich Dänemark, heute eine der führenden Handballnationen, auch damit brüsten kann, diese Sportart sogar erfunden zu haben.
„Es ist weltweit anerkannt, dass Dänemark das Mutterland des Handballs ist, auch wenn einst die Tschechoslowakei versuchte, sich mit diesen Federn zu schmücken“ (Videnskab.dk, 2009).
Neben dem in Schweden verbreiteten „Handboll“, was aus dem dänischen „Håndbold“ abgeleitet worden sein soll, gab es im heutigen Tschechien einen weiteren Handballvorläufer, der von Frauen und Männern gespielt wurde.
„Die dritte einflussreiche Variante aus dem europäischen Ausland hieß ‚Hazena‘ und war bereits 1892 zum ersten Mal im heutigen Tschechien gespielt worden. Die Ähnlichkeiten zum heutigen Hallenhandball sind bemerkenswert: Jede Partei besaß sieben Akteure, die in 2 x 25 Minuten den Sieger ausfochten. Das Feld war 48 x 32 Meter groß, die Tore waren 2,4 Meter hoch und zwei Meter breit, die Strafraumlinie war sechs Meter vom Tor entfernt. Der Einwurf wurde wie beim Fußball vorgenommen. Vor allem aber durften die Spieler bei Alleingängen den Ball höchstens drei Schritt tragen und im Stehen nicht länger als drei Sekunden halten. Danach musste der Ball hochgeworfen oder auf den Boden getippt werden, maximal aber zweimal nacheinander, dann musste der Ball weitergegeben werden“ (Eggers, 2014, S. 18).
Auch in der Ukraine und in der Schweiz (also doch) soll es Spiele gegeben haben, die dem heutigen Handball als Vorbilder gedient haben können. Doch zurück nach Deutschland.
Neben dem Namen Koch ist hier vor allem der von Carl Schelenz, „ … von allen nur als ‚Vater des Handballs‘ bezeichnet …“ (Eggers, 2014, S. 11), zu erwähnen. Doch auch Max Heiser darf nicht unerwähnt bleiben. Der Weg vom Raffball bis zum Handball war – auch aufgrund des Ersten Weltkriegs – jedoch langwierig und führte zunächst zum Torball.
Im Jahre 1915 etablierte Heiser das Torballspiel für Frauen. Es war eine Art Handball, aber ohne Körperkontakt und Zweikämpfe. Der Ball hatte den im Vergleich zu heutigen Handbällen enormen Durchmesser von 71 cm.
Am Montag, den 29. Oktober 1917 um 19.30 Uhr erfolgte schließlich die Geburtsstunde von Handball – zumindest verbal und