Die Vergütung von Betriebsräten. Martina Schlamp
Zusammenhang taucht häufig das Stichwort der „Professionalisierung“212 der Betriebsratstätigkeit auf. Gemeint ist damit die eingangs bereits dargestellte Realität überwiegend in Großbetrieben, die sich in den letzten Jahren stark verändert und zu gesteigerten Anforderungen an die Betriebsratsarbeit geführt hat.213 Wie die Anwendung eines gegenüber der herrschenden Meinung gelockerten Maßstabes bei Auslegung der Vergütungsvorschriften für Betriebsratsmitglieder – bereits auch de lege lata – im Einzelnen aussehen könnte, wurde im Schrifttum bislang nicht näher ausgeführt.
2. Abkehr von dem strengen Maßstab wegen Wandels der Betriebsratsarbeit
Auch wenn sich ein fast einheitlich vertretener strenger Maßstab für die Auslegung und Anwendung des Unentgeltlichkeitsprinzips in Literatur und Rechtsprechung gefestigt hat, muss man sich – 46 Jahre nach der letzten grundlegenden Änderung der Vergütungsvorschriften – dennoch die Frage stellen, ob dies gerade in der heutigen Zeit (noch) zeitgemäß bzw. überzeugend und dem weiterhin uneingeschränkt zu folgen ist. Dabei ist vor allem besonderer Fokus auf den eingangs dargestellten Wandel der Betriebsratsarbeit214 zu legen, der unter Umständen eine Abkehr von dem strengen Maßstab rechtfertigen könnte.
a) Lockerung aufgrund zunehmender Professionalisierung der Betriebsräte
Natürlich verbietet der eindeutige Wortlaut der Vorschrift jede Art von Entgelt für Betriebsratstätigkeit bzw. für das Amt.215 Es ist außerdem unbestritten, dass der Schutzzweck der Norm hier eine sehr bedeutende Rolle einnimmt und eine strenge Auslegung des Grundsatzes nahelegt. Die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit von Mitgliedern des Betriebsrates kann nicht hoch genug bewertet werden. Daneben muss außerdem stets der Gefahr begegnet werden, dass mögliche finanzielle Gesichtspunkte allein zur Motivation für eine Amtsübernahme werden. Das würde nicht nur dem Zweck der Vorschrift zuwiderlaufen, sondern es müsste ebenso im Interesse des Arbeitgebers sein, einen möglichst kompetenten Betriebsrat in seinem Unternehmen zu haben, der sich in seinem Amt engagiert, seine Aufgaben mit entsprechenden Sachkenntnissen bestmöglich erfüllt und sich nicht nur wegen möglicher finanzieller Anreize zur Wahl aufstellen lässt.216
Eine strikte Anwendung der Grundsätze ist daher durchaus sinnvoll.
Bei der Bestimmung des Auslegungsmaßstabes des Unentgeltlichkeitsgrundsatzes kann aber nicht (mehr) nur allein der Schutzzweck der Regelung im Vordergrund stehen. Auch das Berufen auf geschichtliche Hintergründe durch Vertreter der strengen Auslegung, reicht heute nicht mehr aus, einen derart strikten Standpunkt zu vertreten.
Denn bei genauerer Betrachtung lassen sich diese Argumente im Hinblick auf die Professionalisierung der Betriebsräte ebenso gut in ihr Gegenteil verkehren. Zum einen kann die Unabhängigkeit der Amtsträger gleichermaßen durch zu hohe Belastung ohne entsprechende Würdigung oder Ausgleich gefährdet bzw. ihre Tätigkeit negativ beeinflusst sein.217 Das würde auch nicht zur Attraktivität des Amtes für potentielle Nachfolger beitragen. Zum anderen stützen sich Vertreter der strengen Ansichten mit historischen Argumenten zwar auf eine durchaus lange und gefestigte Tradition, zumal das Unentgeltlichkeitsprinzip schon in dem Betriebsrätegesetz von 1920 festgeschrieben war und sogar das RAG eine strenge Auslegung verlangte. Zugleich orientieren sie sich damit aber an Umständen, die beinahe 100 Jahre zurückliegen. Gerade wegen der enormen Veränderungen in Wirtschaft und Industrie nicht nur im letzten Jahrhundert, sondern vielmehr auch wegen der Entwicklungen in den letzten Jahren muss das Unentgeltlichkeitsprinzip umso dringender im Lichte der heutigen Umstände in den Unternehmen betrachtet werden. Betriebsratsarbeit ist zu einer unternehmerisch bedeutenden Tätigkeit, zunehmend in Form von Verwaltungsarbeit, geworden und spielt auch betriebswirtschaftlich eine wichtige Rolle.218 Dass sich in manchen – überwiegend großen – Betrieben jedenfalls ein Wandel hin zu „professionellen“ oder gar „beruflichen“ Betriebsräten vollzogen hat, kann – unabhängig von ihrer Einordnung oder Bezeichnung als „Co-Manager“ o.ä. – nicht mehr in Frage gestellt werden. Die Tätigkeit hat sich deutlich verändert und ist für einige Betriebsräte, gerade für Betriebsratsvorsitzende, in großen Betrieben anspruchsvoller geworden. Es ist mittlerweile sogar so, dass Betriebsratsmitglieder heute nach der Rechtsprechung des BGH auch einer weitergehenden Haftung als der grundsätzlich beschränkten Haftung eines normalen Arbeitnehmers unterliegen.219 Auch wenn an dieser Stelle hierauf noch nicht näher einzugehen ist, bleibt die Tatsache im Hinblick auf den Professionalisierungs- und Verberuflichungsgedanken jedenfalls erwähnenswert. Dass diese Entwicklungen Auswirkung auf den anzuwendenden Maßstab haben (müssen), liegt auf der Hand.
b) Fazit für die Anwendung des Unentgeltlichkeitsgrundsatzes
Im Ergebnis darf wegen der genannten Gründe ein nicht allzu strenger Maßstab an das Unentgeltlichkeitsprinzip angesetzt werden. Die Entwicklungen in den Betrieben lassen ein uneingeschränktes Festhalten an der bislang herrschenden Meinung nicht mehr zu. Das bedeutet allerdings nicht, dass damit das Unentgeltlichkeitsprinzip auf sie nicht anzuwenden wäre und Zahlungen an „professionalisierte“ Betriebsräte automatisch und uneingeschränkt möglich wären. Das würde dem Schutzzweck der Regelung eindeutig zuwiderlaufen. Schließlich darf ein lediglich großzügigerer anzulegender Maßstab auch nicht zu einer Nichtanwendung von gesetzlichen Vorschriften führen. Denn auch weiterhin ist wegen der klaren Regelung in § 37 Abs. 1 BetrVG und der großen Bedeutung des Schutzzwecks der Norm hier Zurückhaltung geboten.
Mit der Abkehr von einer so strikten Anwendung des Grundsatzes ist vielmehr die Möglichkeit eröffnet, eine Auslegung des nach überwiegender Ansicht streng handzuhabenden Unentgeltlichkeitsgrundsatzes vorzunehmen. Erst im Rahmen einer solchen Auslegung wird sich zeigen, ob dadurch in solchen Fällen vielleicht eine großzügigere Beurteilung möglich, vielleicht sogar geboten ist, um dem Wandel der Betriebsratsarbeit gerecht zu werden.
IV. Auslegung des Unentgeltlichkeitsprinzips
Die Befürwortung eines großzügigeren Maßstabes wegen des Wandels der Betriebsratsarbeit führt zu der Frage, welche Auswirkungen diese Annahme auf das Unentgeltlichkeitsgebot des § 37 Abs. 1 BetrVG hat. Selbst Auffassungen, die einen solchen gelockerten Maßstab befürworten, gehen darauf nicht näher ein.
1. Notwendigkeit einer (objektivierten) zeitgemäßen Auslegung
Zunächst lässt die Vorschrift vermuten, dass sie schon wegen ihres klaren Wortlautes keine Ausnahme von dem Unentgeltlichkeitsgrundsatz zulässt. Die Auslegung eines zunächst eindeutigen Gesetzestextes kann aber ebenso wegen eines Wandels der Situation, die der Vorschrift zugrunde liegt, und vor allem wegen des Zeitfaktors erforderlich werden.220 Das wäre insbesondere dann der Fall, wenn sich die tatsächlichen Verhältnisse, die sich der Gesetzgeber bei dem Entwurf der Vorschrift vorgestellt hatte, derart geändert haben, dass die neue Situation mit der jeweiligen Regelung nicht mehr in Einklang gebracht werden kann und (nachträglich) eine neue Bewertung erfordert.221 Eine Anpassung ist allerdings nur dann notwendig, wenn die Schwäche des Gesetzes „evident“ geworden ist.222
a) Neue Fallgruppe „professionalisierter“ Betriebsräte
Die dargestellten Veränderungen in der betrieblichen Praxis haben zumindest in vielen großen Betrieben auch zu einem deutlichen Wandel der Betriebsräte und ihrer Tätigkeit geführt.223 Dass es allein in der Hand des Arbeitgebers liegt, ob bzw. inwieweit sich ein Betriebsratsmitglied (professionell) entwickelt,224 dem ist nicht zuzustimmen. Die Anforderungen an das Amt sind aufgrund unterschiedlicher externer und betrieblicher Einflussfaktoren zunehmend gestiegen. Teilweise finden sich in manchen Betrieben auch Mandatsträger, die über Jahr(zehnt)e im Amt sind und deren Tätigkeit für den Betriebsrat mit der ursprünglichen Idee der ehrenamtlichen Ausübung nicht mehr viel zu tun hat. Bei diesen Betriebsräten handelt es sich vielmehr um eine neue, nachträglich entstandene Fallgruppe, die daher als „professionalisierte“ oder „verberuflichte“