Sandmann (eBook). Tommie Goerz

Sandmann (eBook) - Tommie Goerz


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Blut. Behütuns konnte nicht hinsehen. Sie schoben die Trage in den Wagen, fuhren behutsam an, nur Blaulicht, kein Tatütata. Der Arzt trat hinaus, bleich wie ein Laken, Hände und Hose rot. Aus dem Haus heraus roch es nach Schlachthaus, der Geruch von warmem Fleisch und Blut.

      »Kommt sie durch?«

      Er zuckte erneut mit den Schultern. Dann, sehr leise, fast matt: »Vielleicht besser nicht, so wie der Kopf aussieht.« Zwei Sanitäter kamen heraus, tappten durch die Lachen, wischten sich die Sohlen im Gras neben der Mülltonne ab.

      »Können Sie schon etwas sagen?«

      Der Arzt sah ihn fragend an. »Was meinen Sie?«

      »Zur Tatwaffe, meine ich.«

      »Ein Messer, so wie es aussieht. Ein großes Messer.«

      Behütuns presste die Lippen zusammen. »Haben Sie irgendwo eines gesehen?«

      Der Arzt schüttelte den Kopf. »Nichts, nein.«

      »Gut, danke. Ist noch jemand im Haus?«

      »Der Mann.« Er deutete mit dem Kopf Richtung Küche. »Steht unter Schock. Werd mich gleich um ihn kümmern.« Behütuns hielt ihn zurück.

      »Nicht da drin, besser, Sie bringen ihn raus, in den Wagen der Streife.« Der Notarzt verstand, die drei von der Spurensicherung nickten. Zwei Sanitäter, die Ärztin, der Notarzt, der heimgekommene Mann – alle waren durch das Blut gelaufen, hatten Personen bewegt, den Tatort verändert, Spuren verwischt, Blut verschmiert. Das würde ein schwerer Job.

      »Das Kind?«

      »Erst die Spurensicherung. Dann die Leiche.« Auch Behütuns ging nicht weiter hinein als einen Schritt in den Gang. Nicht noch mehr Spuren verwischen oder unnötige hinterlassen. Er warf einen Blick auf das Kind. Es lag vor der Wohnzimmertür, Blutspritzer an Wand und Türstock, blutige Schmierer. Er wandte sich ab. Auf sein Nicken hin kamen die Kollegen von der Spurensicherung zur Haustür, ganz in Weiß.

      »Führt ihr den Mann erst noch raus?« Behütuns deutete zur Küchentür. Sie übergaben den Mann dem Notarzt. Behütuns reichte einem der drei seine Karte hin. »Ihr ruft mich an, sobald ihr etwas habt?«

      »Klar.«

      »Und wenn es mitten in der Nacht ist.«

      Der von der Spurensicherung steckte die Karte ein. »Okay, machen wir.«

      Der Arzt war inzwischen mit Rothlauf draußen, Behüt­uns folgte den beiden zum Streifenwagen, sie bugsierten den Mann auf den Beifahrersitz.

      Der Notarzt streifte sich die Handschuhe ab. »Wollen Sie erst? Aber nur kurz.«

      Behütuns tippte sich an die Stirn. »Ja, lassen Sie mich erst.« Er stieg zu Rothlauf in den Wagen, setzte sich neben ihn, schwieg.

      Der Mann starrte hinaus. Apathisch.

      Draußen standen Nachbarn und glotzten. Behütuns ließ das Fenster herunter und scheuchte sie weg. Er rang noch um einen Anfang. »Sie sind Benedikt Rothlauf?«

      Der Mann starrte weiter hinaus, schwieg. Er hatte Blut an den Händen, an der Hose, Spuren im Gesicht. Er schien nicht ganz bei sich.

      »Die Musik ...«, sagte er.

      Behütuns ließ ihn erst mal, noch war er viel zu weit weg.

      »Diese Musik ... dieses Lied ...«, stammelte er wieder.

      Behütuns sah ihn an. »Welche Musik?«

      Rothlauf saß da wie sich selber fremd. »Eine Spieluhr ...«

      Der Kommissar gab ihm Zeit. Rothlauf atmete, als bekäme er nur schlecht Luft. »Diese Musik ... diese Spieluhr an der Garderobe ... sie lief ... und spielte ... diese Melodie ...«

      »An der Garderobe hing eine Spieluhr, die lief, als Sie heimkamen?«

      Der Mann nickte, weit, weit weg.

      »Einen Moment bitte.« Behütuns stieg aus und winkte den Arzt zu sich, der draußen im Regen stand und wartete. »An der Garderobe soll eine Spieluhr hängen. Könnten Sie bitte der Spurensicherung sagen, dass die wichtig ist?« Der Arzt nickte und ging hinüber, Behütuns stieg zurück in den Wagen. Sagte nichts, wartete.

      »Welches Lied?«, fragte er nach einer Weile.

      Der Mann zuckte mit den Schultern.

      »Sie kennen es nicht?«

      Er schüttelte den Kopf.

      »Aber die Spieluhr ist Ihnen bekannt?«

      Er schüttelte noch immer den Kopf.

      »War es eine Spieluhr von Ihrem Sohn?« Kinder haben immer Spieluhren, dachte er sich, vor allem, wenn sie klein sind. Zum Einschlafen. Man hängt sie ihnen übers Bettchen, damit sie Ruhe geben. Aber eigentlich hatte er keine Ahnung von kleinen Kindern. Nicht die geringste.

      »Kann ich nicht sicher sagen, aber diese Melodie ... Wir haben ein paar Spieluhren im Haus, aber die kannte ich nicht. Vielleicht war sie neu ... dass meine Frau ...«

      Behütuns wartete ab. Draußen huschten Menschen hin und her, langsam beschlug die Scheibe. Der Regen klackerte aufs Blechdach, lief die Scheiben hinunter, hinterließ Spuren. Da drehte Rothlauf den Kopf. »Sie können ruhig mit mir reden.« Urplötzlich wirkte er ganz gefasst.

      Behütuns sagte nur: »Erzählen Sie.« Ihm war, als ob der Regen anschwoll. Längst war es vollständig Nacht geworden, der Himmel auch im Westen jetzt schwarz, Wind trieb die prasselnden Tropfen vor sich her. Scheißjahreszeit. Der Mann räusperte sich. »Ich war in München, beruflich, ein Führungskreis-Meeting des Hotels. Ich arbeite im Acom. Kam direkt vom Bahnhof ...«

      »Wann sind Sie in Nürnberg angekommen?«

      »Kurz vor drei, genau um 14:58 Uhr.«

      »Pünktlich? Also, ich meine fahrplanmäßig?« Behütuns versuchte so etwas wie ein normales Gespräch zu führen, um den Mann hierzubehalten, präsent. Dass er nicht wieder abdriftete in seinen tranceartigen Zustand.

      Rothlauf musste nicht überlegen. »Ja, der Zug war pünktlich.«

      »Erzählen Sie weiter.«

      Der Mann schien doch wieder abzudriften, war verwirrt, kein Wunder. »Was ... wo ... was wollten Sie wissen?«

      »Zum Beispiel, wie Sie hierherkamen. Vom Hauptbahnhof aus. Sie nahmen ein Taxi, sagten Sie?«

      »Ja.« Rothlauf schluckte, kämpfte sichtlich gegen die Bilder, die zurückkehrten, die er nie hatte sehen wollen, die ihn aber sein Leben lang nicht mehr loslassen würden. Solche Bilder waren nicht zu löschen. Das würde noch hart werden für ihn. »Ich komme heim, mach die Tür auf ... da lag Max ... unser kleiner Max ... auf dem Bauch ... und im Blut ... überall Blut. Irgendwie hab ich gewusst, dass er tot war. Gleich, sofort in dem Moment. Ich bin zu ihm hin, hab ihn angehoben, umgedreht ... das Gesicht ... sein Gesicht war ... weg ... kein Gesicht mehr. Ich glaube, er hat noch geröchelt. Und dann lief die Spieluhr ... die lag da ... hing da ... Ich habe ihn gerufen, vielleicht auch geschrien, ihn geschüttelt, versucht, ihn wachzukriegen. Dass er zu sich kommt. Aber er reagierte nicht. Sein Kopf ...« Rothlauf sah auf seine Hände. »Da war ... nur Blut.« Er machte eine kurze Pause. »Vielleicht hab ich nach Clara gerufen, meiner Frau, ich weiß es nicht.« Er stoppte. »Dann bin ich ins Wohnzimmer ... musste über den Kleinen steigen, über Max ... all das Blut ... und da lag sie. Auf dem Teppich ... auch überall Blut. Sie röchelte. Bewegte ihre Augen ... aber sah mich nicht ... blickte so ... leer ... als wollte sie einschlafen.«

      Er suchte nach der Fortsetzung. Dann schüttelte er heftig den Kopf, wie um das alles loszuwerden. »Weiter weiß ich nichts. Ich bin ... ich weiß es nicht ... irgendwann hab ich das Telefon irgendwie ... ich war so hilflos, bin ja kein Arzt. Hatte keine Ahnung, was ich hätte tun können ... sollen ... müssen.«

      Behütuns wartete ab, wusste auch nicht, was sagen.

      »Dann hat es ewig gedauert, bis das erste Martinshorn ... und Clara


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