Sandmann (eBook). Tommie Goerz

Sandmann (eBook) - Tommie Goerz


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haben wir heute Nacht noch gar nicht begonnen. Erst einmal muss sie mit den übrigen Verletzungen einigermaßen fertigwerden. Aber wenigstens ist der Zustand der Patientin jetzt halbwegs stabil.«

      In Behütuns keimte eine Vermutung auf, er wollte jedoch abwarten, was der Arzt dazu sagte. »Wie erklären sich diese Handverletzungen?«

      Dr. Kinkel musste nicht überlegen. »Ich bin kein Gerichtsmediziner, aber ich tippe auf Abwehrverhalten. Allerdings«, es entstand erneut eine kurze Pause, »die anderen Verletzungen, Stiche in Schulter, Rücken und Bauch, waren für uns gravierender. Wir mussten Venen flicken, auch den Darm, ein Stich ging in die Leber, mit immensen Blutungen in den Bauchraum. Sie wäre uns zweimal fast weggeknickt, allein schon wegen des Blutverlustes. Wollen Sie eigentlich einen Kaffee?«

      Behütuns winkte ab, er war froh, dass der, den er schon hatte, dort blieb, wo er war.

      »Wissen Sie, meine Kolleginnen und Kollegen, die bei der OP dabei waren, und ich, wir erklären uns das so: Die Frau hat den Angreifer gesehen und ist auf ihn zu. Deshalb trifft sie der erste Stich mit voller Wucht. Sie sieht ihn mit dem Messer auf sich zukommen, sieht, dass er zustechen will, und nimmt zum Schutz instinktiv die Hände vors Gesicht. Dieser Stich zertrümmert ihr die Finger der Hand, dringt hindurch und tief ins Auge ...«

      Behütuns winkte ab, sein Magen. Kinkel konnte sich ein leises Lächeln nicht verkneifen.

      »Nur eines noch: Wie viele Stiche waren es insgesamt?«

      »Sieben oder acht. Zum Teil bis zu dreißig Zentimeter tief.«

      Behütuns sah auf die Uhr, ein reiner Fluchtreflex. »Sagen Sie, kriegen wir das alles auch noch schriftlich?«

      Der Arzt schaute recht skeptisch. »Zu den Verletzungen kriegen Sie einen medizinischen Bericht, zu meinen Vermutungen nicht, dazu sind wir hier die Falschen. Aber wenn Sie mir einen Gerichtsmediziner vorbeischicken, die können so etwas viel besser, ja, mit dem kooperiere ich gern. Außerdem lerne ich dann noch etwas.«

      Behütuns bedankte sich und fuhr hinüber zum Jakobsplatz ins Präsidium, berichtete den Kollegen, die auch schon weit vor der Zeit im Büro aufgetaucht waren. Sie teilten sich auf. Dick wollte sich auf die Suche nach dem Taxifahrer machen, die Angaben von Rothlauf überprüfen, und P. A. wollte mit Rothlauf selbst sprechen, falls dieser schon dazu in der Lage war. Am besten im Beisein eines Arztes oder Psychologen, wenn ihn einer betreute. Ihn befragen zu eventuellen familiären oder privaten Hintergründen. Verbrechen im Familienkreis waren oft durch Beziehungsgeschichten motiviert, sagte das Lehrbuch. P. A. wollte versuchen, das auszuloten. Und auch herausfinden, ob sich im Haus Wertgegenstände befanden bzw. befunden hatten. An den Tatort zurück konnten sie mit ihm noch nicht. Die Spurensicherung hatte zwar die Nacht durchgearbeitet, aber ob die schon fertig waren, wussten sie nicht, und dann käme erst noch der Reinigungstrupp. Dessen Arbeit mussten sie in jedem Fall noch abwarten, bevor sie mit Rothlauf ins Haus konnten, um zu überprüfen, ob eventuell etwas entwendet worden war. Auch das konnte ja ein Motiv sein.

      Behütuns selbst wollte im Büro bleiben, eventuelle Anrufe der zehn Kollegen, die die Nachbarschaftsbefragung und die Suchaktion durchführten, entgegennehmen und den Kontakt zur Spurensicherung halten. Die rief auch prompt an, kurz nachdem Dick und P. A. sich auf den Weg gemacht hatten.

      »Kommissar Behütuns, sind Sie dran?«

      »Ja.«

      »Bestvater hier, Erwin Bestvater, Spurensicherung.«

      »Ja?«

      »Wir sind gestern Nacht so weit fertig geworden, bis auf draußen, seit sieben ist der Reinigungstrupp drin. Denke, dass Sie ab morgen früh mit dem Hausherrn reinkönnen. Wenner’s packt.«

      Auch die von der Spurensicherung hatten sich einen manchmal etwas groben Humor zur Abwehr des Schrecklichen zugelegt. »Sah – und sieht – ganz schön wüst aus dort. Drei Sachen bräuchten wir allerdings noch.«

      »Ja?«

      »Die DNA von allen, die hier zugange waren, also von den Sanis, den Notärzten, dem Hausherrn, auch von Ihnen.«

      »Okay, kann ich veranlassen. Das Zweite?«

      »Die Abdrücke der Schuhe aller, die da durchgelaufen sind, also von derselben Klientel. War ja alles verschmiert da, Spuren über Spuren. Und das Dritte: die Fingerabdrücke aller. Damit wir das irgendwie auf die Reihe kriegen. Wir haben alles aufgenommen, wird ein ganz schönes Gepuzzle werden.«

      »Kümmer ich mich drum. Was können Sie mir bis jetzt schon sagen?«

      Am anderen Ende machte es nur »Pfff«. Und dann folgte: »Niggs Gwieß nunni. Aber«, jetzt wurde Bestvater wieder sachlich, »so viel zumindest: Der oder die Täter haben das Haus erst kurz vor dem Eintreffen von Rothlauf verlassen. Eher der Täter oder die Täterin.«

      Behütuns verstand. »Sie gehen also von nur einer Person aus.«

      »Right.«

      »Können Sie sagen, ob vielleicht etwas mitgenommen wurde? Schubladen geöffnet oder so, ob der Täter vielleicht etwas gesucht hat?«

      Wieder kam dieses »Pfff«, bevor er antwortete. »Genau dafür brauchen wir ja die DNA und die Fingerabdrücke. Zum Abgleich. Aber Schubladen oder Schränke standen auf jeden Fall nicht offen.«

      »Okay, verstanden. Und wie lange dauert es dann, wenn Sie von uns alles haben, Fingerabdrücke und so, bis Sie Ergebnisse haben?«

      »Vier, fünf Stunden würde ich sagen.«

      »Gut, ich veranlasse das. Danke einstweilen.«

      »Langsam, langsam«, bremste Bestvater, der wohl befürchtete, Behütuns wolle schon wieder auflegen, »der Täter ist höchstwahrscheinlich, das aber noch unter Vorbehalt, hinten raus, über die Terrassentür. Sie war nur eingeschnappt, nicht verschlossen. Was ungewöhnlich ist für diese Jahreszeit.« Stimmt, fiel es Behütuns ein, Bestvater hatte eingangs gesagt »bis auf draußen«.

      »Und, was gefunden?«

      »Ja und nein. Ja: Wir haben auf der Terrasse einen kleinen Rest Blut gefunden, aber nur an einer Stelle. Entweder, der Täter war nur auf einen Schritt draußen, oder er hat sich die Schuhe ausgezogen, bevor er fort ist. Und nein: Am Griff der Terrassentür sind die Spuren verwischt, an der Scheibe nur Spritz- und Schleifspuren, die auf das Opfer zurückzuführen sind. Sie scheint daran heruntergerutscht zu sein. Auch ein paar Reste an den Beschlägen, ist uns noch nicht klar, wie die da hingekommen sind. Für draußen sollten Sie vielleicht noch mal einen Hund hinschicken, vielleicht findet er etwas, wir haben nichts gefunden, auch nicht im Garten. Aber bei dem Wetter gestern, wie das immer wieder geschüttet hat zwischendurch – das hat dem Täter gut in die Karten gespielt. Am Rest sind wir dran. Vielleicht ergibt sich ja noch was. Das war’s so weit von meiner Seite.«

      »Danke. Eins noch. Die Spieluhr. Wurde die sichergestellt?«

      »Ja. Hat Wischspuren am Gehäuse, ebenso am Band, also an dem, womit sie aufgehängt wird, so ne Art Schlaufe. An der Schnur, an der sie aufgezogen wird, nicht.«

      »Komisch.«

      »Ja, schon komisch. Scheint erst im Nachhinein an die Garderobe gelangt zu sein. Aber auch hier: Wir können die Spuren noch nicht zuordnen, die Mikroanalyse steht noch aus.«

      »Was spielt sie denn für ein Lied?«

      »Keine Ahnung.«

      »Kriegen Sie das raus?«

      »Sollten wir, ja.«

      »Dann rufen Sie mich bitte sofort an.«

      »Selbstverständlich.« Bestvater klang etwas verwundert.

      »Sie soll noch gelaufen sein, als Rothlauf in das Haus kam.«

      Jetzt hörte er nur ein Pfeifen, Bestvater hatte verstanden. Sie legten auf.

      •

      Behütuns rief umgehend P. A. an. »Wo bist du?«

      »Bei Rothlauf. Besser gesagt bei seiner


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