Sandmann (eBook). Tommie Goerz

Sandmann (eBook) - Tommie Goerz


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wahrscheinlich stand er auf dem Balkon. »So, jetzt.«

      »Wo wohnt die Schwester von Rothlauf?«

      »In der Südstadt, Kopernikusstraße.«

      »Gut. Und wie wirkt er so?«

      »Gefasst.«

      »Wir brauchen seine DNA, seine Fingerabdrücke und einen Abdruck der Schuhe, die er gestern getragen hat. Brauchen wir von allen, die gestern anwesend waren.«

      »Okay, wir kümmern uns. Hab grad mit Dick telefoniert.«

      »Und?«

      »Er hat den Taxifahrer schon gesprochen, die Zentrale hat ihn gleich gefunden. Ein Ali Gündür. Die Angaben und Zeiten stimmen überein, Rothlauf hat mit Karte bezahlt, war eine Dienstfahrt. Zwischen dem Bezahlen und dem Eingang seines Anrufs liegen nur ein paar Minuten.«

      »Konkret?«

      »Die Bezahlung erfolgte laut Protokoll um 15:17 Uhr. Der Notruf ging exakt um 15:25 Uhr ein.«

      »Das sind immerhin acht Minuten. Könnte theoretisch ausreichen für die Durchführung der Tat.«

      »Hat denn die Spurensicherung die Tatwaffe gefunden?«

      »Keine Ahnung, haben sie noch nichts dazu gesagt.«

      »Das Messer müsste ja noch im Haus sein, wenn es Rothlauf war. Und viel Zeit hat er nicht gehabt, es zu verräumen, die Rettungsdienste waren um 15:33 Uhr da, die ersten Kollegen von der Streife immerhin schon 15:30 Uhr.«

      »Ich ruf Bestvater noch mal an.«

      Sie beendeten das Gespräch. Zwischen eins und zwei wollten sich die drei im Präsidium wieder treffen, um fünfzehn Uhr erwarteten sie die Berichte der Kollegen zur Nachbarschaftsbefragung, für sechzehn Uhr war erneut eine Pressekonferenz anberaumt. Von den Kollegen draußen hatte sich noch keiner gemeldet. Schlechtes Zeichen.

      Behütuns rief Bestvater an, der verneinte. »Nein, nichts gefunden, im ganzen Haus nicht.«

      »Wenn die Tatortreiniger gehen, sollen sie das Haus versiegeln.«

      »Sowieso.« Das Gespräch war beendet.

      Den Schuhabdruck, ein Wattestäbchen mit Speichel für die DNA und seine Fingerabdruckdaten hatte er zwischendurch schon zur Spurensicherung hinübergeschickt. Er trug noch dieselben Schuhe wie gestern, völlig ausgelatscht, mit abgetretenen Sohlen. Eigentlich peinlich. War es ihm aber nicht.

      •

      Um halb zwei waren Dick und P. A. wieder zurück. Erst kam P. A., keine fünf Minuten darauf Dick. Beide wirkten abgekämpft.

      »DNA-Proben, Schuhabdrücke, Fingerabdrücke – alles erledigt.«

      »Respekt.« Behütuns sah aus dem Fenster. Draußen war es grau, es nieselte inzwischen, aber der Wind hatte sich gelegt. Klassisches Novemberwetter, schön für den, der es mag, nicht so schön für den weitaus größeren Teil der Bevölkerung. Eher grässlich. Die drei hatten keine Gelegenheit, sich darüber Gedanken zu machen. Behütuns hatte drei Pizzas geordert, die Kartons lagen offen auf dem Tisch, und die drei langten zu. Direkt mit den Fingern. Der typische Lieferservice-Pizzageruch hing warm und käsig im Raum. P. A. und Dick berichteten.

      »Also, Rothlauf ist dreiundvierzig und Hotelfachwirt, Hotelmanager, arbeitet drüben im Acom, Leipziger Platz. War dienstlich in München, Kollegen haben das bestätigt. Ein Meeting des Leitungskreises Nürnberg, München, Stuttgart. Ist mit dem Zug hingefahren, auch zurück, ICE-Ticket liegt vor.« Zwischendurch schob er sich immer einen Bissen Pizza in den Mund, der Käse zog Fäden. »Hat am Bahnhof ein Taxi genommen, die Zeiten stimmen mit den Angaben des Taxifahrers überein. Er hat keine Ahnung, wer so etwas machen könnte oder warum. Er ist politisch nicht aktiv, hat angeblich mit niemandem Streit. Er spielt nicht, hat keine Schulden außer den Kredit fürs Haus. Den kann er aber mit seinem Gehalt locker bedienen. Außerdem arbeitet seine Frau auch. Sie ist ... war ... ist Marketingfachfrau, in der Abteilung für irgendein Krebsmittel von Nosertas, dieser Pharmakonzern drüben in Gostenhof. Weltunternehmen. Halbtags.«

      »Die Pizza ist total matschig«, maulte Dick mit vollem Mund.

      »Aber besser als nichts.«

      »Rothlauf hatte laut eigenen Angaben keine Affären, nichts, keine Seitensprünge, ganz normale bürgerliche Familienverhältnisse.«

      »Und seine Frau?«

      »Nicht, dass er davon wüsste oder gewusst hätte. Sie sei treu gewesen, sagt er.«

      »Clara Rothlauf hat eine Lebensversicherung, fünfhunderttausend Euro. Über die Firma, ist da so üblich. Läuft schon seit über zehn Jahren, also nichts erst vor Kurzem Abgeschlossenes.«

      »Na ja, ist viel, aber so richtig viel auch wieder nicht ...«

      »Mir tät’s reichen.« Was redete er für einen Quatsch, wurde ihm im gleichen Augenblick bewusst. Er war ja sogar Millionär, seit er Julies Haus drüben in der Bretagne verkauft hatte. Wussten die Kollegen aber nicht, mussten sie auch nicht wissen, und selbst er verdrängte es immer wieder. Aktiv. Denn Geld verdirbt den Charakter, und wenn man immer daran denkt, dass man viel hat, auch noch das Leben. Dann kommt man nur auf dumme Gedanken. Das war es nicht wert. Er war Beamter, und dabei blieb es. Punkt. Und er brauchte nicht viel.

      »Und sollte sie’s nicht überleben?«

      »Dann kriegt er die Summe ausbezahlt.«

      •

      Pünktlich um fünfzehn Uhr waren die zehn von der Streife im Besprechungszimmer. Es war eng, der Raum viel zu klein, zudem brauchte Kugler Platz für zwei. Er schwitzte, aber roch nicht. Immerhin.

      »Machen wir nicht lange rum«, eröffnete Behütuns die Besprechung. »Was haben Sie?«

      Kopfschütteln, Schweigen.

      »Nichts. Wir haben bislang nichts Brauchbares gefunden.« Sie hatten ihre Ergebnisse untereinander schon abgeglichen.

      »Wir haben sämtliche Anwohner der kleinen Siedlung, alle aus der Lachfelderstraße und etliche aus der Schiestlstraße befragt, soweit wir sie angetroffen haben. Nichts. Keiner hat was gesehen, niemandem ist etwas aufgefallen. ›Bei so einem Wetter ist man doch nicht auf der Straße‹, haben wir öfter gehört, und: ›Da schaut man ja auch nicht raus, macht bloß depressiv.‹ Haben ja auch recht, die Leute. Im Fernsehen ist schöneres Wetter.«

      In die Briefkästen der Haushalte, wo sie niemanden antrafen, hatten sie Wurfzettel eingeworfen, Kugler reichte Behütuns eines der Infoblätter. War gut gemacht, sah fast professionell aus.

      »Sie?«, fragte ihn Behütuns.

      »Was ich?«

      »Den Wurfzettel, haben Sie den gemacht?«

      Kugler grinste. »War ne Gemeinschaftsarbeit.«

      Behütuns nickte, die Antwort gefiel ihm. Der Mann versuchte nicht, unverdientes Lob einzufahren. »Haben sich irgendwelche Personen auffällig benommen?«

      Allgemeines Kopfschütteln. »Nicht anders als immer, wenn die Polizei plötzlich vor der Türe steht.«

      »Und wie sieht’s außenrum aus, also im Garten, hinterm Haus, auf dem Weg, nähere Umgebung?« Vielleicht hatten sie ja die Tatwaffe gefunden? Sicher nicht, das hätten sie längst gesagt.

      »Wir haben die Nachbargärten abgesucht, den Weg, der hinten entlangführt, sind im Acker herumgestapft, aber nichts, auch nicht am Weg hinten, der in den Wald führt, wir haben den ganzen Friedhof durchkämmt ...« Er zuckte mit den Schultern, zeigte die leeren Handflächen. »Ein paar Tempotaschentücher, ein paar Bonbonpapiere, ne Flasche, die lag aber schon länger da, so wie das Etikett aussah, sonst nichts. Dazu der Inhalt der Mülleimer vom Friedhof – ist alles schon im Labor.«

      »Okay, also unterm Strich bisher n Schuss in’n Ofen. Trotzdem: Machen Sie bitte weiter, bis Sie alle Anwohner und Nachbarn persönlich angetroffen haben. Jeder noch so kleine Hinweis kann


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