Sandmann (eBook). Tommie Goerz

Sandmann (eBook) - Tommie Goerz


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vor einem Jahr hin und wieder ein Treffen?«

      Rothlauf knetete sich die Hände. »Darf ich Ihnen etwas zeigen?«

      »Nur zu.«

      Rothlauf fingerte sein Handy aus der Hosentasche, schaltete es ein, touchte und scrollte ein wenig auf dem Screen herum und reichte es dann Behütuns hinüber. Dick und P. A. warteten ab. »Eine SMS«, erläuterte Rothlauf. Behüt­uns las.

      Du Hund, das wirst du mir büßen! Mich so schäbig abzuservieren! SO lässt man mich nicht sitzen, NIEMAND! Das lass ich mir nicht gefallen. Du kommst zurück oder ich sprech mit deiner Frau! Und mir fällt noch viel mehr ein!! Gnade dir Gott. Emmi.

      Rothlauf wollte das Handy wieder an sich nehmen, Behüt­uns aber zog seine Hand zurück und behielt es. »Von wann ist das?«

      »Das Datum steht mit dabei.«

      Behütuns sah auf das Display, scrollte. 12.11. »Gestern?«

      »Vor einem Jahr.«

      »Auf den Tag genau?«

      »Auf den Tag genau.«

      »Meinen Sie, das hat etwas zu bedeuten?«

      Rothlauf zuckte mit den Schultern.

      »Würden Sie Frau Panzoni so etwas zutrauen?«

      »Emmi? Dass sie meine Frau ...? Und Max ...?« Er hatte Scheu, es auszusprechen. »Fragen Sie mich das bitte nicht.« Er drückte sich um eine Antwort, doch Behütuns beharrte darauf, wartete ab. Er sah, wie es in Rothlaufs Kopf arbeitete. Nach wenigen Sekunden antwortete er dann doch, mit erstaunlich fester Stimme.

      »Ja.«

      »Warum meinen Sie?«

      »Sie konnte eine sehr rabiate Frau sein. War eine sehr rabiate ... oder bestimmende ... eigenwillige ... auch im Bett, wenn Sie verstehen, was ich meine. Das war ja der Reiz. Ich habe so etwas zuvor nie erlebt, sie war unglaublich. Zärtlich, liebevoll, brutal ...«

      Behütuns ging nicht weiter darauf ein, das war jetzt dann doch zu privat. Vielleicht würde er später noch einmal da­rauf zurückkommen müssen. Allerdings hatte er das Gefühl, Rothlauf hätte gerne mehr davon erzählt, er schien beinahe ein wenig stolz darauf zu sein, so unter Männern. Doch Behütuns schrieb das seinem Ausnahmezustand zu, vielleicht wollte er auch bloß ausweichen, auf ein Thema, das nicht so schmerzhaft für ihn war. Aber er machte sich eine Notiz, vielleicht würde er mit Dr. Hartung, dem Psychologen, einmal darüber reden, er wollte besser verstehen, was in einem Menschen nach so einem Schicksalsschlag vor sich ging oder gehen konnte. Oder in einem Täter.

      Rothlauf war verstummt.

      »Zurück zu Ihnen. Wir müssen uns von den Vorfällen und Umständen ein möglichst genaues und lückenloses Bild machen, deshalb habe ich Sie von den Kollegen noch einmal herbitten lassen. Danke, dass Sie gekommen sind.«

      Rothlauf nickte leicht irritiert.

      »Ich bitte Sie um Verständnis, dass wir Ihnen diese Fragen stellen mussten. Sie gelten für uns, damit Sie das bitte nicht falsch verstehen, vorerst nicht als verdächtig, aber wir müssen ergebnisoffen in alle Richtungen ermitteln und brauchen einfach Klarheit.«

      Rothlauf sah nur vor sich auf den Tisch.

      »Deshalb würden wir Sie bitten, uns noch einmal den gesamten Ablauf der Reihe nach und so exakt wie möglich zu schildern, am besten ab dem Punkt, als Sie das Taxi verlassen hatten, bis zum Eintreffen der Rettungskräfte.«

      Schlagartig wirkte Rothlauf hilflos. Er sah die drei der Reihe nach an und sagte nichts.

      »Herr Rothlauf ...«

      »Ja.«

      Es klopfte an der Tür, sie wurde einen Spaltbreit geöffnet, und ein Kollege steckte den Kopf herein.

      »Jetzt nicht«, fuhr Behütuns ihn unwirsch an. P. A. erhob sich und ging hinaus, schloss die Tür leise hinter sich.

      »Herr Rothlauf!«

      Es hatte wieder stärker zu regnen begonnen draußen, vielleicht schon seit Längerem, doch Behütuns nahm es erst jetzt wahr. Es schien sogar zu stürmen, Regentropfen liefen an der Scheibe herunter.

      Rothlauf begann zu berichten. Stockend. »Ich hab die Tür aufgeschlossen und bin rein und ... schon mit dem Eintreten sah ich Max dort liegen. Ich dachte erst, er wäre gestürzt ... schlimm gestürzt ... und als ich die Tür schloss ... oder ... ich weiß nicht, auf jeden Fall ...«

      »Bitte überlegen Sie genau«, warf Behütuns beinahe mitfühlend ein, »es ist für uns sehr wichtig. Haben Sie die Haustüre hinter sich zugemacht? Beziehungsweise wie haben Sie sie zugemacht?«

      Rothlauf sah ihn verzweifelt an. »Ich weiß es nicht. Da achtet man in so einer Situation doch nicht darauf.«

      »Sie gingen also zu Ihrem Sohn.«

      »Ja, sofort. Und ich rief nach meiner Frau, nach Clara.«

      Die Tür ging auf, und P. A. kam wieder herein, setzte sich zurück an seinen Platz, Dick warf ihm einen fragenden Blick zu, P. A. aber legte den Finger auf den Mund.

      »Sie gingen also sofort zu Ihrem Sohn?«, hakte Behütuns nach, denn Rothlauf schwieg.

      »Ja. Er lag auf dem Bauch, in lauter Blut. Ich sah sofort, dass ... etwas ganz Schlimmes ... etwas nicht stimmte ... dass er tot war. Ich weiß nicht warum, aber irgendwie wusste ich es sofort. Im selben Augenblick, in dem ich ihn sah. Und dann lief diese Spieluhr.«

      Der Kommissar ging nicht darauf ein. »Hat Ihr Sohn noch irgendeinen Laut von sich gegeben?«

      Der Mann sah ihn etwas begriffsstutzig an. »Nein, ich sagte doch, ich wusste sofort, dass er tot war. Ich sah das, fragen Sie mich nicht, warum. Ich war ... wie ... gar nicht richtig da. Als ob ich neben mir stehe.«

      »Max hat nicht geröchelt?«

      »Nein, wie kommen Sie darauf?«

      »Bitte überlegen Sie genau, auch wenn es wehtut. Oder erinnern Sie sich nicht?«

      »Ich? Doch.«

      »Sind Sie sich sicher, dass Sie zuerst Ihren Sohn gesehen haben?«

      Rothlauf sah ihn etwas verdutzt an. »Ich habe Max gesehen und bin sofort zu ihm.«

      »Und er war tot, hat nicht geröchelt?«

      Jetzt wurde Rothlauf leicht ungehalten. »Warum immer diese Frage? So wie er dalag ... ich hab Ihnen doch gesagt, ich ... irgendwie wusste ich sofort, dass er tot war, sofort, als ich ihn sah ...« Er stockte. Merkte, dass das komisch klang. Wie kann man wissen, dass jemand tot ist, wenn man ihn nur daliegen sieht? Aber es kam nichts mehr.

      Behütuns ließ ihm Zeit. »Aber Sie sagten mir bei unserem ersten Gespräch im Auto, wenn Sie sich erinnern, Max habe noch geröchelt.«

      »Quatsch.« Er schlug erschöpft die Augen nieder, schnaufte. Plötzlich nahm er ruckartig den Kopf wieder hoch, wirkte wütend. »Sagen Sie, was wird das hier eigentlich? Wollen Sie mich verhören? In Widersprüche verwickeln? Ich stehe also doch unter Verdacht!« Er war fast etwas laut geworden.

      Behütuns winkte beschwichtigend ab. »Nein, wir befragen Sie, weil wir uns, wie ich Ihnen sagte, ein sehr genaues Bild machen müssen. Zwischen Ihrem Bezahlvorgang im Taxi und Ihrem Anruf bei der 110 liegen acht Minuten. Eine ziemlich lange Zeit. Wir müssen wissen, was in diesen acht Minuten alles geschehen ist.«

      »Also stehe ich unter Verdacht.«

      Der Kommissar sah kurz auf die am Fensterglas herabrinnenden Tropfen und half Rothlauf wieder zurück zu seinem Bericht. »Sie sahen also Ihren Sohn, wussten sofort, dass er tot war, hoben ihn trotzdem auf, er röchelte oder nicht, und dann gingen Sie ins Wohnzimmer, suchten Ihre Frau?«

      Rothlauf wischte sich über die Stirn. »Ja, und dazu ... dazu musste ich über Max steigen ... über das Blut ... sogar hinein, ich konnte gar nicht anders ... es war ... fürchterlich.« Man spürte,


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