Sandmann (eBook). Tommie Goerz
ich, ja. Sehr schön, damit bin ich auch schon gefahren.« Mit Luna war das gewesen, vor vielen, vielen Jahren. Und im Hinterland von Palma, durch die die Bahn wie durch einen riesigen Garten rumpelte, hatte er auf einem der Bäume damals seinen ersten Wiedehopf gesehen! Und in Puerto de Sóller hatte er diese süße Blutwurst bekommen – zum Dessert! ... Nein, das war auf Teneriffa gewesen. Er holte sich zurück in die Wirklichkeit. In diesem Urlaub hatte ihre Beziehung schon zu kriseln angefangen. Weil er immer wieder mit Nürnberg telefonierte, sich informierte und mit seinen Gedanken bei einer Ermittlung seiner Kollegen war. Mit Jaczek damals noch, dem ewigen Zuspätkommer und Permanentwelterklärer, dem Übergenauen und Lachunfähigen. Aber er hatte ihn gerngehabt. Jetzt führte Jaczek ... die Frau am Telefon unterbrach ihn endgültig in seinen Gedanken. Er wunderte sich immer wieder, wie viel einem das Hirn innerhalb weniger Sekunden präsentieren konnte – und das auch noch in Farbe ...
»Wissen Sie ... aber das darf sie nie erfahren, wirklich nicht, dass ich Sie angerufen habe ... in diesem Urlaub hat Emma den Beni kennengelernt, also den Benedikt Rothlauf, dessen Frau und Kind jetzt ...« Sie brach ab.
Behütuns wartete, sie war jetzt genau an dem Punkt angelangt, warum sie angerufen hatte, und sie würde es gleich erzählen.
»Ja?«
»Also, wir haben Beni dort kennengelernt, er war eine Woche allein da, ohne seine Frau und seinen kleinen Sohn ...«
»Max.«
»Ja. Und Emma hatte damals etwas mit Beni, wenn Sie verstehen.«
Das blieb ja oft nicht aus in solchen Urlauben. Er konnte seinen Kopf nicht ausschalten, ständig dachte er irgendetwas parallel. Daheim lernen die Leute nie jemanden kennen, und kaum sind sie mal von zu Hause weg, knallt’s, und sie springen mit ihrer Zufallsbekanntschaft in die Kiste. Keine Ahnung, woran das liegt.
»Also, die beiden hatten eine Affäre«, half Behütuns der Anruferin auf die Sprünge.
»Ja, eine ziemlich wilde sogar.«
Hoppla, war die Dame am Ende eifersüchtig und wollte ihrer Freundin etwas anhängen? Wäre aber doch recht spät, nach zwei Jahren. Friedo, halt dich zurück mit deinen ständigen Gedanken!, schalt ihn eine innere Stimme.
»Und wissen Sie, Emma und Beni haben sich auch danach immer wieder getroffen, heimlich, ungefähr ein Jahr lang. Und dann hat Beni Schluss gemacht.«
»Okay.«
»Und deshalb rufe ich auch an. Der Laufpass hat Emma damals sehr getroffen ... und sie ist manchmal sehr impulsiv ... kann auch rasend eifersüchtig werden ...«
Behütuns sagte nichts.
»Wird sie eigentlich immer ... und als Beni ihr den Laufpass gegeben hat, hat sie gedroht: ›Das wird er mir büßen! An dem räch ich mich, du wirst dich noch wundern!‹«
Behütuns hatte intuitiv die beiden Sätze mitgeschrieben. »Interessant. Und was hat sie noch gesagt?«
»›Das büßt er mir! Dem zeig ichʼs! Das muss ihm richtig wehtun. Der soll mich so schnell nicht wieder vergessen!‹ Ziemlich genau diese Worte.«
Der Kommissar überlegte. Manchmal sagt man ja so etwas im ersten Zorn, und es hat keinerlei Bedeutung. Man hat eine Stinkwut und braucht ein Ventil. Man ist enttäuscht, verletzt und fühlt sich entehrt. »Das war, wenn ich Sie recht verstehe, schon vor einem Jahr, richtig? Glauben Sie denn, dass sie das auch ernst gemeint hat?«
Die Frau schien ziemlich fertig zu sein. Die Aufregung, der Anruf, die Aussage. »Das weiß ich nicht, damals hat es ziemlich, nein, sehr ernst geklungen, beängstigend ernst. Aber ich weiß ja, wie es mit solchen Drohungen ist. Und es ist ja auch schon ein Jahr her. Ich hatte angenommen, das hätte sich längst wieder gelegt. Man denkt und sagt so was vielleicht mal, aber man tut es ja nicht. Das ist doch ein Unterschied, das Sagen und das Machen … Aber ...« Sie schluchzte laut.
Behütuns ließ ihr Zeit, doch es kam nichts mehr. »Sie sagten ›aber‹?«
Sie fasste sich noch mal ein Herz. »Emma war gestern in Nürnberg ...«
»Das wissen Sie ganz genau?«
»Ja, sie hatte ein Vorstellungsgespräch bei einem Unternehmen in der Bucher Straße, das hat sie mir zumindest gesagt, als wir das letzte Mal telefoniert haben.«
Jetzt war Behütuns hellhörig geworden. »Aber mal Hand aufs Herz: Trauen Sie Ihrer Freundin«, er sah auf das Blatt vor sich, las den Namen ab, »Emma, Emilia Panzoni, das tatsächlich zu?«
Sie schluchzte wieder. »Das weiß ich nicht. Sie ist sehr sportlich, also sehr stark, meine ich, sie hat früher Judo gemacht, immerhin bis zum grünen Gürtel.«
Behütuns wusste nicht genau, was das bedeutete, glaubte aber, dass das so Mittelklasse war. Doch das würde er problemlos eruieren können. Immerhin hieß das, die Frau wusste mit ihrem Körper und ihrer Kraft umzugehen. »Hat sie sich denn gestern bei Ihnen gemeldet?«
»Eben nicht, deswegen bin ich ja stutzig geworden. Sie wollte sich eigentlich nach dem Gespräch bei mir melden, ich war ja gestern auch in Nürnberg. Wir wollten uns irgendwo treffen, auf einen Kaffee.«
»Hat Ihre Freundin denn in der letzten Zeit noch irgendwelche Bemerkungen bezüglich ihrer Wut auf Herrn Rothlauf gemacht?«
»Nicht mehr in der Art, dass sie ihm etwas antun oder sich irgendwie rächen wollte, nein, aber sie war noch lange Zeit wütend. Man durfte das Thema gar nicht ansprechen. Sie ist manchmal sehr nachtragend.«
Behütuns stellte ihr noch ein paar Fragen, überprüfte noch einmal ihre Daten, gab ihr erneut ausdrücklich sein Wort, dass die Informationen absolut vertraulich behandelt würden, dass sie aber vielleicht doch, das würden aber erst die nächsten Tage zeigen, vielleicht einmal ins Präsidium kommen müsse, um alles zu Protokoll zu geben, bedankte sich und legte auf. Über zwanzig Minuten hatte das Gespräch gedauert – da kamen auch schon Dick und P. A. zurück, Benedikt Rothlauf im Schlepptau. Schlecht sah der Mann aus.
»Den Anzug von gestern konnten wir leider nicht mehr sicherstellen, den hat seine Schwester heute früh schon in die Reinigung gebracht. Im Moment trägt er Kleidung von seinem Schwager«, raunte Dick seinem Chef zu. Der begrüßte Rothlauf, entschuldigte sich dafür, dass man ihn geholt hatte, bat ihn, einen Moment Platz zu nehmen und winkte die beiden Kollegen hinaus in den Vorraum. Berichtete in wenigen Worten von dem Anruf gerade. Dick pfiff nur durch die Zähne.
•
»Sagen Sie, haben Sie in der letzten Zeit Probleme mit Ihrer Frau gehabt? Oder Streit?«
Rothlauf schüttelte den Kopf.
»Würden Sie sagen, dass Ihre Ehe gut ist?«
»Was soll das heißen?«
»Was man so gemeinhin darunter versteht. Es gibt gute Ehen, schlechte Ehen, So-lala-Ehen ...«
»Wir führen eine glückliche Ehe.«
»Ich muss Ihnen trotzdem diese Frage stellen: Hat Ihre Frau vielleicht Liebhaber gehabt? Ich meine damit: Ist sie möglicherweise fremdgegangen?«
Rothlauf reagierte wach. »Wollen Sie damit sagen, dass Sie mich im Verdacht haben? Nein, nicht dass ich wüsste. Clara ging nicht fremd, Clara ist treu, war immer treu.«
»Und Sie?« Behütuns fand seine Fragen gefühllos und unverschämt, aber er hatte sich entschieden, hart zu sein. Auch wenn Rothlauf ihm leidtat.
»Ich gehe nicht fremd. Ich bin kein Schürzenjäger, wenn Sie das meinen. Kein Weiberheld. Ich liebe meine Familie.« Er stockte, merkte, was er gesagt hatte. »Liebte«, fügte er leise an.
»Keine Abenteuer? Keine Seitensprünge?«
»Worauf wollen Sie hinaus?«
Jetzt ging Behütuns zum Angriff über. »Sagt Ihnen der Name Emilia Panzoni etwas?« Er fiel mit der Tür ins Haus.
Rothlauf sah ihn mit prüfendem Blick an. »Wie kommen Sie auf diesen Namen?«