Demütig. Cosette
am nächsten Morgen zumindest nicht daran erinnern. Wach und zufrieden reckte sie sich. Gähnend tastete sie nach Sisyphos. Leere. Sie riss die Augen auf. Er lag nicht im Bett.
Nur Mina stand in der Schlafnische und zündete einige Kerzen an. «Er ist weg.»
«Wann?»
«Um Mitternacht herum ist er aufgestanden und hinausgeschlichen.»
«Er wird nicht wieder kommen, oder?» Zutiefst enttäuscht schwang Galatea die Beine aus dem Bett.
Mina schüttelte den Kopf und ging hinaus.
In den folgenden Tagen erwischte sich Galatea immer wieder dabei, wie sie durch die Straßen von Sodom City stolzierte und nach dem Fremden Ausschau hielt. Sie hoffte, dass er nur ein wenig Zeit brauchte, um über das Geschehene nachzudenken. Vielleicht hatte er sich an die Oberfläche zurückgezogen und grübelte. Es tat weh sich vorzustellen, wie er in den Armen seiner Ehefrau lag, über die Haare seiner Tochter strich und dem Hund einen Knochen zuwarf. Trautes Heim. Etwas, was Galatea nicht wollte. Jotis und Mina waren ihre Familie. Sie herrschte über die beiden wie die Frauen der Weißen Stadt über ihre Kochtöpfe. Häkeln und Putzen machten sie einfach nicht an. Es gab so viel Schöneres, mit dem man seinen Tag füllen konnte. Alltag kehrte nie ein. Jeder Morgen brachte etwas Neues.
Galatea schaute in die Folterwerkstätten, die Toilettensklavenschulen und Hundezwinger und betete, dass Sisyphos nicht zu einem anderen Meister gegangen war. Möglicherweise zog er es vor, von einem Mann dominiert zu werden. Eventuell sehnte er sich danach, einige Herren auszuprobieren, bevor er einem seine Dienste anbot. Er war neu in Sodom City. Warum sollte er sich da für die erstbeste Herrin entscheiden, die ihn noch dazu gezwungen hatte, sich ihr zu unterwerfen?
Schlecht gelaunt wies sie alle Sklaven ab, die zu ihr kamen. Auch Mina und Jotis vernachlässigte sie sträflich. Sie wollte ihn. Sie begehrte ihn. Den Sklaven, den sie Sisyphos getauft hatte. Den Sklaven, der stolze Augen besaß und einen aufrechten Gang. Er war es offensichtlich nicht gewohnt zu dienen und wünschte sich dabei jedoch genau das. Die Vermutung lag nah, dass er – wie so viele vor ihm – während des Liebespiels genau das Gegenteil von dem sein wollte, was er im Alltag verkörperte. Sie konnte ihm geben, wonach er sich sehnte.
«Verdammt, Galatea», schimpfte sie leise mit sich selbst, als sie mitten auf der Straße der unterirdischen Stadt stand und verträumt an ihn dachte. «Was bist du nur für eine Herrin, die vor Sehnsucht nach einem Sklaven zerfließt! Widerlich.»
Sie würde ihre Glaubwürdigkeit verlieren, wenn das irgendjemand erfuhr. Aber sie war keine Herrin, die ihre Sklaven ständig auf Distanz hielt. Jeder Meister herrschte auf eine andere Art und Weise. Und mit ihrer Methode machte sie die meisten abhängig von ihr. Nur ihn nicht.
Plötzlich war die Menge in Aufruhr. Die Leute stoben auseinander. Einige flüchteten, andere machten einfach Platz und starrten auf die Männer, die durch die Gänge strömten. Sie trugen graue Uniformen mit roten Knöpfen und Samtrevers, die Uniformen der Weißen Stadt. Ihre Schusswaffen hielten sie bereit. Ihre Mienen strahlten Entschlossenheit aus.
«Was geht hier vor?», fragte Galatea einen Transvestiten.
«Staatsbesuch, Schätzchen.»
Eine Delegation eilte durch die Menge. Graue Mäntel überall. Galatea sah als Erstes einen Fetzen weißen Leders inmitten der Uniformierten, dann schneeweiße Boots, und als der Mann näher kam, Augen, die stolzer nicht funkeln konnten.
«Sisyphos», hauchte sie gleichsam erstaunt und entsetzt. Wer war er? Ein Oberst? Ein Agent? Ein Spion?
Unmittelbar blieb er vor ihr stehen. «Verhaftet sie!» Er klang schroff.
Bevor Galatea etwas erwidern konnte, führten sie die Uniformierten ab. Hass stieg in ihr auf, als die Leute sie einfach nur anstarrten. Warum half ihr denn keiner? Hier unten hatten die Machthaber der Weißen Stadt nie Einfluss gehabt, hatten sich bislang stets von diesem düsteren Ort, der Lasterhöhle, fern gehalten. Doch mit einem Mal waren sie auch hier. Hatte Sisyphos Sodom City ausspioniert? War dies nun der Vernichtungsschlag? Sodom City durfte nicht untergehen!
Galatea wehrte sich mit Händen und Füßen, aber es nützte nichts. Man nahm ihr die Lustspielzeuge ab, die man als Waffen beschlagnahmte, brachte sie an die Oberfläche und warf sie ins Gefängnis.
Selbst die Zelle war ihr noch zu hell. Galatea war das Sonnenlicht nicht gewohnt. Mit dem Arm schirmte sie die Augen ab. Ihr war nach Heulen zumute, aber diese Genugtuung wollte sie den Wärtern nicht geben. Sie war sich sicher, dass Sisyphos sie holen oder zu ihr kommen würde, um sie zu erniedrigen. Vielleicht würde er sie sogar schlagen, um Rache zu üben. Konnte er wirklich ein Agent sein, wo ihn die Behandlung doch so erregt hatte?
Tatsächlich holten einige Uniformierte Galatea wenige Stunden später ab und brachten sie in den Marmorpalast. Mit hinter dem Rücken gefesselten Händen brachte man sie zu dem Fremden, der vor einigen Tagen noch genauso vor ihr gestanden hatte. Er trug einen luftigen Kaftan, der in der hereinwehenden Brise ein wenig flatterte. Die weiße Seide ließ seine Haut noch brauner erscheinen.
«Kurator, hier ist die Gefangene.» Die Grauen verneigten sich und verließen das Zimmer.
Galatea traute ihren Ohren kaum. «Du bist Kurator Faidon?»
Er hielt eine Peitsche in den Händen. «Zügle dein Temperament und sprich leiser!»
«Willst du es mir jetzt heimzahlen?», fragte sie provokant.
«Du hast mir nichts angetan, was ich nicht gewollt hätte.»
Diese Antwort verblüffte sie.
Er kam näher, schritt bedächtig um sie herum und roch an ihrem Haar. «Warum hast du mich gehen lassen?»
«Habe ich nicht», protestierte sie. «Ich habe dir die Wahl gelassen.»
«Ist es nicht so, dass ein Sklave keine Wahl hat?»
«Du warst nicht mein Eigentum. Ich hätte kein Recht gehabt, dich festzuhalten. Zudem bin ich kein Unmensch und würde einer neuen Sklavenseele niemals schaden wollen. Dein Einstieg war sowieso zu heftig, aber du hattest die Tortur verdient.»
«Das wagst du jetzt noch zu sagen, in deiner Lage?» Arrogant hob er eine Augenbraue.
«Ich werde nicht vor dir buckeln, Kurator», spie sie ihm entgegen. «Ich bin keine Sklavin, auch wenn du mich noch so stark und oft auspeitschen lässt oder auf dem Rathausplatz nackt zur Schau stellst.»
Er schnalzte. «Beeindruckend! Du spielst die Rolle der Herrin bis zum bitteren Ende.»
«Eine Herrin durch und durch», sprach sie mit erhobenem Kinn. «Das ist es, was ich bin. Das ist mein Leben!»
Eine Zeit lang sagte er gar nichts. Er sah Galatea nur nachdenklich an. Dann wurde sein Blick milder. «Ich hätte nicht gedacht, dass eine Herr-Sklave-Beziehung liebevoll sein kann. Nun, ich war davon ausgegangen, nach allem, was ich gehört hatte, dass Sklaven von ihren Meistern schamlos ausgenutzt werden, um ihre Lust zu befriedigen und ihre Aggressionen abzubauen.»
Sie schnaubte.
«Aber du hast mich geschlagen, du hast mich gedemütigt und trotzdem bist du auf mich eingegangen, auf meine Bedürfnisse, hast mich am Ende in dein Bett geholt und mir damit gezeigt, dass du mir vertraust, so wie ich gelernt habe, dir zu vertrauen. Ich hätte dich im Schlaf erwürgen können.»
«Und ich hätte dich blutig peitschen können.»
«Aber darum geht es nicht.»
Galatea schüttelte den Kopf. «Es geht um Lustgewinn auf beiden Seiten. Hast du das endlich begriffen, Sklave?»
Sie erschrak selbst über das, was sie gesagt hatte, und riss die Augen auf, um Faidons Reaktion zu beobachten. Obwohl sie vor ihm nicht buckeln würde, wollte sie dennoch keine Strafe heraufbeschwören.
Er biss die Zähne zusammen, knirschte mit dem Kiefer und rümpfte die Nase. Dann ließ er den Riemen der Peitsche tänzeln, aber Galatea verzog keine Miene. Unbeeindruckt beobachtete sie ihn. Er dachte