Verjagt von Haus und Hof. Roswitha Gruber

Verjagt von Haus und Hof - Roswitha Gruber


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Mensch, und es ist ihr hoch anzurechnen, dass sie sich in selbstloser Weise um den Vater und die minderjährigen Geschwister gekümmert hat. Ich liebe sie also nicht wegen einer guten Position oder irgendwelcher materiellen Güter, sondern wegen ihrer inneren Werte. Sie ist ein liebenswürdiger warmherziger Mensch.«

      Nun fiel die Tante über ihn her: »Was verstehst du schon von Liebe? In deinem Alter ist das ein Strohfeuer, das bald erlischt. Außerdem ist sie mit ihren dreiundzwanzig Jahren viel zu alt für dich.«

      »Vielleicht liebe ich sie gerade deshalb. Weil sie älter ist als ich, gibt sie mir die Liebe und Wärme, die ich seit dem Tod meiner Mutter vermisst habe.«

      »Gewiss, im Moment mag die ältere Frau für dich interessant sein«, räumte der Vater ein. »Aber lass erst mal ein paar Jahre ins Land gehen, dann wirst du dich nach einer jüngeren und attraktiveren umschauen, weil dir deine Frau zu alt und zu hausbacken ist.«

      Da dem Sohn darauf keine passende Antwort einfiel, erklärte er, er wolle Rosina auch deshalb heiraten, weil er sich für sie und das Kind, das sie von ihm erwarte, verantwortlich fühle.

      »Das ist doch kein Grund, zu heiraten, noch dazu in so jugendlichem Alter, wo man die Konsequenzen noch gar nicht abwägen kann«, tat der Großvater seine Lebensweisheit kund.

      »Ja«, pflichtete ihm sein Schwiegersohn bei. »Versaue dir deine Zukunft nicht durch einen so übereilten Schritt. Wenn du dich auf dem Standesamt als Vater dieses Kindes eintragen lässt und pünktlich deine Alimente zahlst, zeigst du genügend Verantwortungsbewusstsein.«

      »Und du bleibst ein freier Mann«, setzte sein Bruder noch eins drauf. »Bei deiner Intelligenz wäre es schade, wenn du als Sattler versauerst. Schlimm genug, dass du für dieses Weibsstück die Schule geschmissen hast. Aber es ist noch nicht zu spät. Über den zweiten Bildungsweg kannst du dir immer noch eine Zukunft aufbauen. Du kannst dein Abitur nachmachen und ein Studium aufnehmen.«

      Obwohl ihn die Formulierung »Weibsstück« innerlich in Rage versetzte, erklärte der werdende Vater in ruhigem Ton, er fände es »gschert« (unehrenhaft), seine Freundin mit dem Kind sitzen zu lassen. Abgesehen davon wolle er mit ihr zusammenleben und sein Kind aufwachsen sehen.

      Nun brachte die Großmutter noch einen neuen Aspekt ein: »Und wovon wollt ihr leben, da sie nichts hat und du nichts hast?«

      »Inzwischen bin ich Geselle und habe eine feste Anstellung. Das, was ich dort verdiene, reicht für meine kleine Familie, zumal wir kostenlos im Haus von Rosinas Vater wohnen können. Diese Familie ist nicht so engstirnig wie ihr.«

      So kühne Worte wagte er nur, weil er nichts mehr zu verlieren hatte. Dann ergänzte er noch: »In wenigen Jahren lege ich die Meisterprüfung ab, wodurch meine Einkünfte entsprechend steigen werden.«

      Es half alles nichts. Da sein alter Herr ihm die benötigte Unterschrift verweigerte, blieb Kaspar nichts anderes übrig, als mit der Heirat zu warten, bis er einundzwanzig war.

      Er blieb weiterhin bei der Tante wohnen und ging treu und brav seiner Arbeit nach.

      Am 19. Februar des folgenden Jahres erblickte ich in Großvaters Haus das Licht der Welt unter Mithilfe einer tüchtigen Hebamme. Kaspar, mein Vater, freute sich riesig und überreichte meiner Mutter einen Strauß roter Rosen. Um diese Jahreszeit müssen die einen Haufen Geld gekostet haben.

      Exakt neun Monate später wurde mein Vater einundzwanzig. Er nahm sich zwei Stunden frei, marschierte mit meiner Mutter siegesbewusst zum Standesamt und legte dem Beamten seinen Personalausweis vor.

      »Was soll ich damit?«, fragte dieser irritiert. Mein Vater erklärte: »Wie Sie sehen, bin ich jetzt volljährig. Also steht einer Heirat nichts mehr im Wege.«

      »Im Prinzip nicht. Sie und die Braut müssen mir aber noch Ihre Familienbücher vorlegen.«

      Der Bräutigam schluckte: »Und wo nehmen wir die her?«

      »Die müssten im Besitz Ihrer beider Eltern sein.«

      Bei Rosina war das kein Problem, aber Kaspars Vater wollte das bewusste Buch nicht herausrücken. »Bub, sei vernünftig«, redete er ihm zu. »Ich meine es mit dir doch nur gut. Ich will verhindern, dass du in dein Unglück rennst.«

      Alles Bitten, Betteln und Flehen half nichts. Der Vater blieb stur. Also wanderte Kaspar erneut zum Standesamt, um sich zu erkundigen, ob es denn keine andere Möglichkeit gebe, da sein Vater das Stammbuch partout nicht herausrücken wolle. Der Beamte empfahl ihm, sich von der Gemeinde, in der er geboren worden war, eine Geburtsurkunde geben zu lassen.

      Bis er diese bekam, verging wieder einige Zeit. Mittlerweile war es kurz vor Weihnachten, und in der Polsterei gab es einiges zu tun. Viele Leute wollten bis zum Fest noch ihre durchgesessenen Sessel und Sofas aufgepolstert haben.

      Am 3. Januar 1953 kamen meine Eltern endlich dazu, sich auf dem Standesamt trauen zu lassen. Anschließend erfolgte die kirchliche Trauung in ganz kleinem Rahmen. Mein Opa und der Chef meines Vaters fungierten in beiden Fällen als Trauzeuge. Noch am selben Tag zog mein Vater in Opas Haus ein. Dieser stellte dem jungen Paar die schönste und größte Kammer zur Verfügung, die er eigens mit neuen Schlafzimmermöbeln eingerichtet hatte. Außerdem gab es noch genug Platz für das Kinderbett.

      Mama genoss es, endlich verheiratet zu sein. Als Ehefrau brauchte sie nicht mehr die hämischen Blicke der Nachbarn zu fürchten, wenn sie sich mit ihrem Kind, das den Makel »unehelich« getragen hatte, auf der Straße blicken ließ. Außerdem war sie glücklich, endlich mit dem Mann zusammenleben zu dürfen, den sie liebte.

      Da meine Eltern in aller Stille und Heimlichkeit geheiratet hatten, war mein Vater sehr verwundert, als er einige Tage nach der Hochzeit von seinem Vater einen Brief erhielt, der ihn sehr erschütterte.

      N.-Dorf, den 5. Januar 1953

      Da Du Dich erdreistet hast, ohne meine Erlaubnis und trotz aller Warnungen vonseiten Deiner Verwandten, die es alle gut mit Dir meinten, eine Frau zu ehelichen, die nicht in unsere Familie passt, verstoßen wir Dich hiermit. Wir wollen Dich nie wieder bei uns sehen.

      Es folgten die Unterschriften seines Vaters, seiner Großeltern, seiner Tante Bärbel und seines Bruders.

      Mein Vater konnte sich zunächst nicht erklären, woher seine Verwandten Kenntnis von seiner Heirat erhalten hatten. Schließlich fand meine Mutter des Rätsels Lösung: »Deine Tante Bärbel arbeitet doch als Sekretärin beim Bürgermeister. Als solche geht sie täglich im Rathaus ein und aus. Dabei schaut sie gewiss immer wieder mal, wer im Kasten hängt.«

      Wie es seinerzeit Vorschrift war, musste jedes Paar, das die Absicht hatte, die Ehe zu schließen, drei Wochen im »Kasten« des Standesamtes »hängen«. Damit sollte jedem in der Gemeinde die Möglichkeit gegeben werden, eine eventuell schon bestehende Ehe anzuzeigen, weil man Bigamie verhindern wollte.

      Mit Sicherheit hat dieser Brief meinen Vater schwer getroffen. Seiner Frau gegenüber ließ er sich das aber nicht anmerken, wie sie mir verraten hat.

      Von seinen Verwandten hörte mein Papa nur noch einziges Mal etwas in seinem Leben. Das war Anfang Juli 1953, also nur sechs Monate nach seiner Heirat, als seine Großeltern ihre Goldene Hochzeit feierten. In schriftlicher Form lud ihn seine Tante Bärbel ausdrücklich zu diesem Fest ein, mit dem Hinweis, durch seinen Besuch würde er seinen Großeltern eine große Freude machen. Seine Frau und sein Kind waren aber nicht miteingeladen, deshalb verzichtete Papa auf die Teilnahme.

      Mamas Freude darüber, mit dem geliebten Mann zusammenzuleben, sollte nur von kurzer Dauer sein. Denn schon bald stellte sich heraus, dass sein Lohn als Sattlergeselle doch zu gering war, um seine Familie davon ordentlich unterhalten zu können. In dieser Situation kam ihm ein Zufall zu Hilfe. Ein Freund von ihm vermittelte ihn nach Ulm zu einer Firma als Getränkefahrer. Die Firma stellte ihm ein Zimmer zur Verfügung, was ihm auf den Lohn angerechnet wurde. Dennoch brachte er doppelt so viel nach Hause wie zuvor. Dafür mussten die jungen Leute in Kauf nehmen, dass er nur an den Wochenenden heimkam. Dazu benutzte er einen VW-Käfer, den er gebraucht erstanden hatte. Als er merkte, dass die Fahrten ganz schön ins Geld gingen, fuhr er nur noch alle zwei bis drei Wochen


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