Verjagt von Haus und Hof. Roswitha Gruber

Verjagt von Haus und Hof - Roswitha Gruber


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und kippte sie aus. Anfangs rümpfte ich die Nase über sein Tun. Opa aber erklärte mir, dass wir nur deshalb so saftiges Obst und so dicke Nüsse hatten, weil er diesen Naturdünger in den Obstgarten ausbrachte.

      Eines Morgens im April, als ich an den Frühstückstisch kam, herrschte große Aufregung: Opas Zähne waren verschwunden. Obwohl man das ganze Haus absuchte, blieben sie unauffindbar. »Du warst doch in der Nacht mal raus«, erinnerte ihn meine Mutter.

      »Das stimmt«, sinnierte er. »Irgendwie muss das Nachtessen verdorben gewesen sein. Mir war nämlich sauschlecht.«

      »Jetzt soll’s am Essen gelegen haben«, lachte die Mama. »Nein, das Essen war in Ordnung. Uns anderen ist ja auch nicht schlecht geworden. Dein Fehler war halt, dass du gestern Abend zu tief ins Glas geschaut hast.«

      Wieso wird einem davon schlecht, wenn man zu tief ins Glas schaut?, dachte ich, sagte aber nichts. Doch ich nahm mir vor, in Zukunft niemals tief in Gläser zu schauen.

      »Ja, mei«, dämmerte es dem Großvater nun. »Weil mir so schlecht war, hab ich ins Klo gspiebn (erbrochen). Dabei sind meine Zähne wohl mit in der Grube gelandet.«

      Über dieses Missgeschick musste ich laut lachen. Das war doch wirklich lustig, dass so etwas hatte passieren können. Doch sogleich wurde ich wieder ernst, und nicht nur, weil ich Opas trauriges Gesicht sah. Mit Daumen und Zeigefinger prüfte ich, ob meine Zähne fest genug saßen.

      Um wieder an sein Gebiss zu kommen, begann der Opa gleich nach dem Frühstück damit, die Grube in gewohnter Manier auszuschöpfen. Als er den ersten Eimer aus der Tiefe hochgezogen hatte, rührte er mit einem Stock drin herum, bevor er ihn in die Schubkarre ausleerte. Um sicherzugehen, stocherte er mit seinem Stock auch noch in der Schubkarre herum. Ohne Ergebnis! Sobald er die Brühe in den Obstgarten gekippt hatte, suchte er zusätzlich den Boden ab. Nichts! So arbeitete er sich Eimer für Eimer durch.

      Anfangs stand ich untätig dabei und beobachtete staunend Opas Tun. Je länger sich seine »schöpferische« Tätigkeit aber hinzog, desto mehr litt ich mit ihm. Deshalb half ich ihm nach einiger Zeit dabei, im Gras unter den Obstbäumen zu suchen. Zwei Tage lang schöpfte er unermüdlich die übelriechende braune Brühe aus der Grube. Der Obstgarten war nachher bestens gedüngt, nur sein Gebiss hatte Großvater nicht gefunden. Vermutlich hatte es sich in einer Ecke der Grube versteckt, so mutmaßte der Opa, in die man mit dem runden Eimer nicht hinkam. Noch oft wurde diese Geschichte in geselliger Runde zum Besten gegeben. Dem Opa war das zwar immer furchtbar peinlich, die Gäste aber lachten sich kaputt.

      Da der Opa ohne Zähne nur noch Brei essen konnte, entschloss er sich nach einiger Zeit, einen Zahnarzt aufzusuchen, um sich ein neues Gebiss anfertigen zu lassen. Dort musste er immer wieder hingehen, bis der Zahnarzt es so zurechtgefeilt hatte, dass es wirklich schmerzfrei saß.

      Immer wenn der Opa seinen wohlverdienten Mittagsschlaf hielt, spielte ich bei schönem Wetter allein im Garten, entweder in dem großen Sandkasten, den er für mich angelegt hatte, oder ich zog auf der Hausbank meine Puppen an und aus. Bis ich fünf Lenze zählte, hatte ich schon eine ansehnliche Sammlung beisammen. Denn jedes Jahr zu Weihnachten schickte mir meine Patin, die in Nürnberg lebte, eine weitere Puppe, und meine Mama fertigte hin und wieder neue Kleider für sie an.

      In einer Ecke des Grundstücks befand sich ein kleiner Teich. Den hatte der Opa aber nicht für mich angelegt, sondern für seine Schwimmvögel. Sie tummelten sich wirklich begeistert darin, paddelten aber ebenso gerne in dem kleinen Bach, der auf einer Seite das Grundstück begrenzte. Die Böschung, die zum Bach hinunterführte, war ziemlich steil, nur an einer Stelle ging es sanfter hinab. Diese Stelle hatte Opa so abgegraben, dass meine Mutter ohne Mühe mit ihrem Waschkorb hinuntergehen konnte, um die Wäsche zu schwenken. Denn eine Waschmaschine besaß sie damals noch nicht. Damit sie es bei ihrer Arbeit leichter habe, hatte Opa eine Art halben Holzkasten gezimmert und am Bachufer angebracht. In diesem konnte sie beim Wäscheschwenken bequem knien.

      Nicht weit davon entfernt führte ein schmaler Steg über den Bach, der an einer Seite ein Geländer hatte. Auch diesen hatte Opa eigenhändig gezimmert, obwohl er kein gelernter Schreiner war, aber er konnte einfach alles. Das hölzerne Brücklein hatte ich zwar schon oft gesehen, aber ich war nie auf die Idee gekommen, es zu betreten, geschweige denn hinüberzuwandern. Eines schönen Sommertages, ich saß auf der Gartenbank, sah ich, wie ein Mädchen, das in meinem Alter sein mochte, über diesen Steg getrippelt kam.

      »Ich bin die Nanni«, stellte sie sich vor. Deshalb nannte auch ich meinen Namen: »Ich bin die Lisi. Eigentlich heiße ich Elisabeth, doch alle sagen Lisi zu mir.«

      Darauf erklärte das fremde Mädchen: »Ja, weißt, eigentlich heiße ich Marianne. Aber alle rufen mich Nanni.« Dies war der Beginn einer intensiven Freundschaft, die viele Jahre halten sollte. Nachdem wir eine Weile mit meinen Puppen gespielt hatten, verabschiedete sich Nanni: »Jetzt muss ich aber heim, sonst schimpft die Mama. Kommst du mich auch mal besuchen?«

      »Freilich. Wo wohnst du denn?«

      Sie fasste mich bei der Hand und zog mich bis zum Steg mit. Mit der freien Hand deutete sie hinüber auf die andere Seite, wo sich, so weit ich sehen konnte, Wiesen ausbreiteten. »Siehst du den Bauernhof da hinten? Da wohne ich.«

      Ihre Einladung brauchte sie nicht zu wiederholen. Am folgenden Tag schon wanderte ich auf die andere Seite. Natürlich hatte ich vorher meine Mama um Erlaubnis gefragt. Sie wollte immer wissen, wo ich war, damit sie sich keine Sorgen machen musste. Das Wasser des Baches war ziemlich tief, und sie hatte mich streng ermahnt, niemals an den Bach zu gehen. Als ich bei Nanni eintraf, kam ich aus dem Staunen nicht mehr heraus. Was ich da alles zu sehen bekam! Zunächst führte sie mich durch den Stadl, den Geräteschuppen und durch die Ställe. Ich kam mir vor wie im Paradies. Der Opa hatte mir nämlich erzählt, dass im Paradies viele Tiere lebten. Hier gab es Tiere, wohin man schaute: Pferde mit Fohlen, Kühe mit Kälbchen, große Schweine mit Ferkeln, Ziegen mit Zicklein, Enten, Gänse und Hühner mit Küken. Natürlich gab es auch Katzen und sogar einen Hund.

      Erschlagen von so vielen neuen Eindrücken, kam ich nach Hause und stürmte gleich auf meinen Großvater zu: »Warum haben wir keine Pferde, keine Kühe und keine Schweine?«

      »Weil wir keinen Bauernhof haben.«

      »Warum haben wir keinen Bauernhof?«

      »Weil ich kein Bauer bin.«

      »Warum bist du kein Bauer?«

      »Weil ich Postbote bin.«

      »Du hast aber doch Hühner, Gänse und Enten.«

      »Das sind Kleintiere. Die machen noch keinen Bauern aus. Für die brauche ich nur einen kleinen Stall.«

      Doch ich ließ nicht locker: »Du könntest doch einen großen Stall bauen. Hinter dem Haus ist Platz genug.«

      Er erklärte: »Für einen Stall würde der Platz reichen. Aber uns fehlen die Wiesen und Felder, auf denen Futter für die Tiere wachsen kann.«

      Das leuchtete mir ein. Meine kleine Freundin hatte mir nämlich voller Stolz mit einer weit ausladenden Handbewegung gezeigt: »Alle Felder und Wiesen, die du sehen kannst, gehören uns.«

      Da mir die enttäuschende Erkenntnis kam, dass wir nie einen Bauernhof haben würden, huschte ich so oft wie möglich über den Steg zu Nanni. Staunend schaute ich zu, wie ihre Mutter aus den Kühen Milch »zapfte« und wie sie die Kälbchen mit der Flasche fütterte. Mächtig stolz war ich, als ich auch mal die Flasche halten durfte. Wenn sie den Schweinen einen Eimer Futter in den Trog kippte, machte es mir Spaß, zu sehen und zu hören, wie diese in verschiedenen Tonarten grunzten und schmatzten. Das Schönste aber war, wenn die Sau ausgestreckt in ihrem Koben lag und die winzigen Marzipanferkelchen an ihr saugten. Wenn es im Stall nichts zu sehen gab, tollten wir mit dem Hofhund Bello auf dem weiten Gelände herum. Er liebte es besonders, wenn wir Stöckchen warfen. Nun stand bei mir fest, dass ich auch einen Hund haben wollte. Sogleich umschmeichelte ich meinen Großvater, dass er einen Hund anschaffen sollte. Um es ihm schmackhaft zu machen, erklärte ich ihm: »Für den brauchst du nur eine kleine Hütte, du brauchst keine Wiesen und keine Äcker, der frisst kein Heu und keine Rüben. Der begnügt sich


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